Leichtathletik:Entscheidung oder Enteignung

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Der München Marathon 2022 auf der Leopoldstraße. (Foto: Catherina Hess)

Mit einem Zwei-Runden-Konzept hat eine neue GmbH, die mit der LG Stadtwerke verbandelt ist, die Ausschreibung für den München Marathon gewonnen. Der langjährige Veranstalter Gernot Weigl ist sauer auf das KVR – er hat einen Anwalt eingeschaltet und hofft nun auf den Oberbürgermeister.

Von Christian Bernhard

Gernot Weigl schläft dieser Tage wenig, manchmal nur drei Stunden pro Nacht, erzählt er. Seit fast 25 Jahren organisiert der 71-Jährige den München Marathon, auch in diesem Jahr, am 13. Oktober, werden um die 26 000 Läufer durch die Landeshauptstadt laufen. Das ist es aber nicht, was ihm den Schlaf raubt. Es ist die Nachricht, die er kürzlich vom Kreisverwaltungsreferat (KVR) der Stadt München bekam: dass er die nächsten zwei Ausgaben, im Jahr 2025 und 2026, nicht mehr ausrichten darf. Den Zuschlag nach einer öffentlichen Ausschreibung hat die Munich Athletics GmbH bekommen, die mit der LG Stadtwerke, dem größten Leichtathletikverein der Stadt, verbunden ist.

Ein „Niederschlag“ sei diese Nachricht für ihn gewesen, sagt Weigl. Der München Marathon sei sein „Ein und Alles“, sein „Baby“. Weigl ist sauer. Auf das KVR. Und auf die neuen Organisatoren um Jacob Minah, den LG-Stadtwerke-Präsidenten, und Julia Riedl, die „zum Nulltarif eine skandalfreie Veranstaltung“ bekämen, „die unsere Handschrift trägt“.

Weigls Zorn richtet sich hauptsächlich gegen das KVR, das ihn mehrfach hingehalten habe: „Im Mai hieß es, wir bekommen im Juni Bescheid. Im Juni dann, im Juli und im Juli, im August. Am 13. August kam dann die Absage.“ Da waren sein Team und er schon mitten in den Vorbereitungen für die Ausgabe 2025, alleine ein Update der Webseite habe ihn einen fünfstelligen Betrag gekostet. Was Weigl nicht verstehen kann, ist: „Wenn wir 25 Jahre lang in engster Zusammenarbeit mit dem KVR und der Polizei eine perfekte Veranstaltung stemmen, können wir doch nicht wie irgendein No-Name behandelt werden.“ Er möchte eine rechtliche Klärung und hat deshalb eine Anwaltskanzlei eingeschaltet, die bereits in Kontakt mit dem KVR sei. Sorgen bereitet Weigl auch, dass er noch einen zweijährigen Vertrag mit dem Namenssponsor Generali hat, den er jetzt nicht mehr erfüllen kann. Er habe den Konzern darüber unterrichtet, jetzt werde bei Generali beraten, wie man reagiere, erzählt er. Minah findet, einem Unternehmer müsse klar sein, welche Risiken es in Verbindung mit Ausschreibungen gebe. Weigl habe es als „Quasi-Monopol“ angesehen.

Minah und Riedl sitzen in ihrem Büro, als sie über ihre Ambitionen sprechen. Ihr Ziel ist es, den München Marathon „auf ein neues Niveau zu heben“, so steht es auf ihrer Webseite. Frage: Wie soll das konkret aussehen? Minah kontert mit zwei Fragen, die sich sein Team und er dabei stellen: Was interessiert die Münchner Bürger? Und wie kann man das Lauferlebnis noch effektiver gestalten? Ihre erste Antwort darauf ist: Weg von einem Rundkurs, hin zu einem „Zwei-Runden-Konzept“. Und damit ist man bereits bei einem der zentralen Disput-Themen. Für Weigl ist das keine Option, ein Städtemarathon lebe von einem Rundkurs. Punkt. Außerdem, erzählt er, habe er „ein Waterloo erlebt“, als die Marathonläufer vor wenigen Jahren coronabedingt in die langsameren Halbmarathonläufer hineingekommen seien. Bei einem Zwei-Runden-Kurs sei das noch ausgeprägter, da sei kein faires Rennen möglich.

