Nachruf:Der die Wunden flickte

Legendary boxing trainer Jimmy Glenn sits next to memorabilia inside his Times Square bar JimmyâÄÖs Corner in New York

An seinem Lieblingsplatz: Jimmy Glenn zwischen Bildern, Pokalen und Erinnerungen in seiner New Yorker Bar, Jimmy’s Corner.

(Foto: Andrees Latif/Reuters)

Cutman, Trainer und Kneipenwirt in einem Höllenloch - Jimmy Glenn war eine New Yorker Institution. Nun ist er 89-jährig gestorben

Von Christian Zaschke, New York

Wenn Jimmy Glenn, in der Regel gegen zehn Uhr abends, seine Bar namens "Jimmy's Corner" betrat, in der 44th Street unweit des Times Square gelegen, teilte sich die Menge, die um diese Zeit normalerweise in drei Reihen vor dem Tresen stand. Mehr als 80 Jahre alt, auf einem Stock gestützt und trotzdem erhaben schritt Glenn durch den Laden. Er schüttelte Hände, er ließ sich geduldig fotografieren, schließlich setzte er sich im hinteren Teil der Bar an einen Tisch und schaute zufrieden auf die Menge. Es war, als wäre der Pate anwesend, wiewohl: der gute Pate.

Jimmy Glenn war eine New Yorker Institution. Er stammt aus North Carolina und kam 1944 in die Stadt. Zunächst versuchte er sich als Amateurboxer. "Ich wusste, wie man boxt, aber ich hatte keinen besonders harten Schlag", erzählte er einmal. Eine seiner beiden Niederlagen als Amateur fügte ihm Floyd Patterson zu, der später Weltmeister im Schwergewicht wurde. Glenn büßte einen Zahn ein in dem Kampf. "Ich habe den Kampf verloren", sagte er der New York Post, "aber ich habe bis zum Ende durchgehalten."

Er wurde dann Trainer und Cutman, also einer jener Männer, die den Boxern während des Kampfes die Wunden im Gesicht eilig zusammenflicken. Glenn trainierte im Laufe der Jahre Hunderte Kinder in Harlem, und er arbeitete mit vielen namhaften Boxern, darunter Patterson, Terrence Alli, Ralph Correa, Jameel McCline oder John Meekins. In den Siebzigern eröffnete er das Times Square Boxing Gym, und wann immer Muhammad Ali in der Stadt war, trainierte er dort. Der Promoter Lou DiBella nennt Glenn "eine Ikone und eine Legende" des Boxens.

1971 eröffnete er Jimmy's Corner in der 44th Street. Die Gegend um den Times Square war damals nicht das Disneyland, das sie heute ist, sondern ein ziemliches Höllenloch, in dem Drogen mehr oder weniger offen verkauft wurden, in dem Zuhälter und Prostituierte lautstark auf der Straße diskutierten, und in dem man nachts immer damit rechnen musste, überfallen zu werden. Diese alte New York wird heute gern verklärt. Die Leute erinnern sich eher an die rohe Energie als an die Tatsache, dass die Gegend reichlich dystopisch war und vor allem gefährlich.

Der Times Square ist heute ein lächerliches Ensemble aus Touristenläden und blinkenden Lichtern, aber mittendrin liegt immer noch, nahezu unverändert, Jimmy's Corner. Es gibt in dem Laden nichts zu essen, und ein Bier kostet drei Dollar. In der Jukebox gibt es Soul, Funk und R&B. Punkt. Glenns Sohn Adam erzählte in einem Fernsehinterview, dass in der Jukebox kein einziger Song zu finden sei, den sein Vater nicht möge. Das sei die Regel: Jimmy müsse die Songs gut finden, sonst werden sie in der Bar nicht gespielt.

Vor allem aber ist Jimmy's Corner ein Schrein des Boxens. Unzählige Fotos zeigen Größen des Sports, oft mit Glenn, Poster künden Kämpfe aus vergangener Zeit an, es gibt eine Glocke aus dem Madison Square Garden und natürlich Handschuhe an der Wand. Unweit der Kasse hängt ein Bild von Robert De Niro, der im Film "Wie ein wilder Stier" den Boxer Jake La Motta spielt - einige Szenen wurden in Jimmy's Corner gedreht. De Niro zählt zu den prominenten Gästen, die hin und wieder vorbeischauten. Frank Sinatra war mal da, ebenso Sammy Davis Jr. und Michael Jordan. De Niro, so erzählt es Glenn, habe gern in einer Ecke gesessen und ein Buch gelesen.

Seit einigen Jahren führt Adam Glenn die Geschäfte. Er hat einen Abschluss von der Harvard Law School und eine Weile als Anwalt gearbeitet, aber dann beschloss er, dass es wichtiger sei, die Bar seines Vaters am Leben zu halten. Mit dieser Bar hat sich Jimmy Glenn zu Lebzeiten ein Denkmal gesetzt. Seit Mitte April hatte er im Krankenhaus um sein Leben gekämpft. Am Donnerstag ist er im Alter von 89 Jahren in New York City an den Folgen von Covid-19 gestorben.

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