Nach dem 0:3 gegen Hertha BSC:Wie der HSV langsam zerbröckelt

Hamburger SV - Hertha BSC Berlin

Auch er bekam von den Fans einiges zu hören: HSV-Kapitän Rafael van der Vaart.

(Foto: dpa)

Nichts geht mehr beim HSV: Bei der Niederlage gegen die Hertha gibt die Mannschaft erneut ein schlimmes Bild ab. Die Fans attackieren die Spieler mit roher Gewalt, ein Spieler weint offenbar - Trainer van Marwijk soll vorerst bleiben, doch auch der Name Magath geistert durch die Stadt.

Von Jonas Beckenkamp

Die Hansestädte Bremen und Hamburg sind nur etwas mehr als eine Autostunde voneinander entfernt - und doch wirkte es an diesem Bundesliga-Samstag, als lägen Galaxien zwischen beiden Orten. Sportliche Hochgefühle sind derzeit rar im Norden, sowohl Werder als auch der Hamburger SV muten ihren Fans schwere Leidensmomente zu. Aber es manifestierte sich ein gravierender Unterschied: Während in Bremen nach dem 1:5 (0:2) gegen Dortmund kein einziger Pfiff aus dem Publikum im Stadion zu hören war, versinkt der HSV aufgrund des 0:3 (0:3) gegen Hertha BSC in einem bedenklichen Desaster.

Mit der sechsten Pleite in Serie hat das Team von Trainer Bert van Marwijk einmal mehr unter Beweis gestellt, dass es von Erstligatauglichkeit dieser Tage so weit entfernt ist wie der Hamburger Hafen von der Zugspitze. Besonders in der ersten Halbzeit gab die Mannschaft ein niederschmetterndes Bild ab.

Erst traf Sami Allagui (15. Minute) direkt im Anschluss an einen gehaltenen Elfmeter von Torwart Rene Adler, dann sorgte der Berliner Stürmer Adrian Ramos die Hamburger mit zwei weiteren Toren (23., 38.) für Auflösungserscheinungen beim HSV. "Mir fehlen die Worte", gestand Abwehrchef Heiko Westermann, dem selbst kaum etwas gelang, "wir sind am Anfang viel gelaufen, haben aber den Gegner stärker gemacht."

Richtig glänzen musste die Hertha noch nicht einmal, um die in allen Teilen wackelige HSV-Elf abzuschütteln - die Berliner konnten sich getrost darauf verlassen, dass sich der Tabellen-17. ohnehin selbst schlägt. Bei den Hamburgern kullerten die einfachsten Pässe ins Aus, verunsichert gingen die Profis in die Zweikämpfe, verloren diese zumeist und leisteten sich reihenweise technische Fehler. Die Torgefahr tendierte gegen null. Exemplarisch dafür rannte Jacques Zoua einmal aussichtsreich in den Sechzehner, ehe er schlicht ein Loch in die Luft schlug.

"Dass das heute ganz schlecht war, können wir nicht schön reden. Wir sind in einer Situation, da dürfen wir nicht auseinanderbrechen", sagte Adler, der ein bitteres Comeback nach seiner Verletzung erlebte. "Es klemmt überall. Ich kann nur betonen: Es ist wichtig, dass wir zusammenstehen." Was man halt so sagt, wenn das eigene Team auf dem Rasen zerbröckelt. Nach dem Ende der Partie kam es noch schlimmer: Die Fans protestierten lautstark und attackierten die Mannschaft teilweise sogar gewaltsam. Als einige Spieler gemeinsam mit Klubchef Carl Jarchow vor dem Stadion die aufgebrachte Menge beruhigen wollte, eskalierte die Situation.

"Wir wollen die Mannschaft sehen", schallte es über den Parkplatz, dann skandierten über 200 Demonstranten: "Wir sind Hamburger - und ihr nicht!" Es gab Handgreiflichkeiten, fliegende Eier und Flaschen und wüste Beschimpfungen - nach einem Bericht der Bild-Zeitung feuerte ein Anhänger Stürmer Zoua sogar ein Wurfgeschoss an den Kopf, woraufhin der Kameruner weinend zurück in die Arena begleitet wurde. Während die Mannschaft sich in den Katakomben verschanzte, demolierten Fans die Autos der Profis. Solche Tumulte hatte es selten gegeben in der Bundesliga und zu allem Überfluss prügelte sich der Mob auch noch untereinander.

