Volleyball-Meister Stuttgart:Ein Titel für den krebskranken Trainer

Volleyball-Meister Stuttgart: Zum dritten Mal deutscher Meister: Die Volleyballerinen von Allianz MTV Stuttgart.

Zum dritten Mal deutscher Meister: Die Volleyballerinen von Allianz MTV Stuttgart.

(Foto: Hansjürgen Britsch/Pressefoto Baumann/Imago)

Stuttgarts Volleyballerinnen sind nach ihrem 3:1-Sieg in Potsdam zum dritten Mal deutscher Meister. Und das nach einer Saison voller Emotionen, in der sie auch für ihren Trainer Tore Aleksandersen spielten.

Von Sebastian Winter

Das Schöne an Meistertiteln, die man in der Ferne gewinnt, ist ja oft das damit verbundene Abenteuer nach dem letzten Ball. So war das jedenfalls bei Stuttgarts Volleyballerinnen am Samstagabend. Sie nahmen den Pokal nicht nur mit in die Hotelbar nach Potsdam zum Vorglühen, sondern hatten in weiser Voraussicht auch noch ihre Abendgarderobe eingepackt. Und so war der am Ende durchaus hart erkämpfte 3:1 (20:25, 25:12, 25:19, 27:25)-Erfolg gegen Potsdam nur der Anfang einer Nacht, der die Spielerinnen in die Berliner Clubszene führte - und erst am frühen Morgen wieder zurück ins Hotel und kurz darauf in den Reisebus.

Alle waren sie unendlich erleichtert, von Emotionen übermannt. Das Spiel war ja irgendwie auch ein Spiegelbild der gesamten Saison für den Allianz MTV Stuttgart gewesen: Zunächst dieser verkorkste erste Satz, dann die Dominanz im zweiten und dritten Satz, als die Angriffswucht der US-Amerikanerinnen Krystal Rivers und Simone Lee die Potsdamerinnen fast erstarren ließ - und in denen Stuttgarts Sportdirektorin Kim Renkema "wieder das Feuer in den Augen unserer Spielerinnen" entdeckt hatte. Am Ende der vierte Satz, ein eigenes Drama mit zwei Matchbällen für Stuttgart beim 24:22, Potsdams Rückkehr und schließlich dem Angriff von Rivers, der Stuttgarts dritten DM-Titel zementierte.

Rivers und Lee bildeten ein Duo, dessen Wucht in der Liga niemand erreicht

Natürlich Rivers, wer sonst? 2019 hatte die Über-Spielerin der Liga den Matchball zu Stuttgarts allererstem deutschen Meistertitel verwandelt, 2022 jenen zum zweiten DM-Titel. In dieser Saison aber verlor sie mit Stuttgart zunächst den Supercup gegen Potsdam. Im Pokal-Halbfinale, das Schwerin in einem Fünf-Satz-Drama gewann, fehlte Rivers verletzt. Nun hat die 28-Jährige in der Finalserie gegen Potsdam zusammen mit Lee wieder mal ein Angriffsduo gebildet, dessen Wucht und Athletik in der Bundesliga niemand sonst erreicht.

Volleyball-Meister Stuttgart: Tore Aleksandersen feiert den Titel.

Tore Aleksandersen feiert den Titel.

(Foto: Hansjürgen Britsch/Pressefoto Baumann/Imago)

Rivers umarmte ihren Trainer Tore Aleksandersen in Potsdam besonders innig, sie sind einander ja auch durch ihre Krankengeschichte verbunden. Rivers, die mit dem Tethered-Spinal-Cord-Syndrom zur Welt kam und als Kind nicht laufen konnte, bekam als Jugendliche auch noch Krebs - und wurde mit unbändigem Willen trotzdem Profisportlerin. Aleksandersen machte im Januar öffentlich, dass er unheilbar an Prostatakrebs erkrankt ist, die Diagnose hatte er bereits Anfang 2020 bekommen. Die ganze Mannschaft spielte daher auch für ihren Trainer, der in den Playoffs nicht mehr an der Seitenlinie stehen konnte. Das Coaching hatte der 55-Jährige, der in Tübingen per Immuntherapie behandelt wird, Co-Trainer Faruk Feray überlassen müssen.

Volleyball-Meister Stuttgart: Viele Emotionen im Spiel: Stuttgarts Volleyballerinnen um Simone Lee (re.) und Krystal Rivers (2. v. li.) holen den nächsten Titel.

Viele Emotionen im Spiel: Stuttgarts Volleyballerinnen um Simone Lee (re.) und Krystal Rivers (2. v. li.) holen den nächsten Titel.

(Foto: Hansjürgen Britsch/Pressefoto Baumann/Imago)

Man kann nur erahnen, wie sehr eine solche Situation eine Mannschaft mitnimmt. Wie stark auch Blockerin Marie Schölzel in den letzten Tagen sein musste, deren letztjährige Teamkollegin aus Bologna, Ana Paula Borgo, am Donnerstag mit 29 Jahren an Krebs gestorben ist. Aber sie haben vielleicht auch deshalb in dieser Finalserie noch mehr zusammengehalten. "Es ist so stark, wie Tore und die Mannschaft das gemanagt haben", sagt Renkema.

Aleksandersen, der Stuttgart seit Dezember 2020 trotz seiner Krankheit trainiert und seither zu zwei Meistertiteln, einem Pokalsieg und ins Champions-League-Viertelfinale, geführt hat, soll nach den Wünschen der Verantwortlichen bleiben. "Er hat Vertrag", sagt Renkema, "und wenn es gesundheitlich geht, macht er weiter." Zugleich hat der Klub Konstantin Bitter von Schwarz-Weiß Erfurt als neuen Co-Trainer verpflichtet, der auch als Chefcoach einspringen könnte, sollte es bei Aleksandersen nicht mehr gehen.

Volleyball-Meister Stuttgart: Küsschen für die Libera: Stuttgarts Roosa Koskelo wird von Krystal Rivers (re.) und Simone Lee (li.) geherzt.

Küsschen für die Libera: Stuttgarts Roosa Koskelo wird von Krystal Rivers (re.) und Simone Lee (li.) geherzt.

(Foto: Hansjürgen Britsch/Pressefoto Baumann/Imago)

Von Simone Lee muss sich der Klub indes verabschieden, die Außenangreiferin wechselt wie Laura Künzler in die Türkei. Weitere Spielerinnen, wie Schölzel, verlassen den Klub ebenfalls. Aber einen starken Ersatz für die Schlüsselspielerin Lee hat Stuttgart offenbar schon verpflichtet. Außerdem bleiben gleich fünf Stammspielerinnen beim MTV, der daher um Rivers herum wieder eine titeltaugliche Mannschaft bauen wird. Sie alle wissen, dass sie sich künftig eigentlich nur noch selbst schlagen können - nach allem, was passiert ist.

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