München:Zurück in den Lücken

Dass der FC Bayern nach dem 5:0 gegen Wolfsburg wieder die Tabelle anführt, liegt auch an den bewährten Mechanismen des 4-2-3-1-Systems - als zusätzlicher Offensivspieler profitiert davon vor allem Thomas Müller.

Von Benedikt Warmbrunn

Es lief die dritte Minute einer neuen Zeitrechnung, als sich Thomas Müller einen Moment für sich selbst nahm. Der Ball war in der anderen Spielfeldhälfte, also drehte sich Müller um, zu den Anhängern, die seinen Namen sangen, reckte Arm und Daumen in die Höhe, winkte. Und die Fans sangen weiter das Lied von Thomas Müller, dem besten Mann.

Zwölf Minuten später war dieser einseitige Fußballnachmittag vorbei, und wer wollte, der konnte nun wieder Minuten zählen, das Ergebnis wäre allerdings eher enttäuschend: In der neuen Zeitrechnung wartet der beste Mann seit genau 14 Minuten auf ein Tor in der Bundesliga.

Den zweiten Dezember-Samstag 2016 werden sie beim FC Bayern in angenehmer Erinnerung behalten, es war der Tag, an dem gleich zwei für diesen auf seine Unantastbarkeit bedachten Verein ungewöhnliche Serien endeten, Serien, in denen gezählt wurde, wie lange der Erfolg ausgeblieben war. Das eine Ende nahmen sie im Klub mit einer lässigen Selbstverständlichkeit hin; sie wussten, dass nicht sie dafür verantwortlich waren, sondern vor allem der FC Ingolstadt, der 1:0 gegen Leipzig gewonnen hatte: Es war das Ende der Wochen auf dem zweiten Tabellenplatz, drei Spieltage lang mussten sie das ertragen.

Das andere Serienende kommentierten sie ausgiebiger, es ging ja auch um ein Thema, das die Mannschaft länger begleitet hatte. Es lief die 76. Minute der Begegnung gegen den VfL Wolfsburg, Arjen Robben schoss, der Schuss wurde abgefälscht, und auf einmal kam der Ball zu Thomas Müller. Der stand frei, das Tor war leer, er hatte keine Zeit mehr für Gedanken, er hatte nur noch Zeit, um seinen Fuß vorzuschieben. Er schob den Fuß vor. Und der Ball flog ins Tor. "Ein schöner Moment" sei es gewesen, sagte Müller, aber "letztlich nicht weltbewegend", es war ja nur das Ende einer Rechnerei gewesen. Deren bemerkenswertes Ergebnis: Es war Müllers erstes Bundesliga-Tor nach 999 Minuten.

10.12.2016,  Fussball 1.Liga: FC Bayern - Wolfsburg

"Ein schöner Moment für mich, aber letztlich nicht weltbewegend": Thomas Müller erzielt nach 999 Bundesliga-Minuten wieder ein Tor.

(Foto: Bernd Feil/MIS)

Einer hatte gegen ein Tor von Thomas Müller gewettet: Thomas Müller

Dass der FC Bayern in der Tabelle wieder vor Aufsteiger Leipzig steht, dass Thomas Müller wieder ins leere Tor trifft, das waren zwei Nachrichten, die nicht unbedingt etwas miteinander zu tun haben. Und doch passen beide Nachrichten wunderbar in eine weitere Zeitrechnung. Sie passen in die Zeit, in der der neue Trainer Carlo Ancelotti die Mannschaft wieder in dem System spielen lässt, das die Mannschaft selbst bevorzugt.

Schon beim 3:1 am Spieltag zuvor in Mainz sowie in der Champions League beim 1:0 gegen Atlético Madrid hatte der Italiener sein Team in einem 4-2-3-1-System aufgestellt, und nicht in der von ihm zuvor bevorzugten und lange verteidigten 4-3-3-Formation. Auch gegen Wolfsburg blieb er bei der neuen, alten Ausrichtung, nach dem 5:0 (2:0) deutete er an, dass er daran erst einmal festhalten wird, er sagte: "Im Moment fühlen sich die Spieler wohl mit dem System." Kapitän Philipp Lahm bestärkte ihn in diesem Entschluss: "Wir beherrschen beide Varianten, aktuell passt es so vielleicht ein bisschen besser."

Wie wohl sie sich fühlen, das war besonders gut an Thomas Müller zu erkennen, nicht nur wegen dessen Treffer zum 4:0 (76.). Müller, der im 4-3-3 auf die von ihm ungeliebte Flügelposition ausweichen musste, spielt nun wieder als hängende Spitze hinter Robert Lewandowski, er hat wieder die Freiheit für seine spontanen Einfälle, seine unvorhersehbaren Laufwege. In der 37. Minute etwa dribbelte er nach rechts, um dann, plötzlich, ohne zu schauen, den Ball diagonal über die halbe Spielfeldhälfte nach links zu passen, punktgenau auf den Fuß von Franck Ribéry. Er hat nun wieder die Freiheit, sich weit nach hinten zurückfallen zu lassen, um von dort aus in die Lücken zu huschen oder um zentimetergenau zwischen zwei Verteidigern hindurch in den Lauf von Arjen Robben zu spielen, wie in der 82. Minute. "Ich glaube, dass er gegen Mainz und heute auf seiner besten Position gespielt hat", sagte Robben über Müller, "das sieht man ihm auch an. Das ist nicht nur gut für ihn, sondern auch für die Mannschaft: seine Bewegungen, seine Präsenz vorne drin. Das ist super."

Bayern Muenchen v VfL Wolfsburg - Bundesliga

Rot grüßt wieder von ganz oben: Die Spieler des FC Bayern feiern fünf Tore gegen Wolfsburg und die Rückeroberung der Tabellenspitze.

(Foto: Matthias Hangst/Getty)

Müller ist im 4-2-3-1 der zusätzliche vierte Offensivspieler, er ist der, der die gegnerische Abwehr verwirren soll - was gegen die zahmen Wolfsburger allerdings keine Herausforderung war. Auch die Tore durch Robben (18.), Lewandowski (21., 58.) sowie Douglas Costa (86.) begleitete die VfL-Defensive ehrfürchtig. Und doch, verwirrt werden musste auch diese Abwehr, darauf bestand Robben. "Ich glaube, die kleine taktische Umstellung hat dazu beigetragen", sagte er. "Mit Thomas auf der Zehn - das haben wir in der Vergangenheit schon oft gespielt und immer erfolgreich. So kann es weitergehen."

Dass die Müller'sche Serie gegen Wolfsburg enden wird, das wusste zumindest einer schon vorher. Am Freitag hatte Klubboss Karl-Heinz Rummenigge mit seinem Angreifer gewettet, dass dieser wieder treffen werde - Müller willigte in die Wette ein, auch wenn das bedeutete, dass er auf mindestens 14 weitere torlose Minuten setzte. "Ich musste gegen mich sein, sonst hätte es keine Wette gegeben." Es war ein typischer Müller: dass es genau dann wieder läuft, wenn er es nicht vorgesehen hat.

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