Nach Massenunfall in der Formel 1:Hoffen auf das Kampfjet-Cockpit

Erstmals seit 18 Jahren sperrt die Formel 1 wieder einen Fahrer: Romain Grosjean, dessen Rennwagen beinahe auf Fernando Alonso gekracht wäre. Der Unfall zeigt, dass die offenen Cockpits das größte Sicherheitsrisiko für die Fahrer darstellen. Cockpit-Hauben könnten die Formel 1 sicherer machen - doch ihr Einsatz ist umstritten.

Michael Neudecker, Spa-Francorchamps

Die Lastwagen und Gabelstapler blockierten schon die Straße durch das Fahrerlager, der Abbau der mobilen Team-Paläste beginnt nach so einem Formel-1-Rennen ja immer recht schnell, aber Kamui Kobayashi hatte noch etwas zu sagen. Er stand da vor dem natürlich gänzlich weißen Motorhome des Sauber-Rennstalls, er sagte, er habe sich gewundert, weshalb er in diesem Rennen nicht schneller habe fahren können und also nur 13. wurde, er habe ja während des Rennens keinerlei Beschädigung seines Autos feststellen können, nun, abgesehen von "einem Reifenabdruck auf meinem Cockpit".

Nach Massenunfall in der Formel 1: Schlimmer Unfall in Spa: Romain Grosjean.

Schlimmer Unfall in Spa: Romain Grosjean.

(Foto: AFP)

Erst, als er seinen Wagen nach der Zieldurchfahrt abgestellt habe, sagte Kamui Kobayashi, erst dann habe er gesehen, was das Problem gewesen sein könnte: "Große Teile des Seitenkastens und andere Karosserieteile haben gefehlt." Bei Sauber sagen sie, Kamui Kobayashi aus Amagasaki sei ein wirklich witziger Typ, er habe einen wunderbaren Humor, aber das mit dem halben Auto jetzt war kein Witz. Der Sonntag in Spa war kein Tag für Witze.

Schwer zu sagen, von wem der Reifenabdruck auf Kobayashis Auto stammte, es war ziemlich unübersichtlich gewesen in der ersten Kurve nach dem Start, vermutlich aber waren es die Reifen des Lotus von Romain Grosjean. Romain Grosjean hatte in der ersten Kurve, ein paar Meter nach der Startlinie nur, eine heftige Massenkarambolage verursacht, indem er Lewis Hamilton in die Seite fuhr; eine Karambolage, wie sie glücklicherweise eher selten ist in der Formel 1. Grosjeans Wagen flog dabei durch die Luft wie ein Spielzeugauto, das ein erbostes Kind von sich geschleudert hat, er flog keinen Meter an Fernando Alonsos Helm vorbei.

"Kleiner Fehler, aber ein großer Unfall"

Alonso saß danach länger regungslos in seinem Auto, offensichtlich geschockt, es war schlichtweg gewaltiges Glück, dass er später nur ein wenig über Rückenschmerzen klagte. Mehrere Autos, darunter jenes von Kobayashi, wurden beschädigt, vier erlitten einen Totalschaden, neben dem von Grosjean und dem des WM-Führenden Alonso noch der Bolide von Kobayashis Teamkollegen Sergio Perez und der von Lewis Hamilton. "Die Fia muss reagieren", sagte Sauber-Teamchefin Monisha Kaltenborn kurz nach dem Rennen, Minuten später folgte dann schon die Reaktion des Weltverbandes: Grosjean wurde für ein Rennen gesperrt und mit einer Geldstrafe von 50 000 Euro belegt.

Geldstrafen gegen Fahrer oder Teams gibt es nahezu an jedem Rennwochenende, aber Suspendierungen? Der letzte, der gesperrt wurde, ebenfalls für ein Rennen, war der Finne Mika Häkkinen, das war 1994. Vor 18 Jahren.