"Der Trainer bleibt definitiv"

Ein HSV-Anhänger trug eine Verletzung am Kopf davon, die Polizei musste die rivalisierenden Fangruppen trennen und nahm zwei Randalierer vorläufig fest. Das Chaos vor dem Stadion hatte sich da längst auch ins Innenleben des Klubs verlagert. Hauptthema der Debatten zwischen Vorstand und Aufsichtsrat ist Trainer van Marwijk, dessen Verbleib Sportdirektor Oliver Kreuzer nach dem Schlusspfiff demonstrativ unterstrich: "Wir haben kein Trainerproblem, sondern ein Verteidigerproblem. Der Trainer bleibt definitiv." Ähnlich äußerte sich auch Torwart Adler, der betonte, der Coach habe absolute Rückendeckung im Team. "Ihn brauchen wir als führungsstarke Persönlichkeit", sagte der Keeper.

Der Holländer selbst war in den vergangenen zwei Wochen in die Kritik geraten, nachdem er der Mannschaft erst zu viele freie Tage gewährt hatte und sie dann laut Berichten des Boulevards mit den Worten verhöhnte: "Ihr steigt ab - und ich nicht!" Am Samstag klang der Coach resigniert bis erschüttert. "Schlechter kann es fast nicht kommen", sagte van Marwijk, der sich aber den Problemen stellen will.

"Ich laufe nicht weg. Ich fühle mich voll verantwortlich für diese Situation." Ob er dafür überhaupt noch die Chance bekommt, ist fraglich. Wie die Bild-Zeitung am Sonntag berichtet, sollen Teile des Aufsichtsrates gewillt sein, den Vorstand zu einer Entlassung des 61-Jährigen zu zwingen. Jarchow bekräftigte indessen, dass der Trainer bleiben soll. "Wir wollen weiter mit Bert van Marwijk zusammenarbeiten. Ein Trainerwechsel greift zu kurz", sagte Klub-Chef am Sonntag. Man sei zu dem Schluss gekommen, dass der Niederländer die Mannschaft weiter erreiche und einen klaren Plan verfolge, den ersten Abstieg der Vereinsgeschichte zu verhindern.

Sollte van Marwijk doch fliegen, wäre es der zweite Trainer-Rauswurf der laufenden Saison, nachdem zu Beginn der Hinrunde schon Thorsten Fink gehen musste. Damals lag der Hamburger SV auf Platz 15 - mittlerweile ist die Lage noch schlimmer. So schlimm, dass sich auch die Helden von früher alarmiert zeigen. Am Samstagabend erklärte der frühere HSV-Manager Günter Netzer, dass ein Abstieg "selbstverständlich möglich" sei.

"Wenn die Spieler nicht endlich wach werden, ihr Potenzial ausschöpfen und sich ihrer Verantwortung dem Verein gegenüber bewusst werden, kurzum, wenn sie denken, dass es nicht passieren kann, dass sie absteigen, landen sie in der 2. Liga", sagte Netzer.

Und noch ein Name geistert plötzlich wieder durch die Hansestadt: Felix Magath. Der einstige HSV-Profi und spätere Trainer scheint nicht abgeneigt, seinem alten Klub zu helfen. "Wenn mir jemand eine Aufgabe anbieten würde, könnte ich mir Gedanken darüber machen. Bis jetzt ist es nicht passiert", sagte der 60-Jährige dem Radiosender WDR 2. Der Aufsichtsrat soll sich nach Informationen des Hamburger Abendblatt bereits am vergangenen Donnerstag mit Magath getroffen haben. Dabei soll der Coach seine Bereitschaft bekundet haben, kurzzeitig in Doppelfunktion für den Verein arbeiten zu wollen.

Einen möglichen Begleiter in Liga zwei treffen die Hamburger übrigens am kommenden Spieltag: Da geht es zum Tabellenletzten Eintracht Braunschweig. Wenn es dort erneut schief geht, wird aus dem Bundesliga-Dino wohl bald ein Zweitliga-Plüschtier.

(Mit Material von dpa)

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