Nachruf auf Josef Lenz:Pionier vom Königssee

Lesezeit: 4 Min.

Bis ins hohe Alter an seiner Bahn: Sepp Lenz, hier im Februar 2017 beim Kontrollgang. (Foto: Peter Kneffel/dpa)

Bahnkonstrukteur, Schlittenbauer - und einer der erfolgreichsten Trainer seines Sports: Sepp Lenz hat all das verkörpert, und noch mehr. Weggefährten beschreiben ihn als Menschen, der alle einfing mit seinem Wesen. Nun ist er im Alter von 89 Jahren gestorben.

Von Sebastian Winter

Sepp Lenz wollte bis zuletzt an seiner Bahn sein, so oft es eben ging. Und weil er nicht mehr gut sehen konnte und nicht mehr Auto fahren durfte, ließ er sich die drei Kilometer chauffieren von seinem Haus in Schwöb, einem Ortsteil von Schönau, hinüber zur Schlange vom Königssee, die sich in 16 Kurven hinabwindet bis fast zum Ufer. Sepp-Lenz-Kreisel heißt eine der Kehren - es ist der bis dato einzige Teil der Bob- und Rodelbahn, der schon zu Lenz' Lebzeiten an ihren Erbauer erinnerte. Vermutlich war einem wie ihm, der nie viel Aufhebens um seine Person gemacht hat, wie Weggefährten erzählen, selbst das zu viel der Ehre gewesen. Aber nachschauen wollte er schon immer, wie es steht um seine Bahn. Und um die Werkstatt im Keller.

Denn das war Lenz ja auch: ein ewiger Tüftler. Ein Handwerker, der sich das Eschenholz selbst besorgte, sich die Leisten selbst zusammenleimte; ein Schreiner und Schleifer, der seinen Schülern, auch dem Hackl Schorsch, dessen Entdecker und Mentor er war, dieses Handwerk beibrachte. Weil er wollte, dass die Piloten wissen, auf was für einem Gefährt sie sich die Eisröhre hinunterstürzen.

Lenz, geboren in seinem Elternhaus in Schönau, fuhr zunächst Ski, bis er sich in seiner Jugend bei einer Abfahrt das Knie verdrehte. Mit dem Vater und Bruder kam er dann 1959 auf die Idee, nördlich vom Watzmann und unter dem Grünstein eine Rodelbahn zu bauen. An die 10 000 Eisblöcke schafften sie und ihre Helfer damals vor jeder Saison aus dem nahen Hintersee und dem Aschauerweiher an die Strecke. Lenz berechnete Steigungswinkel, modellierte die Bahn, war Eismeister. Und er war auch der Erste, der sich für Probefahrten in die Eisrinne traute, von immer weiter oben. Wie in der Bahn-Chronik festgehalten, meisterte Lenz die Jungfernfahrten mit Bravour, während manch andere übers Ziel hinausschossen und samt Schlitten im See baden gingen. Neun Jahre später wurde die Naturbahn zur ersten Kunsteisbahn der Welt umgebaut. Es war ein weiterer Meilenstein, auch für Lenz, den Rodelbahnpionier.

Tollkühner Pilot: Sepp Lenz in den Anfangsjahren des Rodelns am Königssee. (Foto: Hans Bittner/ BSD-Archiv)

Es lief für ihn auch auf der Strecke, 1962 gewann er den EM-Titel im Einer. Zwei Jahre später erlebte das Rennrodeln in Innsbruck seine Olympiapremiere - doch für Lenz und seinen Doppelsitzerpartner Josef Fleischmann wurden die Winterspiele zum Drama. Sie flogen im ersten Trainingslauf aus der vorletzten Kurve, schlitterten über einen vereisten Treppenweg und landeten schließlich auf einem zugefrorenen Eisbach. "Wir segelten haarscharf an einer Seilbahnstütze vorbei", sagte Lenz. Sein Arm war zertrümmert, die Rennkarriere des 29-Jährigen war vorbei. Fleischmann sollte sich von seinen schweren Kopfverletzungen nie wieder richtig erholen. Wie gefährlich Rodeln damals war, ohne die heutigen Sicherheitsvorschriften, zeigt auch der Sturz des Briten Kazimierz Skrzypecki, der am selben Tag auf jener Bahn tödlich verunglückte.

Lenz' Trümmerbruch heilte nach anderthalb Jahren, danach startete er seine zweite Laufbahn. Zunächst nur im Winter. Im Sommer schipperte der gelernte Sattler und Tapezierer als Schiffsführer Touristen über den Königssee. Doch für Bootstouren blieb ihm bald keine Zeit mehr. Und die Erfolge rechtfertigen seinen Wechsel an die Bande mit Funkgerät in der Hand: Zwischen 1966 und 1995 gewann das deutsche Rennrodel-Team unter Bundestrainer Lenz bei Olympischen Spielen, Welt- und Europameisterschaften 96 Medaillen, davon 31 goldene. Blenden ließ er sich davon nicht: "Ich habe stets mehr mit den Verlierern gelitten als mich mit den Siegern gefreut", sagte er einmal.