„Wir haben die Ausschreibung genau studiert“, sagt Minah

Um solchen Szenarien zu entgehen, will Minah mit dem Halbmarathon starten, der in den vergangenen Jahren erfahrungsgemäß die größte Teilnehmerzahl hatte. Erst wenn die meisten Halbmarathonläufer im Ziel seien, sollen die Marathonläufer auf die Strecke gehen. „Der große Pulk von Halbmarathon- und Marathon-Läufern wird sich nie sehen“, sagt er. Was die Überholmanöver der Topläufer auf Kosten der langsamsten Läufer betrifft, geht Minah von einer „sehr weitläufigen Verzerrung“ aus. Er erwartet „keinerlei Einschränkungen“. Minah berichtet auch, dass das Feedback „unserer Laufcommunity“ in Bezug auf den bisherigen Ostteil des Marathons „relativ negativ“ gewesen sei, weil es dort wenig Publikum gegeben habe und die Läufer „sehr lange Strecken“ mehr oder weniger auf sich alleine gestellt gewesen seien. Je zentralisierter die Strecke sei, desto besser sei auch das Publikum involviert, so seine Erwartung. Auch das sei ein Grund für das Zwei-Runden-Konzept gewesen.

Der Hauptgrund dafür war aber ein anderer. „Wir haben die Ausschreibung genau studiert“, sagt Minah. Der entnahm er, dass eine Einschränkung der Straßensperren und eine Reduktion der Einschränkungen für den öffentlichen Nahverkehr ein „wichtiges Kriterium“ für das KVR war. Dieses teilte entsprechend mit, dass weniger Streckensperrungen und eine zweimal zu durchlaufende Halbmarathonschleife ausschlaggebend für das Siegerkonzept gewesen seien. Das KVR habe keinerlei Vorgaben in Bezug auf die Streckenwahl gemacht, sagt Minah – und fügt an: Auch die Gewinnaussicht habe eine Rolle bei der Entscheidung für ein Zwei-Runden-Konzept gespielt. Eine kürzere Strecke bedeutet auch weniger Personal für Streckenabsperrungen, das von Sicherheitsunternehmen gestellt werden muss. Ergo: weniger Kosten für die Organisatoren.

Die Kritik, wonach mit einem Zwei-Runden-Konzept keine Rekorde anerkannt würden, weist Minah zurück. Es sei „per se nicht ausgeschlossen“, dass auch ein solches Konzept theoretisch für Weltrekorde in Frage käme. Gleichzeitig betonte er, dass potenzielle Weltrekordläufer „nicht unsere Zielgruppe sind“. Es sei in den vergangenen Jahren „nicht unbedingt gelungen“, die Weltelite nach München zu holen, findet Minah. Sein Ziel ist es, bis Anfang des kommenden Jahres ein zehnköpfiges München-Marathon-Team mit haupt- und teilamtlichen Mitarbeitern auf die Beine zu stellen.

„Bis jetzt war immer klar, dass wir eine Marathonstrecke anbieten“, sagt Weigl

Obwohl es die öffentliche Ausschreibung für den München Marathon seit 2015 gibt, fühle sich die Entscheidung gegen ihn wie eine Enteignung an, sagt Weigl. Warum? „Ganz einfach: Bis jetzt war immer klar, dass wir eine Marathonstrecke anbieten, nicht eine Halbmarathonstrecke.“ Sowohl Weigl als auch Minah betonen, dass sie für Gespräche offen seien, Minah sagt, er wäre bereit, mit Weigl zusammenzuarbeiten, wenn dasselbe Ziel verfolgt würde, „und das ist, die Leichtathletik in München zu stärken“. Wie eine Zusammenarbeit aussehen könnte, müsse Minah erst definieren, entgegnet Weigl. Er werde jedenfalls nicht „der Lakai von Herrn Minah sein“.

Weigl hat eine große Hoffnung: dass er weiter den München Marathon ausrichten kann und Minahs Team einen Halbmarathon im Frühjahr. Das „wäre eine Lösung, aus der jeder mit erhobenem Haupt rausgehen kann“, findet er, „auch das KVR“. Denn eines ist für Weigl klar: Die Stadt München würde mit dem aktuellen Stand der Dinge „nicht mit einem blauen Auge davonkommen“, zu gut sei der Ruf, den sich der München Marathon von Weigl international aufgebaut habe. Weigl verweist auch darauf, dass der Münchner im Gegensatz zu anderen Marathons in großen deutschen Städten, wie Berlin, Hamburg, Frankfurt oder Köln, der einzige sei, der nicht von der Stadt gefördert wird. Der jährliche Umsatz, der sich für die Stadt München aus dem Marathon generiere, belaufe sich aber auf rund zehn Millionen Euro. Weigl setzt jetzt seine Hoffnungen in Oberbürgermeister Dieter Reiter, der schon viele „logische und pragmatische Entscheidungen“ gefällt habe.

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