Nachruf:Narrenfreiheit für Künstler

Radomir Antic

Stets lächelnd, stets zugänglich: Als Fußballtrainer huldigte Radomir Antic dem Pragmatismus.

(Foto: imago)

Radomir Antic gelang ein einzigartiges Kunststück: Er trainierte die drei größten Klubs Spaniens.

Von Javier Cáceres

Wer bei Radomir Antic im Madrider Stadtteil Aravaca durch die Tür trat, der hatte beste Chancen, den Hausherrn mit hochgezogenen Beinen auf dem Sofa zu sehen, in kurzen Sporthosen und mit Badelatschen. Vor ihm: Fernbedienungen für Fernseher, Laptops, Tablet und Telefon. Es liefen stets Fußballspiele parallel. Bei einem Besuch sagte er: "Ein Wochenende, an dem ich nicht zwanzig Spiele sehe, ist für mich ein verlorenes Wochenende." An diesem Montag verstarb Antic, und das heißt - so viel Pathos sei erlaubt: nach einem weiteren Wochenende, an dem es auf der ganzen Welt nicht einmal eine Handvoll Fußballspiele gab.

Radomir Antic wurde 1948 in einem Dorf namens Zitiste geboren, als Sohn eines Ehepaars, das sich im Zweiten Weltkrieg im Partisanenkampf gegen die deutschen Besatzer kennen- und liebengelernt hatte und ihm eine nie erloschene Liebe zu Jugoslawien mitgab. Auch Jahre nach der Zerschlagung des Landes im Balkankrieg schwärmte Antic noch von der Sportkultur, die er dort aufgesogen hatte und die ihn, nach Ausflügen zum Amateurboxen, zum Schach und zum Basketball, schließlich zum Fußball brachte.

Antic debütierte als Verteidiger bei Partisan Belgrad, ging dann zu Fenerbahçe Istanbul, wo sie sich auch ein Vierteljahrhundert später noch daran erinnerten, dass er in der Meistersaison 1978 ein mythisches Kopfballtor erzielt hatte: Er hatte bei einem Zweikampf eine Schädelfraktur erlitten. Das wichtigste Tor seiner Karriere aber schoss der Verteidiger Jahre später bei Luton Town: aus 16 Metern gegen Manchester City, vier Minuten vor Schluss des letzten Spieltags, quasi im letzten Moment. Luton Town, heute zweitklassig, blieb damals in der Liga.

Den Engländern blieb das nicht nur deshalb im Gedächtnis, weil es ein spektakulärer, entscheidender Treffer per Direktabnahme war. Sondern weil Lutons Trainer David Pleat danach in einem sandfarbenen Anzug ungelenk jubelnd über den Rasen im Stadion an der Maine Road lief und damit denkwürdige Bilder erzeugte. Eben dieser Pleat erzog Antic dann zu einem Trainer, der dem Pragmatismus huldigte. Er habe Pleat überzeugen wollen, so offensiv zu spielen wie Deutschland in den Siebzigern, erzählte Antic. "Er zeigte auf die Tribünen und sagte: 'So lange die voll sind, haben wir nicht das Recht, was zu ändern.' " Er habe das zunächst nicht verstanden, doch dann übernahm er Pleats Credo: 4-4-2, defensive Struktur, Narrenfreiheit für Künstler, Standards: die Basis seiner Teams.

Als Coach wurde er zweimal Meister mit Partisan (1986, 1987), ging zu Real Saragossa und schließlich als Feuerwehrmann und Nachfolger von Klublegende Alfredo Di Stéfano 1991 zu Real Madrid. Antics Kollege beim Erzrivalen FC Barcelona hieß Johan Cruyff, und der ließ dort einen Fußball von solcher Anmut spielen, dass die Menschen bis heute vom "Dream Team" reden. Antic wurde dann vom damaligen Präsidenten Ramón Mendoza im Januar 1992 entlassen, weil Real Madrid nicht spektakulär genug spielte - obwohl das Team mit drei Punkten Vorsprung Tabellenerster war. Die bittere Pointe: Real verspielte die Meisterschaft am letzten Spieltag. Rund vier Jahre später, nach einem Ausflug zu Real Oviedo, legte Antic sein Meisterwerk hin. Bei Atlético Madrid holte er 1996 das Double, nachdem er aus Griechenland einen Serben namens Milinko Pantic geholt hatte, den kein Mensch kannte. Jesús Gil, damals Atléticos Präsident, engagierte Pantic erst, als Antic ihm versprach, dass er die Hälfte der Ablöse von 500 000 Euro selbst zahlen würde, falls Pantic scheitere. Tat er nicht. Er schoss so gute Freistöße und Ecken, dass ein weiblicher Fan Atléticos immer einen Blumenstrauß an die Eckfahne legte. Da war Antic schon entlassen. Via Oviedo landete er 2003 beim FC Barcelona, bekam dort aber kaum ein halbes Jahr Zeit. Genug, um die einmalige Trilogie zu komplettieren, Trainer der drei großen spanischen Klubs gewesen zu sein.

Gleichwohl blieb er ein stets verschmitzt lächelnder, zugänglicher, großzügiger Mann, frei von herablassenden Gesten. Was vielleicht an seinem Anfang als Fußballprofi lag. Einmal erzählte Antic, wie stolz er war, nach seinem Debüt in der Zeitung zu stehen. Fein, dann wird dich ja heute die ganze Stadt mit aufs Klo nehmen, entgegnete die Mutter trocken. Spanischen Radiohörern war Antic als brillanter Analytiker jahrelang ein treuer Begleiter. Zuletzt registrierte er Handy-Nachrichten noch, aber er antwortete nicht mehr, der Kampf gegen einen Bauchspeicheldrüsenkrebs zehrte ihn auf. "Ein Großer ist gegangen", schrieb die Zeitung El Mundo Deportivo am Dienstag.

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