Süddeutsche Zeitung

Nachruf:Abschied von Dr. Hammer

Bernd Nickel wurde mit einer sagenhaften Schusstechnik zur Bundesliga-Legende: Er zirkelte aus allen Himmelsrichtungen des Waldstadions Eckbälle direkt ins Tor - nun ist er im Alter von 72 Jahren gestorben.

Von Javier Cáceres, Berlin

Es gibt nicht so viele Tore, von denen man fast schon zwingend sagen muss: Ohne sie wäre die Bundesligageschichte anders verlaufen. Eines davon war ein Seitfallzieher von Bernd Nickel für Eintracht Frankfurt, es wurde zum "Tor des Monats" gewählt, im Mai 1971. Ohne diesen Treffer, am vorletzten Spieltag im Stadion am Bieberer Berg, hätte die Eintracht kaum mit 2:0 in Offenbach gewonnen, sie wäre dann womöglich anstelle der Kickers abgestiegen, und dann wäre Horst-Gregorio Canellas, damals Präsident von Kickers Offenbach, mutmaßlich nie auf die Idee gekommen, im Juni 1971 den Bundesliga-Skandal um verschobene Spiele aufzudecken.

In jener Zeit war Nickel bereits als "Dr. Hammer" bekannt, der verstorbene Torwart Hans Tilkowski hatte ihm den Alias-Namen verpasst, der eine Verneigung vor seiner sagenhaften Schusstechnik war. "Er war ein bezaubernder Fußballer", sagte am Mittwoch Jürgen Grabowski am Telefon und schwärmte neuerlich von Nickels 60-Meter-Pässen und den Doppelpass-Orgien bei der SGE. Grabowski, Bernd Hölzenbein und Nickel - das zählte offensiv zum Feinsten, was der Bundesligafußball in den 1970er Jahren zu bieten hatte, drei Pokalsiege und ein Uefa-Cup-Sieg 1980 zeugten davon. Aber: Nickel stand 1974 nicht im Weltmeisterkader und kam überhaupt nur auf ein Länderspiel, auf Malta, was in der Summe wie ein Treppenwitz anmutet. Denn Nickel ist bis heute der Mittelfeldspieler mit den meisten Bundesligatreffern der Geschichte (141 Tore in 426 Spielen) und damit unter den Top 20 der gefährlichsten Schützen.

Vor allem aber hat Nickel, der am Mittwoch, wie die Eintracht mitteilte, nach langer Krankheit im Alter von 72 Jahren starb, einen vielleicht wirklich unnachahmlichen Rekord aufgestellt. Er verwandelte von allen vier Ecken des Frankfurter Waldstadions aus Eckbälle direkt ins Tor. Obwohl er Linksfuß war. Was bedeutete, dass er von den beiden linken Ecken mit dem Außenrist draufhielt, dem Ball einen verrückten Effet verlieh. Ein Opfer war Hermann Rülander von Werder Bremen, der nach Nickels Tor nie wieder Bundesliga spielte, das Spiel ging allerdings auch 2:9 aus. Der zweite Keeper, der sich düpieren ließ, durfte wieder ran: der legendäre Sepp Maier vom FC Bayern. Ob Nickels Faible für direkte Ecken im Team für Ärger sorgten? "Ach was", sagt Grabowski, "wir wussten ja: Er kann das."

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