1860 München: Chronik der Horrorzeit:Sogar Mietpflanzen sind weg

14 Millionen Schulden, leere Konten, nun doch die vorläufige Rettung in letzter Sekunde: Eine Chronologie der jüngsten finanziellen Horrorzeit der Löwen. In Bildern.

Andreas Burkert und Gerald Kleffmann

8 Bilder

Rettung von 1860 München

Quelle: dpa

1 / 8

14 Millionen Schulden, leere Konten, nun doch die vorläufige Rettung in letzter Sekunde: Eine Chronologie der jüngsten finanziellen Horrorzeit der Löwen. In Bildern.

14. Juli 2010:

Die jüngste Horrorzeitrechnung der Löwen beginnt: Um 9.31 Uhr erscheint Richterin Elisabeth Waitzinger im Münchner Landgericht I. Sie liest vor: "Die Beklagte wird verurteilt, 542.344 zu bezahlen, nebst Zinsen, und trägt die Prozesskosten." Um 9.34 Uhr geht die Richterin wieder. Mit dem Urteil steht fest: Die 1860-Profifußballabteilung (KGaA) hat den Catering-Prozess verloren, mit dem Geschäftsführer Manfred Stoffers Millionen zurückholen wollte. Die Roten hätten ihre Monopolstellung als Arena-Besitzer ausgenutzt, glaubte er, und dem TSV unzumutbare Mietbedingungen auferlegt. Auch der Verkauf der Arena-Anteile 2006 für elf Millionen Euro sei unter Marktwert gewesen, befand Stoffers. Falsch gedacht. Der Geschäftsführer zieht am nächsten Tag "die persönlichen Konsequenzen" - und tritt zurück.

17. Juli 2010:

1860-Präsident Rainer Beeck, Unterstützer des Kurses von Stoffers, ändert mal wieder seine Politik und geht auf den FC Bayern zu. Was keiner ahnt: Stoffers hat offenbar gar keine Rücklagen für den Prozess gebildet.

Robert Niemann 1860

Quelle: imago sportfotodienst

2 / 8

27. Juli 2010:

Robert Niemann (im Bild), 43, wird 1860-Geschäftsführer. Er kommt von der Deutschen Fußball-Liga. Was noch keiner ahnt: Niemann bleibt nicht lange. FCB-Finanzvorstand Karl Hopfner begrüßt den neuen Dialog mit 1860, mahnt aber: "Alles muss vom Tisch." Nun ja, das dauert noch ein wenig.

29. Juli 2010:

Niemann verkündet, dass er 1860 "in fünf Jahren plus gerne europäisch" sehe. Noch mehr erschüttert der Tod des früheren Präsidenten Karl-Heinz Wildmosers den Klub.

9. August 2010:

Es werden weiter Spieler gesammelt. Zum Saisonstart zählt der Kader von Sportchef Miroslav Stevic mehr als 30 Profis. Wow!

10. August 2010:

1860 verzichtet auf eine Berufung im Catering-Prozess.

1. September 2010:

1860 verkauft keine Spieler bis zum Ende der Transferperiode. Stevic holt dafür einen unbekannten Profi aus Peru, der bei Bremen geparkt war. Niemann erklärt derweil: "Die Lage ist sehr akut, wir brauchen frisches Kapital, es geht ums Jetzt."

16. September 2010:

1860 überweist dem FCB eine Million Euro zum Schuldenabbau. Strafe muss sein.

TSV 1860 München - FSV Frankfurt

Quelle: Frank Leonhardt/dpa

3 / 8

19. September 2010:

Die Löwen (rechts im Bild Benny Lauth) gewinnen erstmals am vierten Spieltag, 2:1 in Düsseldorf.

20. September 2010:

Niemann erhofft sich mit dem "Löwenflexpaket" neue Kundschaft in der Arena: 499 Euro, drei Heimspiele nach Wahl, Essen und Getränke frei. Wie die Aktion in der Folge ankommt, löst der TSV nicht auf.

28. September 2010:

Aufregung um den Aufsichtsratchef der KGaA: Christoph Öfele soll in den mutmaßlich größten deutschen Aktienbetrug verwickelt sein. Er lässt sein Amt ruhen, "aus Verantwortung gegenüber dem Verein".

