Freeski:Aus der Jochdohle kopfüber in die Weltspitze

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Platz drei im Big Air, Fünfte im Slopestyle: Die Münchnerin Muriel Mohr kann sich für die WM im März einiges ausrechnen. (Foto: Patrick Steiner/ Gepa pictures/Imago)

Die 18-jährige Muriel Mohr vom Kirchheimer SC startet vielversprechend in die neue Saison: Mit Rang fünf springt im Stubai Zoo beim ersten Weltcup des Winters ihr bislang bestes Slopestyle-Ergebnis heraus.

Von Thomas Becker

Wochenlang hatte sich Muriel Mohr im Stubai Zoo, dem Tiroler Freestyle-Park auf 3000 Metern Höhe, auf diesen ersten Slopestyle-Weltcup des Winters vorbereitet. Doch bis sich am vergangenen Wochenende die Wind- und Wetterverhältnisse am höchsten Punkt des Gletscherskigebiets stabilisiert hatten und die Wettkampfrichter endlich grünes Licht geben konnten, sollten sehr viele Stunden und Tage des Wartens und Sich-Bereithaltens vergehen.

Gar nicht so einfach für die 88 weltbesten Freeskierinnen und Freeskier, denn vor der mit bis zu minus 16 Grad zubeißenden Kälte gab es in diesen Tagen da oben nur eine wärmende Zuflucht: die Jochdohle, nach dem Cafe 3440 im benachbarten Pitztal das höchstgelegene Restaurant Österreichs, in dessen Enge es schnell unangenehm voll werden kann. Korbinian Resenberger, der Teammanager der DSV-Freeskier, beschreibt das Szenario so: „Du fährst morgens um sechs im Dunkeln hoch, bereitest dich vor, dann wird der Wettkampf im Halbstunden-Rhythmus verschoben – und nachmittags um drei schließlich abgesagt.“

Wer da nicht mental stabil ist, tut sich schwer, auf den monströsen Schanzen seine Bestleistung abzurufen. Muriel Mohr, der 18-Jährigen vom Kirchheimer SC, gelang das ganz gut: Mit Rang fünf sprang letztlich ihr bislang bestes Slopestyle-Ergebnis heraus. Die noch bessere Nachricht: Es war sogar noch mehr drin.

Der Karriereweg der jungen Frau aus dem Münchner Osten, die neuerdings an der Uni Innsbruck im Fach Gesundheitswissenschaften eingeschrieben ist, scheint seit Jahr und Tag nur eine Richtung zu kennen: nach oben. 2021: zweimal Silber bei der Junioren-WM der Freestyler. Im Jahr darauf: Weltcup-Debüt, mit 15 Jahren – und gleich mal auf Platz vier. 2023, die nächste Junioren-WM: Gold im Slopestyle. Im Jahr darauf: Gold im Slopestyle, Silber im Big Air, dazu zweimal Bronze bei den Olympischen Jugend-Winterspielen.

Mitte Oktober nun das erste Weltcup-Podium, Platz drei beim Big Air in Chur, und jetzt im Stubai die beste Slopestyle-Platzierung ihrer Karriere – viel Grund zur Freude, zumal der Trainingseffekt des neuen Landing Bags am Bundesstützpunkt in Berchtesgaden wohl erst im kommenden Winter so richtig durchschlagen dürfte. Doch statt himmelhoch jauchzend beschreibt der Teammanager die Stimmung seiner Elevin eher mit gemischten Gefühlen: „Weil sie weiß, dass das Podium drin war.“ Wenn ihr im letzten Training dieses Missgeschick nicht passiert wäre.

Nach dem Wettkampf ging es ohne Pause zum Weltcup nach China, im März wartet die Weltmeisterschaft

Nach tagelangen Wetterkapriolen stand am Samstag endlich fest, dass der Wettkampf stattfinden kann. Die Männer waren zuerst dran, bei besten Bedingungen, die Vincent Veile vom TSV 1860 München nicht nutzen konnte; er landete nach zwei missglückten Durchgängen jenseits der Top 40. Als danach die Frauen an den Start gingen, hatte der Wind wieder zugelegt – und Mohr beim letzten Trainingssprung den Ski in der Luft verloren, als sie beim sogenannten Mute Grab zu heftig an den eigenen Ski gelangt hatte. Den folgenden Sturz überstand sie besser als ihr Helm: Der brach und musste flugs ersetzt werden.

Derart etwas aus der Konzentration gerissen, legte Mohr im Wettkampf zunächst einen besseren Sicherheitssprung hin, verpatzte im zweiten Durchgang die finale Rail-Session und wurde letztlich sehr gute Fünfte, hinter den seit Jahren dominanten Branchengrößen Tess Ledeux, Mathilde Gremaux und Sarah Hoeflin. Es sind nicht viele Punkte, die Muriel Mohr von der absoluten Weltspitze trennen. Wäre es ein Sport mit Hauen und Stechen, würde man von Schlagdistanz sprechen.

Muriel Mohr fliegt trotz großer Probleme auf den fünften Platz im Stubai. (Foto: Sebastian Marko/oh)

Zeit, in der Jochdohle auf das gute Ergebnis anzustoßen, blieb natürlich nicht. Nach dem Wettkampf ging es um halb vier per Gondel ins Tal, ab nach Hause zu Waschmaschine und Trockner, um am nächsten Morgen um halb neun schon wieder am Münchner Flughafen zu stehen: über Amsterdam nach Peking, elf Stunden Flug am Stück. Auch da denkt Mohr mit und investiert das gerade erst gewonnene Preisgeld in ein Upgrade: Economy plus statt Holzklasse. Der Körper wird es ihr danken.

Am Freitag steht auf der Olympia-Anlage von Peking die Qualifikation für den Big-Air-Wettbewerb an, bevor am Sonntag das Finale steigt, das Mohr fest im Blick hat. Eine zünftige Berghütte gibt es in Chinas Hauptstadt natürlich nicht, dafür aber stabilere Verhältnisse als auf einem Tiroler Gletscher, Teammanager Resenberger spricht gar von „Laborbedingungen“. Danach geht es für eine Woche zum Training auf den Corvatsch-Gletscher, wo im März die WM ausgetragen wird. Dem Zufall wollen sie wirklich nichts überlassen – Freestyle-Ski ist ohnehin schon nicht planbar. Wer sonst haut sich kurz vor dem Wettkampf in ein paar Metern Höhe selbst die Ski vom Fuß?

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