Müller, Boateng, Hummels:Klares Nein - vorerst ...

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Auch wenn sich die Umstände seit März 2019 geändert haben - Bundestrainer Joachim Löw will weiterhin auf das Trio Müller, Boateng und Hummels verzichten.

Von carsten scheele, München

Ausgemusterter Weltmeister (1): Jérôme Boateng. (Foto: Ina Fassbender/dpa)

Sehr spät am Dienstagabend hat Bastian Schweinsteiger in der ARD noch seine Wunschelf aufgemalt, die er, der Weltmeister von 2014 und neue Fernsehexperte der ARD, gerne zur anstehenden Europameisterschaft schicken würde. Einige überraschende Personalien waren dabei, so tauchten in Schweinsteigers Grafik zwei Namen auf, die schon länger nicht mehr in der DFB-Elf mitgewirkt haben: In der Innenverteidigung stand der Name von Jérôme Boateng, 32, etwas weiter vorne der von Thomas Müller, 31. Jene beiden Bayern also, die Bundestrainer Joachim Löw ausgemustert hat, würde der Herzensbayer Schweinsteiger zurückholen - Mats Hummel fehlte in seiner Wunschelf.

Die Debatte darüber, ob spätestens jetzt, nach diesem hochnotpeinlichen Nullsechs in Spanien, die Personalentscheidungen der vergangenen anderthalb Jahre in Frage zu stellen sind, hat etwas Reflexhaftes. Doch sie ist da - und sie wird von vielen geführt, so unverhohlen, wie es auch der TV-Kritiker Schweinsteiger tat.

Joachim Löw hatte sich im März 2019, zum damaligen Zeitpunkt durchaus überraschend, dazu entschieden, die drei Rio-Weltmeister Boateng, Hummels und Müller fortan nicht mehr zu nominieren. Seither stand er stets mehr oder weniger nachdrücklich zu diesem Entschluss, obwohl er tausendmal kritisch dazu befragt wurde, auch schon vor dem Desaster von Sevilla.

Ausgemusterter Weltmeister (2): Mats Hummels (Foto: Markus Gilliar/dpa)

"Der Bundestrainer und sein Team haben eine Meinung dazu, ich persönlich habe leider eine andere", sagte Schweinsteiger, als die Eindrücke des 0:6 noch ganz frisch waren: "Spieler wie Jérôme Boateng und Thomas Müller haben das Triple gewonnen mit der besten Mannschaft in Europa. Die spielen da in der ersten Elf und haben Qualität - und sie sind deutsche Spieler. Warum also nicht für die Nationalmannschaft?" Via Bild sekundierte Rekordnationalspieler Lothar Matthäus; auch er forderte unverzüglich die Rückkehr der drei Ausgebooteten - auch die des Dortmunder Innenverteidigers Hummels.

Schweinsteiger erwähnte Mats Hummels nicht, dennoch ist auch der Dortmunder Teil der Debatte. Auch er hielt sich selbst im März 2019 noch für zu jung, um als Nationalspieler aufzuhören. Und auch er hat Löw in einigen sehr guten Spielen für Borussia Dortmund gezeigt, dass er mindestens noch mithalten könnte.

In der Nacht nach der höchsten DFB-Niederlage seit 1931 haben sich viele geäußert, von denen man es gewohnt ist, dass sie sich in einer Nacht nach einem Debakel zu Wort melden. Der beim DFB zurückgetretene Rio-Weltmeister Mesut Özil erhob via Twitter seine Stimme. Der Tenor im Netz und in den Foren war ziemlich einhellig: Mit Boateng und/oder Hummels in der Abwehr, nein, da wären so schlimme 90 Minuten wie in Sevilla nicht passiert. Mit ihnen hätte man wenigstens ein 0:3 über die Zeit gebracht - selbst schuld, wer den international unerfahrenen Robin Koch (Leeds United) gegen solche furiosen Spanien-Stürmer in der Innenverteidigung in die Hauptverantwortung stellt ...

Bald wieder im DFB-Trikot zu sehen? Thomas Müller, hier abgelichtet im Jahr 2018. (Foto: Peter Kneffel/dpa)

Löw ist immer noch eher unverdächtig, einst gefasste Entschlüsse in Notlagen zu revidieren. Er will Spieler wie Koch zu verlässlichen Größen für die Zukunft aufbauen. Auch ist nicht gesichert, dass die Elf mit den drei Weltmeistern sofort besser dastehen würde. Alle drei, mal so nebenbei gesagt, standen bei den verkorksten Vorrundenspielen der WM 2018 in zentraler Rolle auf dem Platz - ebenso wie im Herbst danach, als es ein ernüchterndes 0:3 in Amsterdam gegen die Niederlande gab und danach das allgemeine Echo war, dass es so auf keinen Fall weitergehen könne.

Am einfachsten ließe sich vermutlich Müller ins kräftig verjüngte Team einbauen. Löw hat zwar bereits jetzt im offensiven Mittelfeld tendenziell ein Überangebot zu moderieren, Müllers Form in München ist aber bestechend, viel besser als im März 2019, als er bei den Bayern unter Trainer Niko Kovac litt. Ein Müller - zumindest einer, der spielt - ist zudem gut fürs Binnenklima, da sind innenpolitische Probleme mit den aktuellen Führungskräften kaum zu befürchten. Und Müller würde der Elf garantieren, was ihr sehr zu fehlen scheint: Kommunikation auf dem Platz.

Anders könnte dies im Fall Hummels aussehen. Käme der selbstbewusste Abwehrchef zurück, würde sich die Hierarchie in der Elf über Nacht verändern. Jung gegen Alt, das war schon bei der missratenen WM 2018 eines der Probleme, das sich Löw vermutlich ungern in seinen Kader zurückholen würde. Ob Hummels oder Boateng im ersten EM-Spiel gegen die französischen Sprinter Kylian Mbappé, Kingsley Coman und Antoine Griezmann besser aussehen würden als etwa Robin Koch, das wäre auch eine interessante Frage.

Löw hat am Dienstagabend, sichtlich gezeichnet von der Niederlage, alle Avancen erst mal abgewehrt. Man müsse "die Situation zum richtigen Zeitpunkt bewerten", sagte er. Sein Vertrauen in die aktuellen Spieler sei "jetzt auch nicht völlig erschüttert", trotz der scheppernden Niederlage.

DFB-Direktor Oliver Bierhoff wollte sich in der heiklen Causa ebenfalls nicht gegen Löw positionieren: "Die Frage ist immer die gleiche, und die Antwort ist auch immer die gleiche", betonte Bierhoff in der ARD: "Es ist eine Entscheidung des Trainers, wen er nominiert, aber ich teile sie. Ich bin diesen Weg mitgegangen - und finde ihn richtig." Löws nächste Nominierung folgt erst im März - er hat jetzt viel Zeit zum Nachdenken.

© SZ vom 19.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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