"Sepp war auch Architekt der Wiedervereinigung", sagt Thomas Schwab, "weil er die geeignetsten Trainer aus der DDR mit viel Gespür ins Boot geholt hat." Schwab folgte Lenz auf dessen Wunsch als Bundestrainer, er war dort nicht minder erfolgreich. Inzwischen ist Schwab unten an der Bahn am Königssee Vorstandsvorsitzender, Generalsekretär und Sportdirektor des Bob- und Schlittenverbandes für Deutschland. Er kennt Lenz wie kaum ein Zweiter. Und er erlebte auch dessen dunkelste Stunde mit.

Gold-Duo im Eiskanal: Der dreimalige Olympiasieger Georg Hackl (im Schlitten) mit Bundestrainer Sepp Lenz. (Foto: Kicker/Liedel/Imago)

Am 16. Dezember 1993 wurde Lenz, damals 58, auf der Kunsteisbahn in Winterberg beim Schneefegen vom Schlitten der US-Rodlerin Bethany Calcaterra erfasst, den er nicht hatte kommen hören und sehen. "Ich stand drei Kurven weiter oben, und jemand sagte durchs Funkgerät: ,Da Fuß is ob'", erinnert sich Schwab: "Da denkt man sich als Bayer halt, mei, der ist halt gebrochen. Doch später sah ich, dass da tatsächlich ein Unterschenkel in der Bahn liegt." Der Sanitäter sei ohnmächtig geworden, sagt Schwab, Lenz sei im Rettungshubschrauber beim Start in die Klinik auch noch ein nicht gut befestigter Alukoffer auf den Kopf gefallen.

Der Unterschenkel war nicht mehr zu retten. Aber Lenz hat überlebt.

Sechs Tage später war Lenz wieder zu Hause am Königssee, am 7. Januar verfolgte er auf Krücken die Deutsche Meisterschaft an seiner Heimatbahn. Und im Februar führte er als Trainer mit Prothese das deutsche Rodelteam zum nächsten Medaillenregen.

Georg Hackl, Lenz' Ziehsohn und unter ihm dreimal zu Olympiagold gerodelt, habe gleich angerufen, als er nun im Urlaub in Valencia von Lenz' Tod erfuhr, sagt Schwab: "Er war sehr bestürzt." Olympiasieger Felix Loch würdigte Lenz auf Instagram: "Danke Sepp, für alles, was du für unseren Rodelsport getan hast. Du bist und bleibst für uns alle ein großes Vorbild. Wir werden dich vermissen."

Die deutschen Rodler feiern ihren Bundestrainer Sepp Lenz (v.li.: Gabriele Kohlisch, Jens Müller, Jan Behrendt, Stefan Krauße, Georg Hackl und Susi Erdmann). (Foto: Werek/Imago)

Die Welt des Rodelsports verneigt sich nun vor einem ihrer Größten, der das Leben, so schwer es manchmal war, leicht nahm. "Ich war halt eine Sekunde zu spät", sagte Lenz lakonisch über seinen Unfall. Die Prothese wurde ein Teil von ihm, er fuhr mit ihr noch lange Zeit Ski, Mountainbike, und ging fast täglich wandern. Und wenn nicht, dann arbeitete er in internationalen Bobbahnbau-Kommissionen, schaute seinen Enkeln beim Ringen in Berchtesgaden zu oder saß zu Hause zusammen mit seiner Frau Annelies und den drei Töchtern. Die Familie war ihm schon immer heilig.

Den Wiederaufbau seiner 2021 teilweise durch eine Lawine zerstörten Heimatbahn am Königssee wird Lenz, der in der Nacht auf Donnerstag mit 89 Jahren gestorben ist, nun nicht mehr erleben. Und Schwab wird ihr Ritual an Heiligabend vermissen. Immer zwischen 14 Uhr und 15.30 Uhr hat ihn Lenz zu sich nach Hause auf ein Glaserl Rotwein eingeladen, "es war oft warm zu der Zeit, wir haben im Garten gesessen und geratscht", erzählt Schwab: "Über Gott und die Welt und das Rodeln." Über diesen Sport, der so viel Mut erfordert, der hart ist zu allen, die ihn ausüben - der aber Lenz noch mehr gab als ein Blick auf den Watzmann bei Sonnenschein.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusSZ Serie zur Zukunft des Wintersports
:Schnee von morgen

Bald wird es in den Alpen zu warm sein, um im Winter die Pisten zu beschneien. Und dann? Anderswo sind Alternativen zum Schnee schon im Einsatz: Bürsten, Wellen und Kunststoffspaghetti - eine Reise in die Zukunft des Skifahrens.

Von Korbinian Eisenberger

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: