Nach dem Dopingfall Pechstein:Verlogene Autonomie

Weil das eigene Anti-Doping-System versagt, steht der Sport sauberer da als er in Wirklichkeit ist. Er lebt gut von diesem Zustand.

Thomas Hahn

Claudia Pechstein bleibt gesperrt. Der internationale Sportgerichtshof hat das Urteil der Internationalen Eisschnelllauf-Union ISU bestätigt, wonach die Blutwerte der Olympiasiegerin Unregelmäßigkeiten aufwiesen, wie sie nur die Folge von Doping sein können. Und das ist eine gute Nachricht für alle kritischen Sportärzte, die längst mehr von den unsauberen Sitten vieler Athleten wissen, als sie anzuzeigen wagen. Mediziner lesen in Blutprofilen wie in offenen Büchern, weil etwa die Schwankungen der Anzahl von roten und jungen roten Blutkörperchen Naturgesetzen folgen.

Nach dem Dopingfall Pechstein: Muss sich den Sportgerichten beugen: Claudia Pechstein.

Muss sich den Sportgerichten beugen: Claudia Pechstein.

(Foto: Foto: ddp)

Jede Abweichung davon bei Leistungssportlern legt Manipulationen nahe, die das Blut als Sauerstoffträger leistungsfähiger machen sollen. Natürliche Erklärungen widersprechen meist der Logik, ohne ganz ausgeschlossen zu sein. Das Cas-Urteil zum Fall Pechstein stärkt den Mut zur Wahrheit, die sich von physiologischen Parametern ablesen lässt.

Die Frage ist, inwiefern sich die AntiDoping-Kämpfer des Sports davon inspirieren lassen und aus den vielen verdächtigen Blutprofilen in ihren Sportlerakten weitere Dopingfälle ableiten. Die Hoffnung darauf ist gering. Die Eisschnellläufer haben Recht bekommen in einem Fall, der offensichtlich klar war. Ansonsten gibt es immer noch genügend juristische Unwägbarkeiten, welche die verschiedenen internationalen Sportverbände gegen den indirekten Dopingnachweis über Blutprofile anführen können.

Und diese Unwägbarkeiten kommen vielen Sportfunktionären sogar entgegen; für die Vermarktung ihres Geschäftsfeldes halten sie einen Anti-Doping-Kampf ohne spektakulären Erfolg eben immer noch für hilfreicher als einen Anti-Doping-Kampf mit spektakulärem Erfolg.

Das Grundproblem bleibt, das Cas-Urteil lenkt davon sogar ab: Die Wahrheit des sich selbst verwaltenden Sports ist eine andere als die gesellschaftliche Wahrheit mit organisierten Banden und einem florierenden Doping-Handel. Die Fahnder des Sports haben nach monatelangem Kampf einen einzigen Fall für sich entschieden. Eine 37-Jährige am Ende ihrer Karriere hat sich beugen müssen. Gleichzeitig meldet die spanische Polizei eine erfolgreiche Razzia gegen einen Dopingring, der zahlreiche Hochleistungssportler versorgte, die nie mit einem positiven Dopingtest aufgefallen sind.

Zu viele Substanzen und Methoden sind nicht nachzuweisen, und das sporteigene Anti-Doping-System verfängt sich in einem absurden Verwaltungsaufwand, der zwar allen Athleten strenge Meldepflichten für Doping-Kontrollen abverlangt, aber die professionellen Sportbetrüger und ihre Hintermänner durchs Netz rutschen lässt. Der Sport wirkt dadurch sauberer, als er in Wirklichkeit ist. Er lebt gut von diesem Zustand, weshalb die meisten Funktionäre auch so verbissen die sogenannte Autonomie des Sports verteidigen. Und weshalb sie das Pechstein-Urteil wohl lieber nicht zum Anlass für eine neue Anti-Doping-Offensive nehmen werden.

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