Süddeutsche Zeitung

Nachruf:Ein Unberechen­barer

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Zum Tod von Manfred Burgsmüller, einem der besten deutschen Stürmer, der nie Torschützenkönig war und mit 38 erstmals Meister wurde.

Von  Freddie Röckenhaus

Männer, die Manfred heißen, sind im Ruhrpott nur als "Manni" bekannt. Und weil Manfred "Manni" Burgsmüller nicht nur einen sperrigen Vor-, sondern auch einen für Anfeuerungsrufe höchst umständlichen Nachnamen hatte, gehörte es zu den ersten Sternstunden der Dortmunder Südtribüne, diesen Namen stattdessen als Lied zu singen: "Manni, Manni, Manni Burgsmülleeer; heeey, Manni, Manni."

Grund, für ihn zu singen, hatten Dortmunds Fans in den sieben Jahren mit Manni oft genug. 135 Mal traf Burgsmüller in der Bundesliga für die damals ziemlich mittelmäßigen Borussen, mehr als je ein anderer Spieler in Schwarz-Gelb. Mehr als Lothar Emmerich, mehr als Michael Zorc, mehr als Robert Lewandowski.

Bis heute ist Burgsmüller mit insgesamt 213 Treffern der viertbeste Torschütze der Bundesliga, ein Typ also, den man im Grunde in sämtlichen Geschichtsbüchern finden müsste. Aber irgendwie war Manni wohl ein zu "komischer Fußballer", wie er sich selbst mal bezeichnete. Kein richtiger Mittelstürmer, aber der beste Torschütze der Bundesliga-Geschichte, der nie Torschützenkönig war. Immer einer, "der am liebsten einen physisch wuchtigen Mann in der Spitze vor sich hatte. Und in dessen Schatten machte er, was er wollte", erinnert sich Mirko Votava, der im Mittelfeld hinter Burgsmüller spielte, erst in Dortmund, später in Bremen.

Votava, der im Trainingslager und bei Auswärtsreisen oft das Zimmer mit Burgsmüller teilte, hatte auch sonst den Eindruck, dass der Dauer-Torschütze immer irgendwie nicht ganz ins System passte. "Ein völlig unberechenbarer Fußballer, witzig, aber überhaupt kein Spaßmacher, einer, der intelligent gespielt hat, eben so, wie er war. Wenn mich irgendein Spieler heute an ihn erinnert, dann vielleicht Claudio Pizarro." Auch Burgsmüller trug, wie heute der Bremer Pizarro, 40, früh das Prädikat des "Schlitzohrs". Im Ruhrpott, wo Burgsmüller in Essen aufwuchs, als dort noch die Schlote der Zechen die Wäsche auf der Leine grau färbten, sind die Mannis oft die Schlitzohren. Typen, die mit einem Grinsen raffiniert Dinge erledigen, die nicht immer ganz erlaubt sind, aber dafür frech und clever - und erfolgreich. Typen wie Manni durften über sich auch mal hören, dass sie "Ganoven" seien, aber das war anerkennend gemeint. "Trainer, die mit mir gut auskommen, sind normalerweise gute Trainer, und die halten sich auch länger", hat Burgsmüller mal gesagt.

Allzu lange aber hielten sich die Trainer mit Burgsmüller meist nicht. In Dortmund durfte er immerhin unter Otto Rehhagel, Udo Lattek und Branko Zebec trainieren, drei der Größten ihrer Zeit. Und gegen den eigenen Präsidenten, der damals schon Reinhard Rauball hieß, musste Burgsmüller gar in einem Freundschaftsspiel antreten. Rauball erinnert sich: "Ich hab unserem Trainer gesagt: Ich will gegen den besten Mann spielen. Das war Burgsmüller. Mir ist das nicht gut bekommen, in der Erinnerung hat Manni drei bis sechs Tore gemacht." Die Profis gewannen 9:0. Burgsmüller riss im Eifer des Gefechts seinem Präsidenten sogar das Halskettchen ab.

Die vielen Tore, die er für Dortmund zwischen 1978 und 1985 schoss, haben Burgsmüller nie zum Torschützenkönig gemacht. "Es war immer einer besser als ich", sagte er dazu bloß. In der Nationalmannschaft waren Dortmunder damals Außenseiter. Als ihn Bundestrainer Helmut Schön endlich doch mal einlud, soll der ihm altväterlich den Ratschlag gegeben haben: "Manni, ich rate Ihnen, auf dem Teppich zu bleiben." Burgsmüller antwortete schlagfertig: "Wieso das? Ich dachte, wir spielen auf Rasen."

Seine DFB-Karriere hat dieses Witzigsein nicht befördert. Manni durfte nur dreimal das Nationaltrikot tragen. Schön befand ihn dann als zu alt für den damals angestrebten Neuaufbau, nach der Generation Beckenbauer-Netzer-Overath.

Da war Burgsmüller 28. Typisch für ihn, dass er zehn Jahre später, mit 38, zum ersten und einzigen Mal deutscher Meister wurde. Trainerlegende Rehhagel suchte einen wie ihn für Werder Bremen. Burgsmüller kickte schon auf dem Altenteil, in der zweiten Liga bei Rot-Weiß Oberhausen. "Der ist topfit", urteilte Rehhagel und holte ihn mit 36 zurück in die erste Liga. Dort mischte er mit, bis er 41 war. Weil es immer noch nicht genug war, hängte er einige Jahre beim Düsseldorfer American-Football Klub "Rhine Fire" an. Seine Kicks beim Extrapunkt waren so präzise, dass man verschmerzen konnte, dass Burgsmüller ein Spargel war - wie sie die schlaksigen, schmalen Männer im Pott nennen.

Burgsmüller war zu seiner besten Zeit der Spitzenverdiener in Dortmund, mit rund 350 000 Mark im Jahr. Amüsant im Vergleich zu heutigen Gagen. Er soll seine Mutter gelegentlich aufgezogen haben: "Du hast mich zwanzig Jahre zu früh gekriegt." Seine Versuche im Geschäftsleben, nach Fußball und Football, sollen nur in Maßen erfolgreich gewesen sein. Mit dem BVB hielt sich der Kontakt in Grenzen, obwohl ihm der Klub ein Abschiedsspiel spendiert hatte, viele Jahre nach seinem Abschied aus Dortmund. Seine Ehe ging 2000 in die Brüche, in den letzten Jahren ging Manni im wahrsten Sinne am Stock. Ein Tritt des Münchner Weltmeister-Spielers Katsche Schwarzenbeck soll sein Fußgelenk früh ramponiert haben. Die Arthrose machte Manni am Ende schwer zu schaffen. "Damals," hat er gesagt, "gab es kein Kernspin und so, da zählte erst ein glatter Bruch als Verletzung."

Am Samstag wurde Dortmunds größter Torjäger tot in seiner Wohnung in Essen gefunden. Ein Herzinfarkt soll es gewesen sein. Manni wurde 69 Jahre alt. In Dortmund beweinen sie solche wie ihn besonders laut. Wahrscheinlich, weil er einfach einer von ihnen war. Ein ganz normales Schlitzohr.

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Quelle:
SZ vom 22.05.2019
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