Motorsport:Der nächste schreckliche Unfall

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Das Fahrzeug des Verunglückten Alexander Peroni.

(Foto: imago images / Motorsport Images)
  • Beim Rennen der Formel 3 in Monza kommt Alex Peronis Wagen von der Strecke ab und dreht sich mehrfach in der Luft - der Fahrer bleibt glücklicherweise offenbar unverletzt.
  • Angesichts des fatalen Unglücks vor einer Woche verstärkt dieser Vorfall die Sicherheitsdebatte noch weiter.
  • Außerdem ist Juan Manuel Correa, der auch am Unfall in der Formel 2 beteiligt war, nach neuen Informationen deutlich schwerer verletzt als ursprünglich angenommen - und nicht bei Bewusstsein.

Von Philipp Schneider, Monza

Die Formel 1 ist eine geschlossene, auf Sicherheit bedachte Gesellschaft. Wer hinein möchte in das Fahrerlager in Monza, der muss eine Schleuse mit Drehkreuzen passieren, die erst in Bewegung gerät, wenn eine ordnungsgemäße Zutrittsberechtigung unter einen Scanner gehalten wird. Sicherheitshalber stehen an beiden Seiten der Kreuze auch noch Sicherheitsfrauen oder -männer. Sicher ist sicher.

Gleich gegenüber, auf der anderen Seite eines Gehweges im Königlichen Park von Monza, öffnet sich die Welt der Serien Formel 2 und Formel 3, die auf dem Asphalt keine gigantischen Motorhomes aufgeschlagen haben, sondern schlichte, weiße Zelte, in denen an den Autos geschraubt wird. Niemand hindert irgendwen am Zutritt zum Areal der Nachwuchsrennserien der Formel 1, normalerweise hält sich das Interesse der Öffentlichkeit an ihnen auch im überschaubaren Rahmen. Und doch stehen die Geschichten, die dort geschrieben wurden und noch immer geschrieben werden, seit einer Woche, seit dem Unfalltod des Franzosen Anthoine Hubert in Spa-Francorchamps, im Zentrum der Motorsportszene. Sie treiben eine Sicherheitsdebatte voran, die in der Nacht von Freitag auf Samstag noch einmal an Schärfe zugelegt hat. Denn auch dem zweiten in Spa verunfallten Fahrer, dem Amerikaner Juan Manuel Correa, geht es gesundheitlich weit schlechter als angenommen.

Und so kommt es, dass ungeachtet des geschäftigen Treibens der Formel 1, die in Monza weiter ihr gewohntes Sportprogramm durchzieht, die Geschichte des gravierenden Unfalls von Spa auch am Samstag noch quer im Raum steht. Weil klar wird, dass sie noch nicht auserzählt ist.

Correa musste unter der Woche nach London verlegt werden

Am vergangenen Samstag hatte Juan Manuel Correa im Formel-2-Rennen in Belgien mit etwa 260 Kilometern in der Stunde seinen Rennwagen auf der steilen Bergpassage ausgangs der berühmten Eau-Rouge-Senke wie einen Keil in Huberts Auto getrieben. Er traf es im rechten Winkel. Huberts Wagen zerbrach in mehrere Teile, der Fahrer hatte keine Chance. Hubert wurde 22 Jahre alt. Correas Fahrzeug hingegen überschlug sich und blieb kopfüber liegen. Der Pilot dieses zweiten verunfallten Wagens habe schwere Beinverletzungen erlitten und werde behandelt, hieß es zunächst. Seit der Nacht von Freitag auf Samstag ist klar, dass der 20-Jährige noch weit schlimmer verletzt ist als angenommen.

Correa ist nicht bei Bewusstsein. Diese Nachricht verbreiteten seine Eltern in einem Statement in den sozialen Netzwerken Instagram, Twitter und Facebook sowie auf der Homepage ihres Sohnes. Correa habe ein akutes Atemnotsyndrom erlitten und müsse künstlich beatmet werden. Sein Zustand sei "kritisch, aber stabil". Es handele sich um eine Verletzung, die angesichts der Heftigkeit des Unfalls vorkomme, hieß es. Sie habe zu einem Atemstillstand geführt. "Wir sind überzeugt, dass unser Sohn uns mit seinem Kampfgeist und seiner Stärke überraschen wird und sich komplett erholt", schreibt die Familie. Jean Todt, der Präsident des Weltverbands Fia, sagte am Samstag: "Jetzt haben wir Juan Manuel Correa, der um sein Leben kämpft."

