1860 München:Leidenschaftlich wie ein Schaffner

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, eine Fußballmannschaft im Abstiegskampf zu motivieren. Vanenburg hat sich für einen ungewöhnlichen Weg entschieden. Er distanziert sich auffällig von seinen Spielern und versucht ihnen auf diese Weise klar zu machen, dass nur sie selbst sich noch helfen können.

Von Gerald Kleffmann

Seefeld - Im blau-weißen Trainingsanzug betrat Gerald Vanenburg am Freitag pünktlich um elf Uhr die Bibliothek des mit Marmor überladenen Hotels, es folgte ein leise genuscheltes "Hallo", dann sank er in einen Korbstuhl und schenkte sich in Zeitlupentempo Mineralwasser ein. Von jener Erregung oder gar Wut, die der Trainer des TSV 1860 tags zuvor während einer leidenschaftlichen Rede auf die eigene Mannschaft offenbart hatte, war 24 Stunden später nichts mehr zu spüren.

Äußerlich gelassen begann Vanenburg seine letzte Pressekonferenz vor der Partie der Löwen gegen Hertha BSC Berlin. "Das ist das wichtigste Spiel für den Verein seit zehn Jahren", sprach er als Erstes, was exakt so stimmt. Nach einer stolzen Dekade Erstliga-Fußball kann der TSV 1860 München bereits am vorletzten Spieltag der Saison 2003/04 absteigen - ein Unentschieden oder eine Niederlage und das aus Münchner Sicht traurige Schicksal wäre besiegelt.

Ernüchterndes Trainingslager

Die Chancen auf das erhoffte Wunder Klassenerhalt sind gering wie beim Lotto-Spielen, Vanenburg weiß das natürlich, und deshalb hat er am Freitag seinen sonst jederzeit verfügbaren Optimismus deutlich gezügelt.

Hatte er bereits bei seiner Amtsübernahme vor drei Wochen Zweifel an der aktuellen Verfassung des Teams geäußert ("Bin über den Zustand entsetzt"), haben ihm offenbar die drei Tage im spontan einberufenen Trainingslager in Tirol vollends die Augen geöffnet, was in dieser Saison von 1860 noch zu erwarten ist: nicht mehr viel. "Wir können gewinnen", sagte er zwar, "Hertha ist nicht so viel besser."

Die nüchterne Art, wie er es sagte, war aber nicht überzeugend. Jede U-Bahn-Durchsage klingt dynamischer.

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, eine Fußballmannschaft im Abstiegskampf zu motivieren. Vanenburg, schon als Profi ein eigenwilliger Stratege, hat sich für einen ungewöhnlichen Weg entschieden. Er distanziert sich auffällig von den Löwen-Profis und versucht ihnen auf diese Weise klar zu machen, dass nur sie selbst sich noch helfen können.

"Es ist längst alles gesagt", sprach der Trainer, der zugab, das Hotel im abgelegenen Seefeld bewusst ausgesucht zu haben: "Hier haben die Spieler Zeit, über die Situation nachzudenken." Ablenkung ist in dem beschaulichen Ort nicht vorhanden, und das Trainingspensum hat Vanenburg bewusst gedrosselt.

Mittwoch eine Einheit, Donnerstag eineinhalb Einheiten, Freitag eine Einheit - das war alles, was er den Spielern zumutete. Vanenburgs Begründung: "Jetzt kann man nicht mehr viel machen." Für neue taktische Schulungen ist es längst zu spät, und wer bis heute noch keinen geraden Pass spielen kann, wird es auf die Schnelle auch nicht mehr lernen. Ein Armutszeugnis für die 1860-Mannschaft. Grundlos ist sie freilich nicht in diese aussichtslose Lage geraten.

Wie verzweifelt Vanenburg die Situation einschätzt, verdeutlicht sein kleiner Hinweis, für das "Finalspiel" gegen Berlin eventuell Christoph Lepoint von Beginn an auflaufen zu lassen. Der junge, schlaksige Belgier, zu Saisonbeginn von Anderlecht nach München gewechselt, hat bisher nicht eine Minute in der Bundesliga für 1860 gespielt und die meiste Zeit im Amateurkader des Vereins in der Bayernliga verbracht. Vanenburgs Argument aber: "Er ist einer der wenigen, die im Training richtig gekämpft haben."

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