Motorsport:Wiederbelebt mit 600 PS

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Nicht Rot lackiert, aber ein Ferrari: In der DTM gehen diese Saison neben Audi, BMW und Mercedes auch die italienische Traditionsmarke (vorne Alexander Albon) sowie McLaren und Lamborghini auf die Strecke. (Foto: Juergen Tap /imago)

2020 stand die DTM vor dem Aus, nun startet die Tourenwagenserie mit so vielen Marken wie lange nicht in die neue Saison - und mit zwei Fahrerinnen.

Von Anna Dreher, Monza/München

So ein bisschen kommt es Timo Glock vor wie 2013, als sein Vertrag beim Formel-1-Team Marussia nicht verlängert wurde und er zu BMW ins Deutsche Tourenwagen Masters (DTM) wechselte. Auf einmal hatte er ein Dach über dem Kopf in einem Auto mit weniger Leistung, mehr Gewicht und einer anderen Sicht. Und jetzt, wo er sich an all das längst gewöhnt hat, muss der 39-Jährige wieder lernen, sich umzustellen, obwohl er die Serie gar nicht wechselt. "Ich bin so ein erfahrener Rennfahrer, aber unerfahren in einem GT3-Wagen", sagte Glock am Mittwoch. "Alles fühlt sich total anders an. Es gibt viele Komponenten, an die ich mich erst gewöhnen und das Limit finden muss."

Das Schöne für ihn ist dabei ja, dass er sich überhaupt auf etwas Neues einstellen kann. Glock wird in einem von 19 Cockpits sitzen, wenn am Samstag und Sonntag (13 Uhr, Sat.1) im italienischen Monza jene Motorsportserie in ihre neue Saison startet, die noch vor nicht allzu langer Zeit vor dem Aus stand - und abermals davor bewahrt wurde. Ja, die DTM gibt es tatsächlich noch. Und vieles ist so anders, dass sich sogar ein Routinier wie Glock neue Dinge aneignen muss. "Nach dem letzten Rennen vergangenes Jahr hat jeder gesagt: Okay, das war's, diese Plattform ist durch", sagte Glock. "Unter den aktuellen Umständen ist es noch schwieriger gewesen, etwas aufzubauen. Der Respekt vor Gerhard muss noch größer sein."

"Für eine neue Rennserie hätte es in der aktuellen Situation keine Chance gegeben", sagt Berger

Gerhard Berger, seit 2017 Vorsitzender der DTM-Dachorganisation ITR, ist der beständige Lebensretter der Tourenwagenserie. Derjenige, der antreibt, überlegt, innoviert. Und der nun hofft, eine Basis gefunden zu haben, um vielleicht mal eine Pause zu bekommen von diesem ständigen Kampf, den er nicht bereit ist aufzugeben. "Es war im letzten Jahr nicht einfach. Aber es wird auch in den nächsten Jahren nicht einfach sein - nicht zuletzt wegen der Pandemie und der Transformation der Automobilindustrie in Richtung Elektrifizierung", sagt Berger. "Daher mussten wir auch auf ein bestehendes Konzept setzen, denn für eine neue Rennserie hätte es in der aktuellen Situation keine Chance gegeben."

"So eine Plattform schreibt man nicht einfach ab": DTM-Chef Gerhard Berger ist fest überzeugt vom Potenzial der Tourenwagenserie. (Foto: Juergen Tap /HochZwei/Imago)

Ende 2020 stieg erst Audi - ein Strategiewechsel weg vom Verbrennermotor - und daraufhin auch BMW werksseitig aus der DTM aus. Mercedes hatte sich Ende 2018 verabschiedet. Was tun? Berger entschied sich für den Wechsel auf eigenständige Teams bei einem veränderten technischen Reglement mit Fahrzeugen auf GT3-Basis, wie weltweit bereits andere Serien. Damit verlor die 1984 gestartete DTM ihr Alleinstellungsmerkmal: Eigens entwickelte Prototypen, die im sogenannten Class-One-Reglement antraten, was jedoch äußerst kostspielig war. "Aber die DTM ist eine starke Marke. Wir haben eine lange Historie und einen enormen internationalen Bekanntheitsgrad. Es gibt nur wenige Rennserien, bei denen das der Fall ist", sagt der 61-jährige Tiroler. "So eine weltweit anerkannte Plattform, die über Jahre hinweg aufgebaut wurde und gewachsen ist, schreibt man nicht einfach ab."

Und nun hat Berger das, was er stets wollte, in dieser Form aber bislang nicht bieten konnte: mehr Markenvielfalt. Das Feld setzt sich zusammen aus Audi, BMW, Mercedes, Ferrari, Lamborghini und McLaren als Gaststarter bei drei Rennen. So viele gab es in der Traditionsserie zuletzt in den Neunzigern. Die bis zu 600 PS starken Autos haben Vierzylinder-, Sechszylinder-, Acht- oder Zehnzylindermotoren in den unterschiedlichen Fahrzeugkonzepten verbaut. Sie unterscheiden sich von den Class-One-Prototypen beispielsweise in Größe, Gewicht und Fahrverhalten. Durch ausgleichende Maßnahmen, die Balance of Performance, soll zudem die Chancengleichheit erhöht werden. Mit etwa 1,2 Millionen Euro pro Auto sind die Kosten um rund die Hälfte gesunken. Mehr Duelle und Spannung auf der Strecke sind das Ziel.

Zwei Frauen, 19 Männer: Die 20 Jahre alte Münchnerin Sophia Flörsch, bisher in der Formel 3 unterwegs gewesen, und die Britin Esmee Hawkey, 23, fahren diese Saison in der DTM um die Punkte. (Foto: Bratic /Nordphoto/Imago)

13 Teams gehen an den Start und erstmals seit neun Jahren auch wieder Fahrerinnen: Die 20 Jahre alte Münchnerin Sophia Flörsch, bisher in der Formel 3 unterwegs gewesen, sowie die 23-jährige Britin Esmee Hawkey, die vom Porsche Carrera Cup kommt und nun die 13. Frau in der DTM-Geschichte ist. "Beide werden sich in dieser Saison Stück für Stück nach vorne arbeiten", sagt Berger. "Auch, wenn wir in der Vergangenheit schon erfolgreiche Pilotinnen wie Ellen Lohr und Susi Wolff am Start hatten, müssen sich die Fahrerinnen am Ende des Tages in einer Männerdomäne durchsetzen. Das ist nicht ganz einfach."

Der Vermarktung der DTM hilft das natürlich zusätzlich - international ist das Grid mit zwölf Nationalitäten auch noch. Während der 16 Rennen an acht Wochenenden bis zum geplanten Finale Anfang Oktober in Hockenheim muss nun der große Funke aber ebenso aufs Publikum überspringen, damit die DTM in neuem Gewand fortbestehen kann. Gerhard Berger hat große Pläne: 2023 soll es auch eine vollelektrische, 1000 PS starke DTM geben.

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