Mythos Suzuka:Ritt am Limit

Japan Formula One Grand Prix

Vergnügungspark für Rennfahrer: Der Suzuka International Circuit.

(Foto: Diego Azubel/dpa)

Der fast sechs Kilometer lange Kurs in Japan, angelegt in der einmaligen Form einer liegenden Acht, fordert alle Instinkte, Talente, Disziplin. Er gilt als Strecke der Champions.

Von Elmar Brümmer, Suzuka

Im silbernen Ausscheidungsfahren um den Weltmeistertitel der Formel 1 hatten Nico Rosberg und Lewis Hamilton die für Rennfahrer attraktivsten 5,8 Kilometer der ganzen Saison zur Verfügung. Entschieden über die Pole-Position beim Großen Preis von Japan haben am Ende 13 Tausendstel Sekunden zu Gunsten des Wiesbadeners - oder umgerechnet 82 Zentimeter. Zum zehnten Mal in dieser Saison ist damit die erste Startreihe von beiden Mercedes belegt. Auch in den beiden vergangenen Jahren stand WM-Spitzenreiter Rosberg ganz vorn, im Rennen siegte jeweils der britische Rivale.

Der Suzuka International Circuit hat zu Recht die Rolle eines vorentscheidenden Rennens im Kalender. Es die Strecke der Champions. Michael Schumacher hält mit sechs Siegen den Rekord, Sebastian Vettel hat viermal an der Ostküste der Insel Honshu gewonnen, Lewis Hamilton bis heute schon dreimal. Dazu Jenson Button, Fernando Alonso und Kimi Räikkönen. Die fast sechs Kilometer fordern alle Instinkte, Talente, Disziplin der Formel-1-Piloten. Schon die Form des Asphaltbandes ist einmalig, eine liegende Acht. Jede Runde ist von Action im Cockpit geprägt. Es ist so, als wären die Extrempisten von Spa-Franchorchamps, Silverstone und der Nordschleife des Nürburgrings in einem japanischen Vergnügungspark für Rennprofis konzentriert worden. Tatsächlich steht an der Piste, wohl zur Entschleunigung, ein Riesenrad.

So beliebt wie gefürchtet

Kaum eine Formel-1-Rennstrecke ist so beliebt bei den Piloten und so gefürchtet. Sie ist wie gemacht für den permanenten Ritt am Limit. Die unberechenbaren Witterungsbedingungen, geprägt durch den nahen Pazifik, tun ein Übriges. "Es ist schwer in Worte zu fassen, warum es die beste Rennstrecke der Welt ist", findet der Franzose Romain Grosjean, "wahrscheinlich ist es dieser flow. Aber egal, was genau es ist, ich liebe es." Vermutlich das Tempo, in der Spitze jenseits der 320, im Schnitt 226 km/h. Die 18 Kurven sind durch die Form der Acht säuberlich in neun links und neun rechts aufgeteilt, manche gehen tatsächlich mit Tempo 300. Die Esses, die 130 R - die mit Vollgas und an der 300 k/h-Grenze durchfahren wird - oder die Spoon-Kurve sind die tückischsten des Jahres, dazu kommen die Richtungswechsel. Es ist der Mut-Grand-Prix.

"Ein klassischer Fahrerkurs", findet auch Fernando Alonso, "die Konfiguration ist ungewöhnlich, herausfordernd und verzeiht nichts. Deshalb kann man über jede Runde, in der man alles zusammenbringt, zufrieden sein." Eine rasende Fahrschule, oder, wie der Japan-Liebhaber Jenson Button glaubt: "Eine Strecke in einer eigenen Liga, mit allen Elementen, die man braucht, um Spaß beim Fahren zu haben." Der Spanier und der Brite werden an diesem Wochenende von den Fans adoptiert, die noch frenetischer sind als jene in Silverstone oder Monza, was schon etwas heißen will. Auch wenn sich die beiden Routiniers mit dem McLaren-Honda momentan noch mehr quälen als fahren.

Suzuka ist eine Strecke, die aus den Besten offenbar immer noch ein bisschen mehr an Leistung und Leidenschaft heraus kitzelt. Ayrton Senna gewann Rennen und Titel 1988, nachdem er in der ersten Runde schon auf Rang 14 zurückgefallen war. Zwei Jahre später holte sich der legendäre Brasilianer die Krone, indem er dem Rivalen Alain Prost einfach ins Auto fuhr.

"Die Kurven sind purer Wasabi"

Von Honda 1962 als Teststrecke zusammen mit dem Rummelplatz gebaut, ist Suzuka im Gegensatz zu den Retortenkursen des vergangenen Jahrzehnts tatsächlich eine Rennstrecke alter Schule - aber immer noch auf jeder Spielkonsole ein Favorit. Das Portal motorsport-total textete dazu frenetisch: "Suzukas Kurven sind purer Wasabi." Die beiden "Esses" sind in Wirklichkeit drei oder vier Kurven in einer - nur ein kleiner Fehler, und die Runde ist versaut. "Auf dieser Strecke lernt man alle Herausforderungen der Formel 1 kennen", sagt Williams-Technikchef Pat Symonds, "für Ingenieure, Autos, Fahrer und Reifen."

Entsprechend hoch ist die Safety-Car-Quote, zu spät rückte es nur vor zwei Jahren aus, als der Franzose Jules Bianchi in einen Bergungskran gerast war. Der bislang letzte tödliche Unfall in der Königsklasse ist noch immer nicht abgeschlossen, die Eltern versuchen weiterhin, den Veranstaltern eine Mitschuld anzulasten. Der heraufziehende Taifun hatte zum gefürchteten Aquaplaning geführt, sturzbachartig sich das Wasser seinen Weg über die Hügel entlang der Piste gebahnt. Keiner der 22 Fahrer von heute hat das Schicksal des Kollegen vergessen, Daniel Ricciardo widmete ihm am vergangenen Wochenende sogar seinen Sieg.

Aber das Grundprinzip dieses Berufes ist nun mal das Überwinden von Risiken, das wird in jeder der 53 Rennrunden deutlich. "Suzuka ist und bleibt meine absolute Lieblingsstrecke", sprudelt es aus Sebastian Vettel heraus, "für mich ist es sogar die einzig wahre Strecke." Der Traditionalist im Ferrari weiß zu schätzen, dass sich hier diejenigen von den Mitfahrern scheiden, denen das Rennfahren im Blut liegt.

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