9. Oktober 2010:

Die Endlos-Episode Savio Nsereko beginnt. Der vom AC Florenz ausgeliehene Profi - Monatsverdienst angeblich mehr als 30.000 Euro - taucht tagelang unter. Niemann und Stevic bitten die Öffentlichkeit um Hilfe.

19. Oktober 2010:

Sechzig werden zwei Punkte von der DFL abgezogen - und hat noch Glück. Laut Niemann sei auch eine Lizenzentzug thematisiert worden. Grund der Strafe: Beim Lizenzverfahren im Sommer hatte 1860 falsche Angaben gemacht und viel zu hohe Einnahmen veranschlagt. Erstaunlich.

Savio Nsereko

Quelle: dpa

4 / 8

24. Oktober 2010:

Nsereko wird gefeuert, die Geschichte vom Tod eines Bruders in Uganda kann er nicht belegen. Präsidium-Vize Michael Hasenstab hört auf, er rotiert in den Aufsichtsrat. Der Unternehmer und 1860-Sponsor Dieter Schneider, 63, wird sein Nachfolger. Ohne den neuen Mann aus Markt Indersdorf, dies wird sich rasch erweisen, wäre 1860 schon längst mausetot.

29. Oktober 2010:

Sechzig rutscht um Minuten an der Insolvenz vorbei. Das Talent Moritz Leitner, 17, wird an Dortmund notverkauft - unter Wert, weil es die sportliche Leitung angeblich versäumt haben soll, dessen Vertrag rechtzeitig zu verlängern. Der neue Vizepräsident Schneider pumpt einen angeblich sechsstelligen Betrag aus der eigenen Holding in den Klub, Gremienmitglieder zahlen auch kleinere fünfstellige Summen. Später taucht auch das Gerücht auf, der FCB habe eine Last-Minute-Bürgschaft über Umwege im Hintergrund geleistet. Das Gerücht wurde nie wirklich dementiert.

7. November 2010:

Niemann verkündet, dass 1860 zu einem Verbleib in der Arena tendiere. Der FCB ist zufrieden, will die Miete aber nicht senken. Der Zuschauerschwund setzt sich weiter fort.

Robert Schäfer und Dieter Schneider

Quelle: dpa

5 / 8

14. November 2010:

Nach nur 106 Tagen wirft Niemann hin, aus "persönlichen Gründen". Nachfolger wird Robert Schäfer (links im Bild), 34, der vom Löwen-Vermarkter IMG kommt. Zwei Tage später entdeckt Vizepräsident Schneider (rechts) nach ein paar Nachtschichten über den Büchern eine erstaunliche Zahl: Der Mannschaftsetat ist 3,5 Millionen Euro höher als der von 2007. War keinem im Klub dieses Missmanagement zuvor aufgefallen?

27. November 2010:

Trotzdem: Auf der Delegiertenversammlung werden die Gremienmitglieder entlastet. Ungeachtet der akuten Finanzprobleme behauptet Präsident Beeck: "Ich glaube, dass wir noch nie so produktiv und zielorientiert die Zielaufgaben gemeistert haben." Nur Schneider schert aus, er sagt: "Unsere Bilanz sieht furchtbar aus."

30. November 2010:

Es heißt: "Lachen mit den Löwen", eine Comedy-Gala in der Muffathalle. Conferencier Ottfried Fischer spricht: "Der größte Feind fängt mit H an und hört mit Oeneß auf." Und dann: "Mich haben sogar die Weight Watchers rausgeschmissen, weil ich keine Punkte mehr habe." Jetzt muss endgültig allen klar sein: Es steht schlecht um 60.

1. Dezember 2010:

Schäfer versteht keinen Spaß mehr: Er ordnet einen zehnprozentigen Gehaltsverzicht an.

11. Dezember 2010:

Die erste Kündigung: Teammanager Robert Hettich wird nach zehn Jahren gehen. Eine noch ernüchterndere Zahl vermeldet die SZ: 1860 muss bei der DFL bis Mitte Januar 5,3 Millionen Euro nachweisen.

13. Dezember 2010:

1860 bestellt seine Mietpflanzen ab. Sie haben angeblich 50.000 Euro jährlich verschlungen.

TSV 1860 München - SC Paderborn

Quelle: dpa

6 / 8

14. Dezember 2010:

Schneider sichtet weiter die roten Zahlen der Blauen, er sagt: "Die Art der Vereinsführung hat hier mit betriebswirtschaftlichem Denken bisher nichts zu tun gehabt." Eine schallende Ohrfeige für Schäfers Vorgänger und die Kontrolleure.

