Nachruf auf Sascha Lewandowski:Täglich 25 Stunden Fußball im Kopf

  • Sascha Lewandowski war ein großer Fußballfachmann - vor allem in Leverkusen hat er viel bewegt.
  • Der Tod des früheren Bayer-Trainers erschüttert die Bundesliga.
  • Erst im Februar dieses Jahres musste er wegen eines Burn-outs seinen Job bei Union Berlin aufgeben.

Von Sebastian Fischer

Das Trainingszentrum der Nachwuchsfußballer von Bayer Leverkusen ist nicht glamourös. Es liegt an der Kölner Stadtgrenze gleich an einer Hauptverkehrsstraße, neben einem riesigen Parkplatz und dem Flughafen eines Luftsportklubs. Ging man dort vor ein paar Jahren durch eine Glastür, die Treppe hinauf und geradeaus, betrat man ein einfaches Büro.

Es war weder besonders unordentlich noch aufgeräumt, nicht aufwendig verziert, an der Wand hingen Trainingspläne und Tabellen, Papierstapel auf dem Schreibtisch. Es bot sich hier aber ein uneingeschränkter Blick auf Rasenplätze von sattem Grün. Wer dort am Fenster stand, konnte sehen, ob der linke Verteidiger der Leverkusener B-Jugend bei eigenem Angriff auf die Höhe des Torpfostens ins Spielfeld rückte. Wer dort stand, konnte auch sehen, ob sich der Sechser der Leverkusener A-Jugend in den richtigen Lücken zeigte, um angespielt zu werden.

Für die meisten Menschen klingt das langweilig, und so ein Büro wäre für sie ein höchst unbefriedigender Ort. Für Sascha Lewandowski war dieses Büro, der Blick auf den Rasen, der Fußball in seiner reinen, unschuldigen Form: alles.

Dort in Leverkusen wurde er zu einem der am meisten geachteten Fußballexperten in Deutschland. Und dort wurde am Donnerstag, wie überall im Land, um ihn getrauert, nachdem die Polizei Bochum die schreckliche Meldung bestätigte, dass Lewandowski im Alter von 44 Jahren gestorben ist. Er wurde tot in seiner Bochumer Wohnung gefunden. "Es ist für uns alle kaum vorstellbar, dass Sascha tot ist. Er war ein toller Mensch, der all seine Kraft und Leidenschaft in seine Arbeit einbrachte", sagte Sportdirektor Rudi Völler.

2007 kam der gebürtige Dortmunder aus Bochum zu Bayer 04, fünf Jahre lang trainierte er die Leverkusener A-Jugend, er erreichte das Finale um die deutsche Meisterschaft, er ließ taktisch anspruchsvollen Fußball spielen, trainierte Spieler wie Kevin Kampl und den Weltmeister Christoph Kramer. Später arbeitete er als Nachwuchs-Cheftrainer. Er sollte den Stil prägen, der in Leverkusen bis heute gelehrt wird. Er erfand diesen Stil. Und doch blieb er in Leverkusen auch immer ein wenig der Unverstandene.

Seine Gespräche mit Journalisten waren intensiv, obwohl ihm die Präsenz in den Medien eher unangenehm war. Lewandowski war vor seiner Trainerkarriere selbst Journalist gewesen, er lebte mit einer Journalistin zusammen. Er war interessiert, lachte viel, vermittelte ansteckende Energie. Mit Lewandowski über Fußball zu sprechen, war ein Erlebnis. Er konnte sich in Spieler hineindenken, aus ihren Bewegungen lesen, für welche Rollen sie sich auf dem Platz eignen. Er konnte ihren Charakter in ein Mannschaftsgefüge einpassen und daraus in täglicher Arbeit auf dem Trainingsplatz ein Gesamtkunstwerk erschaffen. Er konnte das, sagte man, so gut wie kaum ein anderer. Er war von seinen Fähigkeiten überzeugt, eckte damit manchmal an, auch im Verein. Das, so wirkte es, machte ihm zu schaffen.

Mit Lewandowski über das Fußballgeschäft zu sprechen und darüber, wie er sich darin fühlte, war anders, als über Fußball zu sprechen. Nicht immer so fröhlich. "Der Weg eines Trainers ist intensiv, das darf man nicht unterschätzen", sagte er mal.

Erstaunliche Aussagen im Fernsehen

In Leverkusen bekam er zweimal die Chance, die Profis zu trainieren. Zweimal hatte er Erfolg. Zunächst arbeitete er in einer Doppelspitze mit dem früheren Leverkusener Verteidiger Sami Hyypiä. Lewandowski war das Gehirn, Hyypiä das bekannte Gesicht. Gemeinsam erreichten sie die Champions League, doch die Zusammenarbeit war nicht einfach. "Es ist schon schwierig, das Tag für Tag zu leben", sagte Lewandowski bei einem Auftritt im ZDF-Sportstudio. Im Sommer 2013 ging Lewandowski zurück ins Nachwuchszentrum Kurtekotten.

Zwar stellte er selbst es immer so dar, als wäre der Schritt eine bewusste Entscheidung gewesen, seine Entscheidung. Doch es blieb das Gefühl, dass dort jemand zu so viel mehr fähig wäre, wenn man ihn wirklich wollen würde. Lewandowski übernahm die Mannschaft ein Jahr später noch mal von Hyypiä, er hatte noch mal Erfolg, fünf Spiele lang, und er ging wieder zurück zum Kurtekotten. "Da gibt es einiges für mich zu tun", sagte er. Doch ein Jahr später, im Sommer 2015, wollte er dann wirklich, und Union Berlin wollte ihn als Cheftrainer. Menschen, die ihn näher kannten, überraschte der Schritt.

Doch der stimmungsvollle Klub mit seinen nostalgischen Fans und Lewandowski, der Fußball-Verrückte aus dem Ruhrgebiet, der stets im Trainingsanzug auftrat - das schien zu passen. Von leidenschaftlichen Fans in Argentinien hat Lewandowski immer geschwärmt, und von der Südtribüne in Dortmund, auf der er früher selbst stand. In Berlin stürzte er sich in die Arbeit, wie er es auch in Leverkusen immer getan hatte, es sollte alles perfekt sein. Er denke "24, manchmal 25 Stunden" am Tag über Fußball nach, sagte er.

Das Team wurde seinen Ansprüchen oftmals nicht gerecht, doch er schraubte sie nicht zurück, sondern arbeitete noch mehr - bis er nicht mehr konnte. Im Februar wurde er mit Burn-out-Syndrom krankgeschrieben. Im März wurde sein Vertrag in Berlin aufgelöst. Danach hörte man nichts mehr, wartete auf eine Meldung der Genesung. "Wir alle hatten gehofft, ihn im Sommer wieder auf einer Trainerbank zu sehen", sagte Michael Schade, der Leverkusener Geschäftsführer.

Es gibt ein Bild von Sascha Lewandowski, das am Donnerstag auf Twitter geteilt wurde. Es ist ein Bild, wie er in Erinnerung bleiben wird. Er steht dort mit einem strahlenden Lachen im Gesicht auf einem perfekt geschnittenen Fußballrasen, und neben ihm steht Heinz Böhnke, ein ewiger Fan von Union. Wahrscheinlich haben sie über Fußball gesprochen.

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