Münchner Abwehrsorgen vor dem CL-Finale:Irre Grätschen

Jupp Heynckes kritisiert nach der Pokalpleite vor allem jene drei Akteure, die gegen den FC Chelsea gesperrt sind: Gustavo, Badstuber und David Alaba. Damit will der Bayern-Trainer den Druck von jenen nehmen, auf die es im Champions-League-Finale ankommen wird. Dabei gibt es mindestens noch einen weiteren Sorgenfall.

Claudio Catuogno, Berlin

Das waren natürlich ein paar Gegentore zu viel aus Sicht des FC Bayern. Klar, dass nach so einem Spiel die Innenverteidigung in den Fokus rückt. Aber für den hoch gewachsenen Mann, der im Münchner Deckungszentrum seit Jahren Kopf und Knochen hinhält, ist es trotzdem ein erfolgreicher Abend gewesen, und die 381 Zuschauer im Stadion an der Grünwalder Straße haben dann auch brav applaudiert, als Daniel van Buyten in der 61. Minute den Rasen verließ. Beim Stand von 3:0 für den FC Ingolstadt II.

Van Buyten hat am Freitagabend in der Regionalliga Süd sein Comeback gegeben nach langer Verletzungspause (Mittelfußbruch), es war ein ungewohnter Rahmen für einen, der vor zwei Jahren noch im Champions-League-Finale gegen Inter verteidigt hat. Der inzwischen 34-jährige Belgier kann jetzt wieder schmerzfrei Fußball spielen, das ist nicht die schlechteste Neuigkeit.

Aber van Buyten ist wohl trotzdem keine Option für das Spiel der Spiele am Samstag gegen Chelsea. Sein langes Fehlen steht vielmehr exemplarisch für das Dilemma, dem sich Trainer Jupp Heynckes auf der Innenverteidiger-Position gegenübersieht: Er hat die beiden Planstellen zwei Nationalspielern anvertraut, Holger Badstuber und Jérôme Boateng. Und doch betreibt er hier immer wieder Mängelverwaltung.

Heynckes verwies nach dem 2:5 gegen Dortmund darauf, "dass wir in der Bundesliga von allen Mannschaften die wenigsten Gegentore bekommen haben". 22 sind es nur gewesen, drei weniger als der BVB. Und 53 weniger als Köln. Die Rechnung sollte wohl Mut machen für Samstag. Eine belastbare Gegenwartsbeschreibung war sie allerdings nicht nach fünf Gegentreffern und der höchsten Pokal-Niederlage seit 1972 (1:5 gegen Köln).

Den Eindruck versuchte Heynckes auch gar nicht zu erwecken, im Gegenteil. So schonungslos hat man den 67-Jährigen bisher selten über einen Mannschaftsteil herziehen hören. Vom "undisziplinierten" Defensivverhalten reichte seine Analyse, über einen "völlig unnötigen Elfmeter" bis hin zu "atypischen Verhaltensweisen", die ihn "stark irritiert" hätten.

Ob es am Gegner Dortmund lag, fragte man ihn, daran, dass die Schwarz-Gelben bei den Bayern womöglich bereits regelrecht Angstzustände auslösen nach fünf Siegen in Serie? "Nein", versicherte Heynckes aus voller Überzeugung, "daran lag es ganz sicher nicht. Sondern daran, dass wir in der Defensive völlig indisponiert waren."

Etwas bösartig zusammengefasst war die Bayern-Abwehr also deshalb so indisponiert, weil sie indisponiert war. Was fängt man als Trainer nun mit so einer Analyse an?

Der Dortmunder Chefunterhalter Jürgen Klopp hat am Samstag wieder eine dieser zugespitzten Qualitäts-Definitionen seiner "Jungs" geliefert, die trotz ihrer Pointierung den Kern treffen: "Meine Jungs", sagte er, "können richtig gut kicken, aber wenn sie den Ball nicht haben, dann spielen sie, als könnten sie nicht kicken. Dann wollen sie einfach nur verteidigen."

Vielleicht taugt ja so ein Satz auch für die Bayern als Erklärungsversuch: In dieser Radikalität, als gruppendynamisches Gesamtkunstwerk, ist das Abwehrspiel im eher auf Individualität ausgelegten Münchner Gebilde bisher jedenfalls nie verankert worden.

Und so landete man erneut wieder rasch bei den Fehlern einzelner. Bei Luiz Gustavo, dessen Fehlpass in der dritten Minute das Dortmunder Scheibenschießen eröffnete. Schon bei diesem ersten Feindkontakt sah man die Nothelfer Boateng und Badstuber umherumstolpern, was allerdings darüber hinwegtäuschte, dass der erste Schlüsselfehler ein Stück weiter vorne passiert war: Bei Gustavo, der seine Hinterleute eigentlich schützen soll als robuster Sechser - der sie stattdessen aber in Bedrängnis brachte.

Der zweite Schlüsselfehler? Sicher die brachiale Grätsche, mit der Jérôme Boateng nach 40 Minuten Jakub Blaszczykowski von den Beinen holte. Die seriösen Bemühungen der Bayern, nach frühem Gegentreffer und erkämpftem Elfmeter-Ausgleich wieder die Hoheit zu gewinnen, waren damit jäh beendet. Da sei er wohl "dumm hingegangen", gab Boateng reumütig zu, verschwieg allerdings, dass es nicht seine erste irre Grätsche war in dieser Saison.

Bei der Europameisterschaft dürfte ihm Bundestrainer Joachim Löw in der Abwehrmitte wohl auch deshalb den überlegteren Kollegen Badstuber und den Dortmunder Mats Hummels vorziehen, weil beide sein Credo konsequenter beherzigen: Gegner ablaufen! Passwege zustellen! Zwei Grundregeln, die bei Boateng hin und wieder aus dem Hinterstübchen rutschen.

Jupp Heynckes hat nach dem Spiel vor allem jene drei Akteure kritisiert, die gegen Chelsea gesperrt sind: Gustavo, Badstuber und David Alaba. Die drei seien in Berlin noch "mit ihrer Enttäuschung beschäftigt" gewesen. Ein bisschen wollte Heynckes so wohl auch den Druck von jenen nehmen, auf die es am Samstag noch ankommen wird. Boateng muss dann vermutlich mit Anatoli Timoschtschuk verteidigen, einem gelernten Mittelfeldspieler. Wobei: Daniel van Buyten hat nach der Ingolstadt-Pleite mitgeteilt, er würde sich einen Einsatz gegen Chelsea schon zutrauen.

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