Süddeutsche Zeitung

Mountainbike bei den European Championships:Erst Alpe d'Huez, dann Olympiaberg

Bei der Tour de France gewann der Brite Tom Pidcock die berühmte Bergetappe auf dem Rennrad, nun ist er auf dem Mountainbike der Schnellste in München und wird Europameister.

Von Ralf Tögel

Julian Schelb deutete erst auf sein rechtes Knie, dann auf das Schaltgehäuse an seinem Mountainbike. Die blutende Wunde hatte er sich bei einem Sturz zur Hälfte des Rennens zugezogen, bei dem obendrein das Schaltwerk verbogen wurde: "Ich konnte nicht mehr richtig schalten und musste ein paar Mal vom Rad. Vielleicht hätte ich sonst ein bisschen länger an ihm dranbleiben können." Ihm, das war Tom Pidcock, der Olympiasieger und Favorit. So war jedenfalls ursprünglich der Plan, den Bundestrainer Peter Schaupp seinen Fahrern angesichts der technisch nicht sonderlich anspruchsvollen Strecke mitgegeben hatte: sich an das Hinterrad eines starken Konkurrenten zu hängen und zu versuchen, möglichst lange dranzubleiben.

"Ich hatte gute Beine", sagte Schelb hernach frustriert, "aber gerade als es ein bisschen angefangen hat zu regnen, bin ich in einer engen Kurve auf einem Asphaltstück mit dem Vorderrad weggerutscht." Das Malheur war dem 29-Jährigen ausgerechnet in der Phase passiert, als Pidcock sich nach einer verhaltenen Anfangsphase nach vorne arbeitete. Es blieb der 21. Platz bei der Cross-Country-Europameisterschaft für Schelb, bester Deutscher wurde Luca Schwarzbauer als Zehnter, er kam zwar ohne Probleme durch das Rennen, konnte mit den Besten aber ebenfalls nicht mithalten. Dreizehnter wurde überraschend der 22-jährige David List, der sein bestes Karriere-Ergebnis erreichte und Sonderlob vom Bundestrainer bekam.

Multi-Talent: Tom Pidcock ist auch Weltmeister im Querfeldeinfahren

Pidcock aber war von keinem zu halten, er fuhr dem Rest des Feldes unaufhaltsam davon und gewann überlegen den Europameistertitel. In ähnliche Manier hatte der Engländer aus Leeds dies bei der Tour de France auf der Königsetappe hinauf in das Skidorf Alpe d'Huez getan, als er dem späteren Tour-Sieger Jonas Vingegaard mehr als drei Minuten abnahm. So groß war der Vorsprung beim Cross Country im Olympiapark auf dessen dänischen Landsmann Sebastian Fini Carstensen zwar nicht, Pidcock kam nach 1:12,09 Stunden mit lediglich elf Sekunden Vorsprung ins Ziel. Er hatte aber angesichts seiner Überlegenheit in der Schlussphase viel Tempo aus seiner Siegesfahrt genommen.

Pidcock liebt diese Ausflüge ins Gelände - wenn es sein Straßen-Rennstall zulässt. Der erst 23-jährige Brite gewann neben Olympia und der EM im Januar auch die Weltmeisterschaft im Cyclocross, früher bekannt als Querfeldeinrennen. Am Olympiaberg, der mit 13 000 Zuschauern wieder sehr gut besucht war, erkannte auch die achtköpfige Verfolgergruppe, der zwischenzeitlich fünf Schweizer angehörten, dass es sinnlos ist, sich mit Pidcock anzulegen. Vielleicht lag es ja auch daran, dass den Eidgenossen ihr Bester abhanden gekommen war, der Vizeweltmeister Mathias Flückiger war unverrichteter Dinge aus München abgereist, weil ein positiver Dopingtest vom 5. Juni bei den Schweizer Meisterschaften ausgerechnet am Tag vor dem Rennen öffentlich geworden war. Die B-Probe steht aus, der 33-Jährige wurde vom Schweizer Verband sofort suspendiert und schweigt bislang. Die Ehre der Mountainbike-Nation rettete Filippo Colombo auf dem Bronzerang.

Bei den Frauen gab es weniger Aufregung, dafür bekamen sie am Samstag den für das Männerrennen vorhergesagten Regen ab, der Kurs wurde von Runde zu Runde rutschiger und schlammiger. Auch hier deutete lange alles auf einen Favoritensieg hin, denn schnell setzten sich die beiden Französinnen Pauline Ferrand Prevot und Loana Lecomte vom Feld ab und zur Hälfte des Rennens startete Titelverteidigerin Ferrand Prevot den erwarteten Alleingang. Bis der 30-Jährigen nach dem Anstieg auf dem Olympiaberg die völlig verdreckte Kette vom Ritzel sprang. Im Mountainbike müssen derlei Probleme im Gegensatz zu den Straßenfahrerinnen selbst gelöst werden, die 23-jährige Lecomte, die zu den großen Talenten in der Szene zählt, nutzte das Pech der Teamkollegin, zog auf dem Olympiaberg vorbei und fuhr zu einem ungefährdeten Sieg.

Und schwärmte von der fantastischen Atmosphäre beim Rennen, das trotz des Regens 9000 Zuschauer an der Strecke säumten. EM-Bronze sicherte sich die Weltcup-Führende Anne Terpstra. Die deutschen Fahrerinnen hatten mit der Entscheidung nichts zu tun, Leonie Daubermann belegte vor Nadine Rieder den 17. Rang. Schon in einer Woche hat das deutsche Team die Gelegenheit zur Revanche, dann stehen im französischen Les Gets die Weltmeisterschaften auf dem Programm.

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