Müllers Platzverweis:Kung-Fu- Unfall

Müllers Platzverweis: „War natürlich keine Absicht“: Thomas Müllers rüdes Platzverweis-Foul gegen Nicolas Tagliafico.

„War natürlich keine Absicht“: Thomas Müllers rüdes Platzverweis-Foul gegen Nicolas Tagliafico.

(Foto: Emmanuel Dunand/AFP)

Nationalspieler Thomas Müller fehlt den Bayern im Achtelfinale, weil er zum ersten Mal in seiner Karriere rot sieht.

Von Carsten Scheele, Amsterdam

Bei Thomas Müllers erstem Platzverweis in einem Pflichtspiel hieß sein Trainer noch Louis van Gaal. Müller war 20 Jahre alt und kurz davor, zum Nationalspieler aufzusteigen. Nach seiner gelb-roten Karte gegen Girondins Bordeaux im September 2009 war er so geknickt, dass er sich in der Kabine vor versammelter Mannschaft entschuldigte. Die Bayern hatten 1:2 in Bordeaux verloren, er habe dem Verein mit der "dummen Aktion" geschadet, sagte Müller, was van Gaal in seiner typisch menschelnden Art zu aufmunternden Worten veranlasste: Müller habe einen "Lernmoment" erlebt, sagte der Coach, "aber für Bayern war der teuer".

Allein der Umstand, dass es bis zum nächsten Platzverweis neun Jahre, einen Monat und 22 Tage dauern sollte, sprach Müller am Mittwochabend frei von einem Generalrüpelverdacht. Er wurde von FC-Bayern-Präsident Uli Hoeneß auch nicht als "geisteskrank" bezeichnet, wie Hoeneß es vor wenigen Monaten beim Leverkusener Karim Bellarabi getan hatte, nach dessen Brutalo-Tritt gegen den Münchner Rafinha. Absicht wollte Müller nach dem 3:3 in Amsterdam niemand unterstellen - aber eine rote Karte, ja, das war es schon. Glatt rot, ganz und gar verdient.

Da wollte ihn anschließend auch kein Mitspieler in Schutz nehmen. Man müsse sich nur ansehen, "wie der Junge aussah", bemerkte Müllers Kollege Leon Goretzka - er meinte den Amsterdamer Nicolás Tagliafico, den Müller in der 75. Minute im Mittelfeld übel erwischt hatte, in einer Art Kung-Fu-Sprung mit gestrecktem Bein mit den Stollen gegen die Stirn. Tagliafico wurde minutenlang behandelt, er blutete und wurde noch auf dem Platz vom Mannschaftsarzt getackert. Immerhin erholte sich der junge Argentinier schnell, am 3:3 für sein Team in der Nachspielzeit war er schon wieder maßgeblich beteiligt. Die Fans feierten ihren Schmerzensmann mit "Nico, Nico"-Rufen.

Zu diesem Zeitpunkt weilte Müller längst in den Katakomben, ihm tat die Aktion offensichtlich leid. Er hatte seinen Blick beim Laufweg vor dem Foul nur auf den Ball gerichtet, schon während des Stollenkontakts mit Tagliaficos Gesicht hob er entschuldigend die Hände in die Luft - zu spät. Müller verließ den Platz mit einem ironischen Lächeln, denn grundsätzlich war er ja der Ansicht, dass es sich um einen fußballerischen Unfall gehandelt hatte. "Ganz glasklar" sei die rote Karte gewesen, sagte Trainer Niko Kovac allerdings. Müller habe seinen Gegenspieler "nicht kommen sehen", so viel zu den mildernden Umständen, "aber damit muss man rechnen".

Niederländischen Medien zufolge machte sich Müller später auf den Weg zur Ajax-Kabine, um sich zu entschuldigen, er traf Tagliafico dort aber nicht an. Wenn die Bayern nun am Montag die Auslosung für das Achtelfinale (im Februar/März) erwarten, dann mit der Befürchtung, dass es zwei Spiele ohne Müller werden dürften. Zwar hoffte Sportdirektor Hasan Salihamidzic in Amsterdam, Müller könnte nur für die erste Partie gesperrt werden: "Ein Spiel wäre genug", befand Salihamidzic mit Blick auf Müllers tadellose Vorgeschichte, er fügte aber auch realistisch an: "Mehr als zwei Spiele werden es nicht sein."

Hatte Müller nach seinem Platzverweis 2009 noch zu einer öffentlichen Verteidigungsrede angesetzt, beließ er es diesmal bei einem knappen Statement. Ob er sich zum Foul äußern wolle? "Nee, nee", sagte Müller und winkte ab. Die wichtigste Botschaft schob er aber nach: "War natürlich keine Absicht."

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: