Nachruf:Sinatra ohne Vibrato

Manel Vich

Seit 1958 im Amt, nur vier Mal bei Spielen nicht dabei: Manel Vich.

(Foto: Germán Parga/FCB)

Abschied von einer katalanischen Institution: Manel Vich, 58 Jahre lang der Stadionsprecher des FC Barcelona, ist gestorben.

Von Oliver Meiler

Noch eine große Stimme ist verstummt in diesem Jahr des großen Stimmensterbens: ein Bariton, leicht verrauchtes, sonores Timbre. Manel Vich präsentierte 58 Jahre lang die Mannschaftsaufstellungen im Stadion Camp Nou, die Elf des FC Barcelona und jene der Gäste. Spiel für Spiel, Jahr für Jahr. Nur vier Mal saß der Stadionsprecher des FC Barcelona in dieser langen Zeit nicht da oben, hoch über dem Feld, in seiner Kabine auf der Pressetribüne. Zweimal fehlte Vich, weil er im Krankenhaus lag, je einmal, als seine Kinder heirateten. Und wenn jetzt, nach seinem Tod mit 78 Jahren, Nachrufe und seitenlange Hommagen in den katalanischen Zeitungen erscheinen, dann hat das auch damit zu tun, dass diese Stimme des Fußballs auf Crescendo und Vibrato verzichtete, dass sie sich in ihrer vertrauten, monotonen Nüchternheit so wunderbar abhob von jener der Marktschreier der Moderne, der Einheizer in den Event-Arenen der Gegenwart.

Die Liturgie in Barcelona begann immer mit einem Knacksen in den Lautsprechern und einem Willkommensgruß auf Katalanisch: "Bona nit a tothom i benvinguts a l' Estadi", guten Abend allerseits und willkommen im Stadion. Kein "Super", kein "Mega", kein "Hammer", nie.

Beim schnellen Verlesen der Startelf der Gegner leistete sich Vich ab und zu eine kapriziöse Einlage: Nach der Nennung von Herrschaften, die einmal für Barça gespielt hatten und dann weggezogen waren, mehr oder weniger flegelhaft, legte er immer eine kurze Pause ein, damit die Anhänger ihre Gefühlsregungen äußern konnten. Besonders lange geriet Vichs Pause, als Mittelfeldstar Luis Figo nach seinem Wechsel zu Real zum ersten Mal zurückkehrte. In Madrid legte man den Bruch in der Liturgie als subversives Treiben aus. Jedenfalls räumte Vich genügend Zeit ein, damit sich eine "pitada", ein Gepfeife, in monumentaler Ausführung entfalten konnte.

Zu seinem Job kam Vich einst eher zufällig. Er arbeitete als junger Reporter bei Radio Hospitalet, einem Lokalsender, als ihn Barças Personalchef nach dem Abschiedsspiel für César Rodríguez anfragte, ob er nicht mit dem Megafon kommentieren möchte, wie man dem verdienten Stürmer die Geschenke überreichte. Anno 1958 war das. Der Posten des Speakers war ohnehin gerade frei, Geld gab es nicht dafür, und das sollte bis zuletzt so bleiben: keine Peseta, keinen Euro.

Spanien war noch eine Diktatur, als Vich begann, Franco verbot den öffentlichen Gebrauch des Katalanischen. Und so war Vichs "Singen" lange Zeit Kastilianisch. Bis 1973, dann leistete er sich eine Vermisstenmeldung auf Katalanisch: "S' ha perdut un nen a l'estadi, que es troba a la porta principal de Tribuna", sagte er: "Ein Junge hat sich verirrt im Stadion, er steht am Haupteingang der Tribüne." Natürlich war die Meldung erfunden, sie sollte provozieren, sprachlich und politisch. Der Minister auf der Ehrentribüne, Francos Statthalter im rebellischen Barcelona, schrieb einen Rapport.

Vich wurde zur Institution, zu einem Mythos des Katalanismus: "Més que una veu" ("mehr als eine Stimme") sagte man in Barcelona in Anlehnung an das Vereinsmotto, "Mehr als ein Klub". Vich hat sie alle angekündigt: Kubala, den er für "den diskussionslos Größten von allen" hielt, Cruyff, Laudrup, Romario, Xavi, Iniesta, Messi, Neymar. Am besten verstand er sich mit dem lustigen Brasilianer Ronaldinho. Der hatte Vich einmal ein Tor gewidmet, er stürmte dafür zur Eckfahne, griff nach ihr, als wäre sie ein Mikrofon und zeigte zur Kabine des Sprechers.

Dem Fußballmagazin Panenka, das ihn vor einigen Jahren daheim besuchte, verriet Manel Vich das Geheimnis seiner unverkennbaren Stimme: "Rauchen." Er hatte die Stimme eines Crooners, eines Jazzsängers. Die Zeitung El Periódico ruft ihm "Frank Sinatra des Fußballs" nach. Sein Nachfolger soll sein Sohn Carles Vich werden.

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