Nach Vorwurf des Materialdopings:Popow gewinnt Gold über 100 Meter - Czyz Dritter

Der deutsche Sprinter Heinrich Popow zeigt sich unbeeindruckt von den Anschuldigungen seines Teamkollegen und siegt im 100-Meter-Lauf der Unterschenkelamputierten. Vor dem Finale hatte ihm Wojtek Czyz "technisches Doping" vorgeworfen. Popow verwende ein künstliches Knie, das anderen Sportlern vorenthalten werde - das Resultat dürfte die Diskussion nicht beruhigen.

Nach dem Eklat um den Vorwurf des "technischen Dopings" hat Sprinter Heinrich Popow bei den Paralympics sportlich für Furore gesorgt und die 17. Goldmedaille für das deutsche Team gewonnen. Der oberschenkelamputierte Athlet setzte sich am Freitagabend im Finale über 100 Meter in 12,40 Sekunden vor Scott Reardon aus Australien und Wojtek Czyz (12,52) aus Kaiserslautern durch.

Nach Vorwurf des Materialdopings: Wojtek Czyz (re.) gratuliert dem Sieger Heinrich Popow.

Wojtek Czyz (re.) gratuliert dem Sieger Heinrich Popow.

(Foto: AP)

Nach dem Vorlauf hatte Czyz seinem Teamkollegen und Rivalen Popow öffentlich vorgeworfen, mit einem künstlichen Kniegelenk anzutreten, das anderen Sportlern trotz Anfrage vom Ausrüster verwehrt werde. Czyz sagte, er habe eine große Portion "Wut im Bauch".

Der oberschenkelamputierte Popow habe von seinem Ausrüster Ottobock ein künstliches Kniegelenk erhalten, das anderen Athleten bis kurz vor Beginn der Spiele in London vorenthalten worden sei, sagte Czyz am Freitagvormittag. Ein Sprecher des Prothesen-Bauers wies die Vorwürfe als haltlos zurück. Czyz erzählte, er und andere Sportler hätten schon vor Monaten eine Anfrage gestellt, um das Knie-Modell zu kaufen.

"Da wurde mir gesagt, dieses Knie ist reserviert für Heinrich Popow", sagte Czyz. "Das ist für mich die Paradedisziplin technisches Doping." Ottobock-Sprecher Rüdiger Herzog bezeichnete die Anschuldigung als "Psychoterror" und betonte: "Wir sind Partner der Paralympics und halten uns an die Regeln. Das Knie ist seit langem erhältlich."

Das ist der entscheidende Punkt in dem Streit: Dass das Gelenk wie vorgeschrieben vor Start der Spiele erhältlich war, räumte selbst Czyz ein. Allerdings sei die Markteinführung so kurz vor den Paralympics erfolgt, dass es für Athleten schlicht unmöglich war, sich rechtzeitig an das Knie zu gewöhnen. Popow, der bei Ottobock unter Vertrag steht, laufe als einziger Athlet in London mit der Prothese und habe damit auch schon lange trainieren können.

Die Vorteile seien eklatant: "Wenn ein Athlet seine 200-Meter-Zeit um sieben Zehntelsekunden verbessert, spricht das Bände", meinte Czyz. Selbst Popows Trainer habe zugegeben, dass solche Bauteile ein Jahr vor den Spielen erhältlich sein müssten. Er wolle seinem Rivalen "nichts Böses, aber die Chancengleichheit muss da sein", forderte der Kaiserslauterer. Im Paralympics-Sprinterfeld sei der Unmut groß.

Popow bezeichnete die Vorwürfe als "totalen Humbug" und "ein typisches Psychospielchen von Wojtek." Der Bronzemedaillengewinner über die 200-Meter-Strecke war am Vormittag 100-Meter-Vorlauf-Bestzeit gelaufen und hatte dabei Scott Reardon aus Australien und Czyz hinter sich gelassen. Das Finale steigt am Abend. Freude über die drittbeste Zeit wollte bei Czyz nicht aufkommen.

Mit einer Schimpftirade in den Katakomben des Olympiastadions rückte er das Thema Fairness bei den Paralympics mal wieder in den Fokus. "Wenn man sich so einen Vorteil verschafft, dann ist das für mich kein paralympischer Sport, sondern einfach eine Materialschlacht. Dann gewinnt nicht mehr der beste Athlet, sondern der mit dem besten Material. Wenn das der Fall ist, dann gute Nacht."

Im Team reagierte man mit Befremden auf den Auftritt von Czyz. Der deutsche Chef de Mission Karl Quade sagte der Nachrichtenagentur dpa: "Das ist schade. Aber ich kann das nicht verhindern. Die Athleten sind erwachsen und kriegen auch keinen Maulkorb." Er wollte Czyz und dessen Trainer nun zu einem klärenden Gespräch einbestellen.

Wojtek Czyz indes ist immer für eine Schlagzeile gut. Egal, um welches Thema es geht, der oberschenkelamputierte Leichtathlet hat meist etwas zu sagen - selten ist es positiv. Während der laufenden paralympischen Spiele wetterte er bereits gegen eine unfaire Prämienausschüttung und das undifferenzierte Klassifizierungssystem. Doch dabei ging es immer gegen das System, persönliche Vorwürfe waren dem 32-Jährigen bislang fremd.

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