Nachruf:Institution an der Piste

Wolfgang Weingärtner

Wolfgang Weingärtner prägte von den frühen 50er-Jahren bis 1982 die Sportberichterstattung der Süddeutschen Zeitung.

(Foto: oh)

Wolfgang Weingärtner, langjähriger Wintersport-Reporter der SZ, ist mit 97 Jahren gestorben. Er meisterte stets scheinbar mühelos alle Klippen des Daseins.

Von Michael Gernandt

Auch unter Journalisten, zumal jenen, die sich dem Sport verschrieben haben, gibt es sie: Lebenskünstler, Kollegen, die scheinbar mühelos alle Klippen menschlichen Daseins zu meistern verstehen. Wolfgang Weingärtner war einer von ihnen. Den Krieg als 24-jähriger Soldat der Luftwaffe unversehrt überstanden zu haben, hat er freilich nie als Lebenskunst begriffen. Gleichwohl verwies er später gern auf sein Geschick, beim Dienst in Uniform nicht weiter aufzufallen.

Auffällig geworden ist Weingärtner dann, als er in den frühen 1950er-Jahren über den Umweg eines abgeschlossenen Jurastudiums den Weg zurückfand zum Hobby seiner Jugendzeit. Und damit zum Sportjournalismus, für den ihn ein Bekannter interessieren konnte. Der Leichtathlet Ludwig Koppenwallner, 1947/1948 deutscher Meister im Hochsprung und erster Sportchef der Süddeutschen Zeitung, holte den Jugendmeister von 1938 im Schwimmen und leidenschaftlichen Wasserballer ins Haus.

Fortan rückte das Spiel im Wasser und die bisweilen fiese Balgerei um den Ball mit Kontrahenten wie dem späteren TV-Moderator Harry Valérien in den Hintergrund. Mit Valérien verband Weingärtner eine ewige Freundschaft. Prominent auch ein anderer Gegner im Wasser: der Profi Carlo Pedersoli. Der nannte sich später Bud Spencer und prügelte sich durch diverse Komödien.

Weingärtners Aufstieg (und der einiger später verpflichteter Kollegen) zum Sportredakteur schien ein in der Zunft geläufiges Gerücht zu bestätigen, wonach im SZ-Sport neben anderen Kriterien wenigstens ein bayerischer Meistertitel als Befähigungsnachweis nötig sei. Weingärtner hat diese Mär widerlegt. Zunächst in vitalen Berichten vom Tennis und Schwimmen. Belege für seine außergewöhnliche journalistische Klasse lieferten später besonders Reportagen und Kommentare vom Wintersport.

Dort nannten sie ihn, wie das üblich war: den Skipapst. Der Mann von der SZ war eine Institution an den Pisten, zudem im Verbund mit zwei Kollegen aus Graz und Innsbruck von allen Funktionären gefürchtet. Die Sportler hatte er meist auf seiner Seite, weil er ihre Sache vertrat. Kollegen respektierten ihn. Zuweilen bewunderten sie ihn auch.

Olympische Winterspiele 1976 in Innsbruck: Der Printjournalismus kam damals noch ziemlich kommod daher, die Konkurrenz war überschaubar. Als Rosi Mittermaier ihr zweites Gold gewann, geriet allerdings einiges in Unordnung. Die Schlacht um die Rosi - sie führte den Journalismus in eine neue Dimension. Nur einen ließ die Keilerei um Rosis Wort kalt: Weingärtner wusste als Einziger, in welches Hotelzimmer sich das Golden Girl verdrücken würde. Er nahm dort Platz und übte sich in Geduld. Das einzige Exklusiv-Interview mit Mittermaier stand tags drauf in der SZ.

Bis 1982 stand Wolferl Weingärtner der SZ zu Diensten. Dass er dann von einem Tag auf den anderen den Beruf aufgab und nie wieder eine Zeile veröffentlichte - der Sport selbst mag Anlass für den Rückzug gewesen sein. Er war nicht mehr seine Welt. Stattdessen: Hingabe in die Kunst des Lebens, Enten füttern in der Datscha am Staffelsee, die Natur genießen. Und Sporttreiben. Noch mit über 90 spielte er Fußball, zog seine Bahnen im Hallenbad. Weingärtner schlug dem Alter so manches Schnippchen. Die Hundert hätte er gerne erreicht. Zäh und tapfer kämpfte er bis zum Silvestertag - ein halbes Jahr noch, und er wäre 98 geworden.

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