Am Mittwoch, als offenbar ersichtlich wurde, dass seine gesundheitliche Lage bedrohlicher war als vermutet, war Correa vom Krankenhaus in Lüttich nach London verlegt worden. In der belgischen Klinik nahe der Rennstrecke hatten die Ärzte ihn noch am Tag des Unfalls an den Symptomen behandelt, die zunächst offensichtlich waren. Die späteren Komplikationen machten eine Verlegung in eine Spezialklinik erforderlich, die über ein ECMO-Gerät (extrakorporale Membranoxygenierung) verfügt, eine Eiserne Lunge, mit der das Blut künstlich mit Sauerstoff angereichert werden kann.

Peronis Auto wird wie ein Flummi durch die Luft gewirbelt

Der Weltverband Fia untersucht derzeit, ob die Strecke in Spa modifiziert werden sollte. Die Untersuchungen kreisen auch um die Frage, ob sich das Unglück hätte verhindern lassen, gäbe es in der Raidillon, der Kurve nach der Eau-Rouge-Senke, keine asphaltierte Auslaufzone. Vor der Kollision war Correa neben die Strecke auf die ehemalige Boxenausfahrt des Kurses geraten, um einem dritten Fahrzeug auszuweichen. Angesichts des passablen Belags unter den Reifen musste Correa nicht abbremsen. Nathalie Maillet, die Geschäftsführerin der Rennstrecke, kündigte an, sie warte das Ergebnis der Untersuchungen ab, doch es würden ohnehin Kiesbetten eingerichtet in der Raidillon.

Sie werden wohl in Spa zumindest die Auslaufzonen der Strecke verändern, um dort die Geschwindigkeiten zu drosseln. Umbauen mussten sie auch in Monza, am Samstagvormittag. Nachdem dort während eines Rennens der Formel 3 ein extrem heftiger, auf den ersten Blick schockierender, zum Glück folgenarmer Unfall geschehen war: Der Australier Alex Peroni geriet in der berüchtigten Parabolica-Kurve mit den Vorderrädern auf einen Randstein. Dann hob sein Rennwagen ab wie ein Jet vom Deck eines Flugzeugträgers. In der Luft überschlug sich das Auto, drehte sich mehrfach um beide Achsen, landete kopfüber - mit dem Kopfschutz Halo voran - auf einem Reifenstapel, federte wie ein Flummi wieder nach oben. Und wurde danach noch neben einen Sicherheitszaun katapultiert. Der 19-Jährige erlitt dabei einen Wirbelbruch und eine Gehirnerschütterung, kam damit also vergleichsweise glimpflich davon. Genau wie die vier Streckenposten, die nur wenige Meter von der finalen Ruheposition seines Rennwagens postiert waren und unverletzt blieben.

Radsport sei gefährlicher als Motorsport, behauptet Fia-Präsident Jean Todt

Die Fia ließ den Randstein, der aus Plastik besteht, wegschaffen. Noch bevor die Rennwagen der Formel 1 für das dritte freie Training auf die Strecke gelassen wurden, das deshalb zehn Minuten später losging als geplant. Dass dieser Randstein überhaupt dort ausgelegt worden war, ist angesichts des verheerenden Unfalls überaus fragwürdig. Er hatte keinerlei Sicherheitsfunktionen. Er sollte vielmehr die Piloten daran hindern, jenseits der Strecke weit auszuholen, um aus der Kurve Schwung mitzunehmen auf die Start- und Zielgerade. Das lässt sich auch anders verhindern als mit einer Begrenzung, die Rennwagen fliegen und drehen lässt wie Kunstturner. Zum Beispiel mit simplen Strafen, die verhängt werden, wenn sich Fahrer nicht regelkonform verhalten.

"Motorsport ist gefährlich. Weniger als früher, aber er ist gefährlich", sagte Fia-Präsident Jean Todt, der am Samstag nur deshalb öffentlich sprach, weil er eine Kampagne bewerben wollte, die die Sicherheit im Straßenverkehr erhöhen soll. Am Rande dessen argumentierte Todt noch, dass etwa der Radsport gefährlicher sei als der Motorsport. Dennoch gelte: "Ein Opfer ist schon eines zu viel." Entscheidend sei, aus Unfällen wie dem von Hubert und Correa zu lernen und entsprechende Konsequenzen zu ziehen. Todt kritisierte auch, die Menschen hätten möglicherweise ein kurzes Gedächtnis. "Als wir den Halo vor ein paar Monaten eingeführt haben, dachten die Leute, wir brauchen das nicht. Nun wollen sie noch mehr." Es sei eine "sehr emotionale Diskussion", sagte Todt. In jedem Fall ist es eine Debatte, die angesichts der tragischen Entwicklungen des Gesundheitszustands von Juan Manuel Correa noch längst nicht zu Ende geführt ist.

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