Süddeutsche Zeitung

Nach der Fan-Randale in Dortmund:Vergebliches Werkeln an der Lösung

Law and Order oder Dialog? Nach den Ausschreitungen beim Ruhrpott-Derby streiten Liga, Vereine, Fans und Politik darüber, wie dem Problem der Stadiongewalt wirksam begegnet werden kann. Von einem gemeinsamen Vorgehen ist der Fußball weit entfernt - das neue Sicherheitskonzept der Innenminister kommt nicht überall gut an.

Boris Herrmann

Reinhard Rauball hat vor einiger Zeit eine unmissverständliche Theorie in Sachen Kampf gegen Stadiongewalt kundgetan. Es verwundert kaum, dass er als Präsident der Deutschen Fußball Liga (DFL) dabei vor allem das Gesamtgebilde im Blick hatte. Rauball sagte: "Das gemeinsame Vorgehen ist das A und O bei diesem Thema. Nur so kann das Vorhaben Erfolg haben."

Ein flüchtiger Blick auf die Realitäten in Fußballdeutschland genügt allerdings, um festzustellen: Von einem gemeinsamen Vorgehen kann keine Rede sein. Wenn nicht alles täuscht, ist es sogar so, dass die jüngsten Krawalle beim Ruhrpott-Derby in Dortmund, wo Rauball ebenfalls als Präsident amtiert, die Voraussetzungen für gemeinschaftliches Arbeiten noch einmal deutlich erschwert haben.

Bei den offenbar gezielt geplanten Ausschreitungen rund um das Spiel zwischen Borussia Dortmund und Schalke 04 waren am Samstag acht Polizisten verletzt und rund 200 Randalieren festgenommen worden. Nahezu alle Beteiligten - von der Sportpolitik über die Verbände und Vereine bis hin zur großen Mehrheit der friedliebenden Zuschauer - sind sich einig, dass derartige Gewaltexzesse verachtenswert sind. Der Ärger beginnt bei der Frage, wie sie sich künftig verhindern lassen?

Mit einer Universalstrategie aus dem Hause der DFL, glaubt Rauball. Mit regionalen Lösungen, sagt eine wachsende Zahl der Vereine. Mit einem offenen Dialog, argumentieren die Fanvertreter. Mit Law and Order, entgegnen die Politiker.

Damit wäre das Potenzial für ein gemeinsames Vorgehen in etwa umrissen. Die einen, wie etwa Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Lorenz Caffier (CDU), finden, es sei in dieser Sache schon viel zu viel geredet worden. "Jetzt müssen Taten folgen", forderte er am Montag gegenüber der Sport Bild. Die anderen, dazu gehören etwa die Koordinationsstelle für Fanprojekte (KOS), das Bündnis Aktiver Fußballfans (BAFF) aber auch Vereine wie der 1. FC Union Berlin, machen das Problem genau daran fest, dass seitens der Politik viel zu wenig geredet werde.

Vor allem aber: Mit den falschen Leuten, also vorbei an den eigentlich Betroffenen, den echten Fans. Es seien deshalb schon viel zu viele Taten verkündet worden, die sich hinterher als kontraproduktiv erwiesen hätten. Beide Seiten, also die Hardliner und die Basisarbeiter, werfen sich gegenseitig Effekthascherei vor. Und irgendwo dazwischen sitzt im Moment der Ligaverband und werkelt an einem Konzept, das alle zufrieden stellen soll.

Dieses Konzept existiert bislang in Form einer 34-seitigen Powerpoint-Präsentation. Es trägt den schlanken Titel: "Information und Diskussion über weitere Schritte zur Umsetzung der Ergebnisse der Sicherheitskonferenz in Berlin und der Innenministerkonferenz (Sicheres Stadionerlebnis)". Erarbeitet wurde es von einer Kommission, der neben sieben DFL-Mitarbeitern auch sechs Vertreter von deutschen Profivereinen (VfL Bochum, VfB Stuttgart, FC St. Pauli, FC Bayern, Borussia Dortmund und Eintracht Frankfurt) angehören - beziehungsweise angehörten.

Gernot Stenger, der Vizepräsident des FC St. Pauli, war nicht mehr dabei, als sich die Arbeitsgruppe am Montag in Frankfurt am Main traf. Die Vereine waren vom Ligaverband angehalten worden, sich mit ihrer aktiven Fanszene auszutauschen, um bis zur Kommissions-Sitzung am Montag eventuelle Verbesserungsvorschläge zu präsentieren. Stenger hatte von den Anhängern seines Klubs offensichtlich den Verbesserungsvorschlag erhalten, die Kommission unter den gegeben Umständen zu boykottieren. Vor allem deshalb, weil der Gruppe keine Fanvertreter angehörten, weil mithin, wie so oft, über die Fans geredet werde. Und nicht mit den Fans.

Laut Informationen des kicker wollten auch Ansgar Schwenken, Vorstand des VfL Bochum, sowie Matthias Huber, der Organisationschef des VfB Stuttgart, die Kommission verlassen. Beide Klubs dementierten diese Darstellung aber gegenüber der SZ. Bei der Sitzung am Montagmittag in Frankfurt waren Schwenken und Huber anwesend. Der VfB Stuttgart will am Dienstag auf einer Pressekonferenz seine Position zu diesem Thema erläutern.

In dem umstrittenen DFL-Entwurf geht es unter anderem um die Ausweitung von Stadionverboten, um die Möglichkeit, TV-Gelder in Form einer Kaution einzubehalten, um eine Anpassung des Sprengstoffgesetzes im Hinblick auf Pyrotechnik sowie um die sogenannten "Vollkontrollen", bei denen sich Fans vor dem Einlass in die Stadien komplett ausziehen sollen.

Die beiden Berliner Zweitligisten Union und Hertha BSC, der VfL Wolfsburg, Fortuna Düsseldorf sowie der FC St. Pauli lehnten das Maßnahmenpaket in öffentlichen Stellungnahmen ab. Auch Köln und Augsburg äußerten sich kritisch. Union legte ein neunseitiges Schreiben vor, in dem von einem "Sanktionskatalog" die Rede ist, der von der aktiven Fanszene als "eine Art Kriegserklärung" verstanden werde.

Dem Vernehmen nach sollen weitere Klub nach Rücksprache mit ihren Anhängern bei der DFL beschwert haben. Die bisherigen Vorschläge konterkarierten den seit Jahren mühsam betriebenen Dialog mit den aktiven Fans. Auch die Politik kritisiert die DFL - allerdings dafür, dass sie die besprochenen Maßnahmen als Diskussionsgrundlage und nicht als Gesetz betitelte.

Die Chancen, das Maßnahmen-Paket wie geplant auf der Vollversammlung des Ligaverbandes am 12. Dezember einstimmig zu verabschieden, waren ohnehin nicht groß. Mit den Anschlussdebatten zu den Ereignissen von Dortmund sind sie noch einmal deutlich kleiner geworden.

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Quelle:
SZ vom 23.10.2012/jbe
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