European Championships in München:Kernsportarten gehen auf Distanz

European Championships in München: Ein paar neue Wände genügen: Klettern im Rahmen der European Championships in München.

Ein paar neue Wände genügen: Klettern im Rahmen der European Championships in München.

(Foto: Angelika Warmuth/dpa)

Die Idee der Multi-EM klingt verblüffend simpel. Doch schon bei der zweiten Auflage zeigt sich: Es gibt Interessenskonflikte zwischen den Traditionalisten und jungen Disziplinen wie Klettern oder BMX.

Kommentar von Barbara Klimke

Die Nachricht kam aus der Zukunft: Saudi-Arabien hat diese Woche offiziell Interesse an der Austragung einer Multisportveranstaltung hinterlegt. Die Planungen richten sich auf die Asiatischen Winterspiele 2029 in der schönen Stadt Neom. Wer von dieser Megacity bislang wenig gehört hat, dem sei das nachzusehen: Sie wird erst noch gebaut. Am Reißbrett ist neben den Skyscrapern jetzt offenbar auch die saudische Wüsten-Rodelbahn skizziert.

Soweit die Utopie. Im Münchner Hier und Jetzt haben ein paar Lkw-Ladungen Sand genügt, abgekippt am Königsplatz. Temporäre Kletterwände und Tribünen wurden hochgezogen; dem Olympiastadion hat man eine neue Laufbahn spendiert. Die Stadt nutzt, was sie hat, seit einem halben Jahrhundert in Schuss hält oder problemlos ergänzen kann. Das reicht, ganz ohne Baugruben, um rund 4700 Athletinnen und Athleten samt Zuschauern ein elftägiges Sommerspektakel mit neun Sportarten zu präsentieren.

Auch wegen dieses Nachhaltigkeitsansatzes sind die European Championships in kurzer Zeit zu einem Glücksfall für die Sportlandschaft des Kontinents geworden. Schon 2018 bei der Premiere in Glasgow turnten, sprangen und radelten die Sportler über Anlagen, die ihre Tauglichkeit zuvor bei den Commonwealth Games bewiesen hatten. München belebt nun sein architektonisches Olympiaerbe von 1972.

Das Konzept der European Championships, erdacht von Privatunternehmern, nicht von Funktionären, klingt verblüffend simpel: die Europameisterschaften diverser großer und kleinerer Sportarten auf einer gemeinsamen Bühne zusammenführen, um Vermarktung und Fernsehpräsenz zu verbessern. Dafür müssen diese Sportarten auch manch eigene Interessen zurückstellen. Aber schon jetzt, bei der zweiten Auflage, mehren sich die Anzeichen, dass der gute Wille wieder schwindet.

Die Frage ist, ob die Multi-EM nicht sogar gut ohne die Traditionalisten des Wasserbeckens und der Tartanbahn leben kann

Die Schwimmer, eine von sieben Sportarten bei der Uraufführung in Glasgow, sind bereits ausgeschieden. Der offizielle Grund: wettbewerbstechnische Unzulänglichkeiten. Die Olympiaschwimmhalle in München hat seit Mark Spitz' Zeiten nur acht Bahnen. Heutzutage sind zehn Bahnen die internationale Norm. Deshalb kraulen die Schwimmer nun einsam in Rom. Doch es geht auch um Grundsätzlicheres. Für die Teilnahme am Multisportereignis, so heißt es beim Management der European Championships generell, seien gewisse Abstimmungen beim Markennamen, bei der Werbung und beim Zeitplan erforderlich.

Auch eine zweite olympische Kernsportart geht auf Distanz: Die Leichtathleten hatten 2018 im Rahmen der European Championships nicht Glasgow, sondern Berlin als Wettkampfort ausgewählt. Dieses Alleinstellungsmerkmal fehlt nun in München, wo sie nur als eine von neun Sportarten auftreten. Der Europäische Verband (EA) teilt mit, dass gemäß den internen Regularien die Suche nach einem EM-Ausrichter 2026 bereits begonnen hat und zwei Kandidaten Interesse bekunden - als Alleinausrichter. Der Glaube an den Wert einer Multisportveranstaltung sei ungebrochen, heißt es, "aber mit wichtigen Veränderungen".

Kaum hat das Happening unterm Zeltdach begonnen, macht sich also schon leise Abschiedsmelancholie breit. Die Frage ist aber, ob die Multi-EM nicht sogar gut ohne die Traditionalisten des Wasserbeckens und der Tartanbahn leben kann. Statt alle vier Jahre Mini-Olympia mit Schwimmen und Leichtathletik zu zelebrieren, besteht auch die Option, dass sich die übrigen Sportarten von den alten Kernsportarten emanzipieren; und sich als Festival der jungen Disziplinen (Beachvolleyball, BMX oder Klettern) im Verbund mit den uneitlen Arrivierten (Rudern, Kanu oder Tischtennis) neu erfinden. Für das Gelingen wird auch die Akzeptanz der Zuschauer entscheidend sein - und die Frage, wo sich die Tribünen füllen.

Die European Championships sind jung. Sie werden ihre Zukunft finden, mit oder ohne Lagenstaffel und Diskuswurf. Und dafür braucht es nicht mal eine Utopie mit Wüstenrodeln.

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