Grosjean selbst hielt die Strafe zwar für "etwas hart", entschuldigte sich aber bei Alonso und den anderen Kollegen: Er habe die Lücke zwischen Hamilton und ihm selbst falsch beurteilt. "Es war ein kleiner Fehler, aber ein großer Unfall", sagte Romain Grosjean. In der Urteilsbegründung der Fia hieß es: Der Fahrer habe "einen extrem schwerwiegenden Fehler" begangen, weshalb es sich um "einen extrem schwerwiegenden Fall von Regelbruch" gehandelt habe, der "das Potenzial hatte, andere Fahrer zu verletzen". Zumal Grosjean, der gerade seine erste volle Saison in der Formel 1 absolviert, nicht zum ersten Mal in einen Unfall verwickelt war. Sondern zum siebten Mal. Im zwölften Rennen. Und jedes Mal in Runde eins.

Fia experimentiert mit Cockpit-Hauben

In Melbourne, beim Saisonauftakt, kollidierte der 26-jährige Franzose in der ersten Runde mit Pastor Maldonado und schied aus. In Sepang/Malaysia, beim zweiten Rennen, fuhr er Michael Schumacher in der ersten Runde gegen das Hinterrad und schied dann nach einem Fahrfehler ohne Fremdeinwirkung in der vierten Runde aus. Beim fünften Rennen in Barcelona berührte Grosjeans Wagen den Sauber von Sergio Perez am Hinterrad, Perez verlor durch die nötig gewordene Reparatur mehrere Plätze, konnte aber wie Grosjean immerhin weiterfahren.

In Monaco stieß Grosjean kurz nach dem Start mit Schumacher und Kobayashi zusammen, für Kobayashi und Grosjean war das Rennen damit beendet. In Silverstone zerfetzte er mit dem Frontflügel das Hinterrad von Paul di Resta, der Schotte musste aufgeben, Grosjean kam später als Sechster ins Ziel. In Hockenheim geriet er in der ersten Runde mit Bruno Senna aneinander und wurde schließlich 18., und nun also der Unfall in Spa. Die Strafe sei zwar "streng", befand Lotus-Teamchef Eric Boullier, aber sie könne Grosjean "helfen, zu lernen und es in Zukunft besser zu machen".

Weil die Branche sich aber nicht nur auf die Lernfähigkeit ihrer Fahrer verlassen kann, beschäftigt sie sich immer wieder auch mit dem Schutz des Cockpits: Es ist ja immer noch offen, der Kopf des Fahrers ist nur durch einen Helm geschützt. Die Fia experimentiert seit einiger Zeit mit Cockpit-Hauben, komplett geschlossenen oder halb geöffneten Varianten, vergangenes Jahr etwa wurde in einem Test unter anderem eine transparente Haube eines F-16-Kampfjets mit einem 20 Kilogramm schweren Reifen beschossen.

Rennauto mit Kampfjet-Haube

Der Reifen prallte mit 225 km/h gegen die Haube, sie überstand den Test unbeschadet, und doch dürfte es noch dauern, ehe ernsthaft erwogen wird, das Cockpit zu bedecken. Es gibt einfach noch zu viele ungeklärte Fragen, die der Bergung des Fahrers im Notfall etwa, oder auch die Frage, wie die Scheibe während der Fahrt von möglicher Verschmutzung, etwa durch Öl, gereinigt werden kann. Und, nicht zuletzt: Einer der Piloten gab damals zu, er fände es befremdlich, wenn ein Rennauto aussehe wie ein Kampfjet.

So weit ist es noch nicht, noch bleibt in solchen Fällen nichts, als an die Vernunft zu appellieren. "Bestimmte Fahrer", befand Fernando Alonso, "sollten versuchen, beim Start weniger Risiko einzugehen." Ansonsten aber, ergänzte er, freue er sich schon auf Monza, das nächste Rennen am kommenden Wochenende. Es ist das Heimrennen für Ferrari, und Romain Grosjean ist in Monza ja auch nicht dabei.

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