Thomas Müller beim FC Bayern:Müller bringt das Stadion gegen sich auf

Lesezeit: 3 min

  • Thomas Müller liefert in Bremen nach langer Zeit wieder ein sehr starkes Spiel ab.
  • Der Münchner glänzt als Kapitän, Torvorbereiter, Kämpfer und Torschütze.
  • Nur das Bremer Publikum findet ihn an diesem Abend nicht so gut.

Von Carsten Scheele, Bremen

Wenn irgendwann nach seinem Karriereende ein Buch über Thomas Müller geschrieben wird, dann wird dieses Pokalspiel in Bremen seine Erwähnung finden. Nicht im Teil des Buches, in dem es um den alternden Müller geht, der mit 29 Jahren aus der Nationalmannschaft bugsiert wurde, dem nichts mehr gelingen wollte, der manchmal wochenlang keinen Ball gewinnbringend traf. Eher in den Kapiteln über den echten Müller, den guten Müller, der es mit diesem Spiel in Bremen - diese Conclusio drängte sich geradezu auf - noch einmal allen gezeigt hat.

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Müller war Münchens Kapitän an diesem Abend, der den Einzug ins Pokalfinale brachte, und sein Vortrag geprägt von Szenen, die in dieser Regelmäßigkeit nur ihm unterlaufen. Erwähnt werden muss natürlich, wie er den Ball in der ersten Halbzeit Bremens Niklas Moisander, das weit geöffnete Tor vor Augen, ans Bein schoss. Vor allem aber, wie er Boatengs etwas zu weiten, aber dennoch öffnenden Diagonalball im Bremer Strafraum mit dem Kopf am Überschreiten der Torauslinie hinderte und das Spielgerät im krummen Bogenflug über Torwart Jiri Pavlenka an den entfernten Innenpfosten setzte, von wo der Ball passgenau Lewandowski vor die Füße plumpste. Der Pole staubte zur Führung ab, halb ging das Tor aber auf Müllers Konto, mindestens, eher zu dreiviertel.

Bei seinem wirklich eigenen Treffer zum 2:0 brach Müller dann mit jeder gängigen Lehrbuchmeinung über den gesunden menschlichen Bewegungsablauf, als er den abgefälschten Schuss von Leon Goretzka erst pfiffig unter Kontrolle brachte, den Ball dann im Fallen und mit dem Standbein über Pavlenka ins Netz bugsierte. Seine Tat feierte Müller in einer Art Heinzelmännchen-Tanz mit Goretzka, eine Anleihe aus dem Training, wenn dort ein Kollege beim Kreisspiel getunnelt wird.

Müller ahnte schon, worauf es in der öffentlichen Bewertung hinauslaufen würde: "Meine Freunde würden vielleicht sagen: Das war ein klassisches Müller-Tor." Er grinste: "Und die, die mir nicht gerne zuschauen, sagen es vielleicht auch."

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Die ihm nicht gerne zuschauten? Von dieser Sorte Stadiongänger gab es einige an diesem Abend, schätzungsweise 97 Prozent aller Werder-Fans, die Müller zum besonderen Feindbild auserkoren hatten. Das lag auch daran, wie Müller die ihm zugedachte Rolle des Interimschefs interpretierte. Manuel Neuer fehlte in Bremen angeschlagen, also trug Müller die Bayern-Binde. Er schritt tatsächlich voran, energischer noch, als man es ihm zugetraut hätte.

Er wollte unbedingt in dieses Finale einziehen, also kämpfte Müller, reizte, rempelte, schubste, wurde grätschend im eigenen Strafraum gesichtet. Und er hetzte über den ganzen Platz, wenn sich irgendwo eine Diskussion anbahnte, an der er sich dann natürlich zu beteiligen gedachte. Müller war überall, vorne, hinten, er sei "gelaufen wie ein Hase", lobte Uli Hoeneß. Überhaupt habe Müller "ein sehr gutes Spiel gemacht", so das offizielle Sonderlob.

Müller polarisierte auffallend; es schien, als entwickele er eine echte Lust daran, jede Bremerin und jeden Bremer im Stadion gegen sich aufzubringen. Während der kompletten Partie legte er sich mit grün-weißen Menschen an, am deutlichsten, als er in der 89. Minute beim Stand von 3:2 gegen Rafinha ausgetauscht werden sollte. Das Stadion befand sich nach dem umstrittenen Elfmeterpfiff in einem ohnehin gefährlichen Aggregatzustand, als Müller beschloss, die Sache noch ein wenig auszureizen. Betont langsam machte er sich auf den Weg zur Seitenlinie, ließ sich von Bremer Spielern immer wieder bitten, doch einen Schritt schneller zu gehen; als die Fans orkanartig pfiffen, klatschte Müller auch noch in Richtung des Münchner Anhangs.

Sei doch alles ordentlich abgelaufen, sagte Müller nach ein paar Momenten der Abkühlung. Ein paar "hitzige Diskussionen" seien in einem solchen Spiel normal. Er wolle "nicht in Schönheit sterben", sondern auch mal beißen und kratzen: "Das machen andere Mannschaften gegen uns auch." Weit nach Spielschluss wurde es noch einmal sehr laut und giftig auf den Rängen, als Müller - zuvor als Spieler der Partie ausgezeichnet - endlich den Platz verließ und ihm die wartenden Bremer Fans einen letzten Gruß auf die Heimfahrt ins ferne Bayern mitgaben.

Dass Müller plötzlich wieder der Alte zu sein scheint, ist eine der wichtigeren Erkenntnisse im Endspurt der Saison. Wenn es in den kommenden Wochen um Meisterschaft und Pokal geht, ist Müller wieder ein Faktor bei den Münchnern. Die Metamorphose führt sein Trainer vor allem auf ein Ereignis Anfang März zurück, denn der Entscheid von Joachim Löw, im DFB-Team nicht mehr auf Müller zu setzen, hatte den langjährigen Nationalspieler schwer getroffen. Offensichtlich auch angespornt. "Seit der Ausbootung aus der Nationalmannschaft", befand Niko Kovac, "macht er es richtig gut. Davor war es okay."

In Bremen war Thomas Müller tatsächlich weit davon entfernt, bloß "okay" zu sein.

© SZ vom 26.4.19 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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