In den 1970er Jahren, als Franz Beckenbauer, Paul Breitner und Sepp Maier noch in schwarz-weiß für den FC Bayern spielten, jedenfalls auf den Fotos in den Zeitungen, kamen immer am Sonntagvormittag die Münchner Sportfotografen ins Redaktionsgebäude der Süddeutschen Zeitung und legten ihre Abzüge vom letzten Spiel auf den Tisch; die Redakteure wählten dann das aus ihrer Sicht passendste für den Sportteil aus. Einer dieser Fotografen war schon damals Hans Rauchensteiner. Ein freundlicher Mann, stets herzlich hinter seinem beachtlichen Schnauzer hervorlächelnd, so erinnern sich die Kollegen von damals, der nie viel Aufhebens um seine Aufnahmen machte. Was aber auch nie nötig war: Rauchensteiners Bilder sprachen für sich.
"Eine ganz andere Handschrift" sagte man ihm nach, seitdem Rauchensteiner, der Dreher gelernt und Maschinenbautechnik studiert hatte, 1974 seinen sicheren Job bei Siemens schmiss, um bei der Fotoagentur Sven Simon anzuheuern. 1980 machte er sich selbständig.
Er hatte sie alle vor der Kamera: Den Bayern-Torwart Jean-Marie Pfaff, mal nur mit einer Unterhose bekleidet auf dem heimischen Ledersofa, dann in Rom bei einer Papstaudienz. Den finnischen Skispringer Matti Nykänen in der Entzugsklinik, stundenlang saßen sie gemeinsam in der Sauna. Steffi Graf und Boris Becker, Ingemar Stenmark und Norbert Schramm, und immer wieder: die Bayern mit ihren Pokalen, in der Kabine, im Entmüdungsbecken. So nahe wie damals kommt man seinen Motiven als Sportfotograf schon lange nicht mehr.
Hans Rauchensteiner fotografierte trotzdem immer weiter, 18 Olympische Spiele, neun Fußball-Weltmeisterschaften, mehr als 20 Mal Wimbledon. Und Woche für Woche den Münchner Profisport; bei den Basketballern des FC Bayern etwa saß er fast bei jedem Heimspiel auf seinem kleinen Klappsitz rechts vor der ersten Courtside-Reihe.
Eines seiner Bilder, in denen man sich noch heute minutenlang verlieren kann: Walter Junghans 1981, beim Spiel an der Anfield Road in Liverpool. Der Bayern-Torhüter, angespannt, und Tausende angespannte Fan-Gesichter hinter sich. "Wegen der kurzen Optik, einer 300er - die langen Objektive wie heute gab es noch nicht -, musste ich zur Mittellinie bei den Trainerbänken laufen, um näher dran zu sein", hat Rauchensteiner dazu der Abendzeitung erzählt, als 2017 sein Bildband "FC Bayern: Inside" erschien, "nach drei Minuten kamen die Ordner und schickten mich wieder zurück - das Foto aber war gemacht."
Das Licht. Die Stimmung. Dafür hatte Rauchensteiner ein Gefühl wie wenige andere. 1978 gewann er den 1. Preis beim World Press Photo, zweimal schoss er das "Sportfoto des Jahres".
An diesem Samstag war Hans Rauchensteiner in der Allianz Arena beim Heimspiel der Bayern gegen Borussia Dortmund im Einsatz. Kurz nach dem Spiel ist er im Alter von 72 Jahren gestorben. Er hinterlässt seine Frau Hanne, ebenfalls Fotografin, und einen Sohn. Zehn Bilder vom Spiel sind bei der Süddeutschen Zeitung noch im Foto-System eingelaufen, heute geht das per Knopfdruck am Laptop, niemand muss dafür mehr am Sonntag in die Redaktion kommen. Haaland jubelt. Goretzka verfolgt Dahoud. Hitz reklamiert Abseits. Es sind die letzten Bilder von Hans Rauchensteiner, der es verstand, den Sport zu Bildern werden zu lassen, wie kaum jemand sonst.