18. Dezember 2010:

Jetzt kommt es ganz dicke, die SZ meldet: Die Schulden von 1860 belaufen sich auf acht Millionen Euro, mehr als doppelt so viel wie bisher vermutet. Bis 2013 benötigt der Klub offenbar neun bis zehn Millionen an frischem Geld: neue Kredite, Investorengeld. "Nicht wirklich brisant", analysiert die tz. Der Merkur meldet nach dem ernüchternden Wochenende: "Ein kleiner Genickbruch". Jedoch ist nur das 0:1 gegen Paderborn gemeint. War da was?

12. Januar 2011:

Profi Daniel Bierofka (rechts im Bild) verlängert seinen Vertrag bis 2013 und akzeptiert sofort geringere Bezüge, wie auch später Torwart Gabor Kiraly.

14. Januar 2011:

Schäfer verkündet: "Ich habe die frohe Botschaft zu verkünden, dass alle Auflagen der DFL erfüllt wurden." Auch der FCB hat 1860 mal wieder geholfen. FCB-Präsident Hoeneß bestätigt: "Es gibt eine neue Stundung."

31. Januar 2011:

Der nächste Rücktritt, aus persönlichen Gründen, wie es heißt: Beeck hört überraschend auf, Schneider rückt auf. Er ist nun die letzte Hoffnung der Löwen. Derweil hat sich der TSV fast von einer kompletten Elf getrennt. Was erfreulich ist: Das Team verliert überhaupt nicht an Substanz.

Uli Hoeneß

Quelle: dpa

7 / 8

24. Februar 2011:

Der Hauptsponsor, ein polnisches IT-Unternehmen, kündigt seinen Ausstieg zum Saisonende an. 1860 verkauft kurz darauf das Talent Kevin Volland an Hoffenheim und leiht es aus. Der TSV braucht dringend Geld: Ende Februar übernahm kurz vor knapp eine Hausbank die Gehälter-Zahlung.

18. März 2011:

Die SZ berichtet von elf Millionen Euro Schulden und einem 3,5-Millionen-Liquiditätsloch im Klub. Ist da diesmal was? Oh ja: 1860 räumt abends den Ernst der Lage via schonungslosem Hilferuf ein: Man benötige acht Millionen Euro. Und zwar schnell, um genau zu sein: sehr schnell - binnen zwölf Tagen, sonst sei 1860 pleite. Die Mannschaft um Trainer Maurer reagiert ziemlich cool: 5:1 gegen den KSC.

19. Februar 2011:

Eine geheime Elefantenrunde in der Staatskanzlei: Ministerpräsident Seehofer empfängt Schneider und Schäfer - sowie Bayern-Präsident Hoeneß (im Bild) nebst Finanzchef Hopfner. Banken sollen Sechzig retten, die Bayern würden sogar der BayernLB günstig Geld überlassen, um den Zinsvorteil an die Löwen weiterzureichen; Schuldner bliebe aber die Landesbank. "Wir sind da alle raus und dachten, Sechzig sei gerettet", erzählt Hoeneß später verärgert und schimpft auf OB Ude. Hoeneß wiederum muss sich Kritik der Bayern-Fans anhören. Auch Löwen-Fans reagieren allergisch auf die Hilfe der Roten.

Maskottchen 1860 München

Quelle: dpa

8 / 8

23. März 2011:

Die Rettung scheint nah. Eine große Bankenlösung ist möglich.

29. März 2011:

Die Rettung scheint ganz fern: Keine große Bankenlösung ist möglich - die staatlichen Institute und die Politik weigern sich. Und: Man hat endlich alles zusammengezählt: Es sind mittlerweile 14 Millionen Euro Schulden.

30. März 2011:

Die SZ meldet: Eine reicher Mann aus Abu Dhabi will groß bei 1860 einzusteigen. Zu schön, um wahr zu sein, denken sich nun sogar ein paar Löwen-Ultras. Ganz heimlich natürlich, klar.

1. April 2011:

Der Araber aus Abu Dhabi ist weiter interessiert. Aber das dauert. 1860 kann aber auch dank der Aussicht auf den Scheich in letzter Sekunde die DFL-Auflage erfüllen und die Gehälter auszahlen. Das Drama geht weiter. Wäre ja auch wirklich jammerschade.

© sueddeutsche.de/ebc
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: