Süddeutsche Zeitung

Nachruf auf Michael Robinson:Der Mann, der den Pokal an der Kasse vergaß

Der Ire Michael Robinson gewann einst mit dem FC Liverpool den Europapokal der Landesmeister. Doch noch viel bekannter als zuvor als Stürmer wurde er später als Kommentator in Spanien.

Von Javier Cáceres

Am Dienstag setzte sich Graeme Souness, eine Spielerlegende des FC Liverpool, daheim vor seinen Bildschirm und schaffte es, durch eine fast beiläufige Anekdote das perfekte Portrait von Michael Robinson zu zeichnen. Souness, 66, hatte am Morgen vom Tod seines früheren Mannschaftskameraden und Freundes erfahren und erinnerte sich in einer TV-Schalte an einen Anruf, der Jahre zurücklag.

Robinson hatte mit Severiano Ballesteros, dem 2011 verstorbenen, berühmten Golfer, ein Restaurant besucht, zu den aus britischer Sicht unwirtlichen spanischen Essenszeiten. Danach seien sie noch gemeinsam durch Madrid gelaufen, und Robinson feixte, dass sie auf der Straße Autogramme geben mussten: Ballesteros eines, Robinson sechs. Wer je mit Robinson essen war und weiß, dass die Abende stets mit Gin Tonics aus bauchigen Gläsern abgerundet werden mussten, der kann sich die Szenerie gut vorstellen: das Lachen, die Lebensfreude, die Ungläubigkeit über die eigene Bedeutung für andere.

Robinson war als Stürmer keine Legende. Obwohl man ihn nicht gering schätzen sollte: Er trug zwischen 1979 und 1989 die Hemden von Manchester City, Brighton & Hove Albion, FC Liverpool, Queens Park Rangers und - in Spanien - von CA Osasuna. Mit Liverpool (und Souness) holte er 1984 das "Treble" aus Meisterschaft, FA Cup und gegen den AS Rom den Europapokal der Landesmeister. Robinson war immer dankbar dafür, im Finale von Rom als sechster Schütze vorgesehen gewesen zu sein: "Wir haben uns alle in die Hosen gemacht." Er musste nicht mehr antreten, das Elfmeterschießen ging 4:2 an Liverpool. Anschließend wurde gefeiert, ausgiebig. Und zu den running gags von Michael Robinson zählte, dass er am Tag danach noch einmal aus dem Flieger rauslaufen musste: Er hatte seiner Mutter im Duty-Free-Shop Zigaretten gekauft und dabei den Pokal mit den Riesenhenkeln, den man der stolzen Arbeiterstadt präsentieren wollte, an der Kasse vergessen.

"Ein Bildhauer der spanischen Sprache"

Entscheidender als der Sieg von Rom war sein Wechsel nach Spanien. Dass er auf der Landkarte erfolglos nach einem Ort namens Osasuna suchte - der Klub ist in Pamplona beheimatet -, erzählte er später gern; ebenso, dass er seinem Vater berichtete, die Mannschaft sei noch schlechter, als er dachte. "So schlecht, dass sie hier vor den Spielen beten!" Sein Knie war da schon so verschlissen, dass sein Talent als Goalgetter kaum mehr zur Geltung kam. Aber: Er verliebte sich, in das Land und die Sprache, die er im Kreise der Mannschaftskameraden mühsam lernte: "In der Bar schickten sie mich zum Tresen: 'Bestell mal cinco hijos de puta'".

Jedoch: Er lernte sie. Niemals perfekt, er wurde wie der große Johan Cruyff "ein Bildhauer der spanischen Sprache", wie der Schriftsteller und Kolumnist Rafa Cabeleira ihm nun hinterherrief. Robinson war beim Bezahlsender Canal+ über Jahrzehnte ein beliebter Moderator und Kommentator. Chefredakteur Alfredo Relaño schickte ihn immer dann nach England in den Urlaub, wenn er fürchtete, Robinson laufe Gefahr, seinen englischen Akzent zu verlieren. Doch seine putzige Aussprache war nur ein Teil seines Erfolgsgeheimnisses. Der andere war, dass er wie kaum ein Zweiter in Worte packen konnte, was auf einem Fußballplatz geschieht.

"Ich kann meiner Großmutter nicht beibringen, wie man ein Ei brät. Und mir kann ein Schiedsrichter nicht beibringen, welcher Spieler sich fallen lässt. Ich weiß das", sagte er einmal der Zeitung Marca.

Am 12. März 2020 saß er auf der Pressetribüne des Stadions an der Anfield Road

Er vergaß auch nie, wo er herkam. Er wurde in Leicester als Sohn eines Iren geboren, wuchs in Blackpool auf, wo seine Familie ein Hotel führte, das auch Minenarbeiter besuchten. Proleten, die auch aus Liverpool kamen, der Stadt des Klubs seines Herzens, bei dem er just anheuerte, als die britische Premierministerin Margaret Thatcher dem Neoliberalismus zum Siegeszug verhalf, Gruben schloss, ganze Regionen ruinierte. "Liverpool war die einzige Stadt, die ich kannte, in der die Kinder auf der Straße die Hunde bissen", sagte Robinson einmal.

Dass er beim FC Liverpool, dessen Mythos der legendäre Trainer Bill Shankly begründet hatte, spielen durfte, erfüllte ihn mit Stolz: "Bill Shankly sagte, dass es kein Zufall sei, dass unser Jersey rot ist. Shankly hatte ein enormes soziales Gewissen. Er sagte uns, dass wir für die Arbeitslosen, die Werftarbeiter, die Weber spielten. Er paraphrasierte Marx: Fußball sei das Opium des Volkes, und er glaubte daran, dass seine Mannschaft etwas tat, das von gesellschaftlicher Bedeutung war", sagte Robinson bei einer Begegnung in Madrid.

Die Begegnung fand im Mai 2019 statt, Stunden bevor Jürgen Klopp mit Liverpool die Champions League gegen Tottenham gewann. Robinson hatte da längst erfahren, dass er an Krebs erkrankt war. "Der Tod soll mich lebend erwischen", hatte er geschworen, als er seine Krankheit öffentlich gemacht hatte. Es war also nur logisch, dass er am 12. März 2020 auf der Pressetribüne des Stadions an der Anfield Road saß, als Titelverteidiger Liverpool von Atlético Madrid aus der Champions League geworfen wurde und Robinson ein letztes Mal das Lied hörte, das sie ihm nun in Spanien alle nachriefen: "You'll Never Walk Alone". Michael Robinson wurde 61 Jahre alt.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4891372
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 29.04.2020/jki
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.