Er schlägt erst einen Volley, dann springt er hoch zum Schmetterball. Landet wieder auf dem Boden. Eigentlich eine ganz normale Bewegung im Tennis, doch diesmal sind zahlreiche Kameras auf dem Trainingsplatz im Londoner Queen's Club postiert, auch die Fans schauen ganz genau hin. Der, der da Tennis spielt, heißt Andy Murray. Der 32-Jährige ist tatsächlich wieder da.
Bei den Australian Open im Januar hatte der ehemalige Weltranglistenerste bekannt gegeben, dass er seine Karriere beenden müsse. Die Schmerzen in seiner Hüfte waren zu groß geworden. Murray schluchzte und berichtete auf einer Pressekonferenz, wie er sich kaum noch die Socken selber anziehen könne, nicht mit seinen Kindern spielen, es würde ihm sogar beim Schlafen wehtun. In der ersten Runde wehrte er sich fünf Sätze lang gegen den Spanier Roberto Bautista Agut, er litt, die Zuschauer trieben ihn. Es war ein packendes Match. Viele - auch Murray - dachten: das wohl letzte in seiner Karriere.
Er leidet nicht, er lächelt
Doch fünf Monate später ist der Schotte plötzlich wieder da. Vom Karriereende ist nicht mehr die Rede, stattdessen von einem Neuanfang. Nach den Australian Open ließ er sich von einer Ärztin, die schon Queen Mum operiert hatte, eine Metallplatte ins Hüftgelenk einsetzen. "Der Grund, warum ich diese Operation machte, war nicht, wieder Tennis zu spielen", sagte Murray rückblickend der BBC: "Der Grund war, meine Lebensqualität zu verbessern."
Tatsächlich waren die Schmerzen danach weg. Murray konnte sich wieder die Socken anziehen - und eines Tages nahm er sogar den Tennisschläger zur Hand. Und die neue Hüfte spielte mit. Damit hatte er nicht gerechnet. Auf den Videobildern vom Training auf dem Rasenplatz im Queen's Club sieht man einen Andy Murray, der manchmal noch etwas vorsichtig ist bei den Bewegungen. Der schnelle Richtungswechsel vermeidet, der noch etwas gehemmt läuft. Doch er leidet nicht, er lächelt. An diesem Donnerstag tritt er im Doppel gemeinsam mit dem Spanier Feliciano Lopez an gegen die Topgesetzten Sebastian Cabal und Robert Farah.
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Das gab's noch nie: Erstmals siegt durch das Doppel Krawietz/Mies ein rein deutsches Gespann bei einem Grand-Slam-Turnier - dabei mussten die beiden sich ihren Platz im Hochleistungstennis hart erkämpfen.
Auch beim Grand-Slam-Turnier in Wimbledon, das am 1. Juli beginnt, will er im Doppel teilnehmen. Gegen Ende der Saison möchte Murray, der neben Roger Federer, Rafael Nadal und Novak Djokovic lange Jahre zu den "großen Vier" im Tennis zählte, dann wieder fit genug sein, um auch im Einzel zu starten. Das Karriereende ist verschoben.
Im Queen's Club strahlt Murray eine Leichtigkeit aus, die man von ihm, dem Verbissenen, nicht kennt. Bei Interviews lehnt er sich entspannt zurück, plaudert offen. "Ich will alles viel mehr genießen, verschiedene Dinge erleben", sagte er im Gespräch mit dem Streamingdienst Amazon Prime: "Und mich nicht nur auf das Gewinnen und den Erfolg konzentrieren."
Der Schmerz ist weg, Murray wieder da. Sein Kollege Nick Kyrgios erklärte verblüfft: "Ich sah ihn auf dem Platz gestern. Ich konnte es gar nicht fassen. Er ist ein Kämpfer." Fünf Mal hat Murray das Turnier im Queen's Club gewonnen. Diesmal spielt er nicht um den Titel, sondern es geht um viel mehr.