Motorsport:Ein Rätsel für den Mechaniker

Der Fürther BMW-Pilot Marco Wittmann erlebt eine schwierige Saison. Er ist in der DTM derzeit als Vierter der beste Nicht-Mercedes-Fahrer - das entspricht aber nicht seinen Ansprüchen.

Von Anna Dreher

Dieses eine Wochenende fühlt sich immer noch an, als wäre es gar nicht lange her. Wahrscheinlich wird Marco Wittmann es auch nie vergessen. Weil er an diesem einen Wochenende sein erstes Rennen in der Deutsche Tourenwagen-Masters (DTM) gefahren ist. Und weil es, wie er rückblickend sagt, "so dermaßen verkorkst" angefangen hat. Wegen der Elektronik an seinem BMW hatte er Probleme im Freien Training, im Qualifying fuhr er nur eine Runde und rollte aus. Bei seinem ersten Rennen startete Wittmann als Vorletzter, für ihn war das alles eine Katastrophe. Die Erinnerung an dieses eine Wochenende ist aber auch deshalb noch immer sehr präsent, weil Wittmann dort unter besonderen Umständen und unter besonderer Beobachtung gezeigt hat, dass er zu jener Sorte von Rennfahrern gehört, die sich unermüdlich nach vorne arbeiten kann, die nicht aufgibt, bis eben nichts mehr geht.

In seinem ersten DTM-Rennen, 2013 auf dem Hockenheimring, fuhr Wittmann als Neunter von 22 Fahrern sogar noch in die Punkte. Und am Saisonende war Wittmann als Gesamtachter bester Rookie. Ein Jahr später gewann der damals 24-Jährige seinen ersten Meistertitel in dieser Rennserie. Zwei Jahre später wiederholte er diesen Erfolg mit vier Punkten Vorsprung auf den Zweiten, die Entscheidung fiel erst im letzten Lauf. Ja, doch, sagten sich die Leute damals, dieser Wittmann, der kann schon Auto fahren. Und auch Wittmann merkte, dass er das ganz gut kann. "Ich war schon immer vorne dabei, auch in den Nachwuchsserien, aber ich war der ewige Zweite", sagt er. "Früher habe ich viele Titel weggeschmissen, weil ich Fehler gemacht habe. Daraus lernt man."

Wenn er in Fürth ist, repariert er in der Werkstatt seiner Eltern Autos - weil es ihm Spaß macht

Wittmann ist ein sehr bodenständiger Mensch, bescheiden im Auftreten, unaufgeregt. Er selbst macht keinen Wirbel um seine Person, und ihm ist es auch am liebsten, wenn andere damit nicht übertreiben. Der 28-Jährige lebt nach wie vor in Fürth, seiner Geburtsstadt. Für ihn käme gar nichts anderes in Frage. Wittmann braucht sein gewohntes Umfeld zum Abschalten.

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Rechnerisch ist in den letzten sechs Rennen der Saison noch alles möglich: Marco Wittmann in seinem BMW beim Rennen in Misano.

(Foto: Hoch Zwei/Imago)

Und wenn er schon mal da ist an einem freien Tag, repariert er in der Werkstatt seiner Eltern als Karosseriebauer Autos. Ihm macht das Spaß. Das hat er gelernt und damit hätte er sein Geld verdient, wenn er nicht Rennfahrer geworden wäre. Wittmann hat extra einen LKW-Führerschein gemacht, um flexibler einsetzbar zu sein im Familienbetrieb. "Meinen Eltern war es immer wichtig, dass ich einen Schulabschluss und eine Lehre habe. Der Motorsport gibt einem ja nie eine Garantie", sagt er. "Und mir ist es unheimlich wichtig, dass ich etwas zurück geben kann. Familie spielt eine große Rolle für mich."

Seine Familie und er sind schon immer ein Team gewesen. Als er mit sechs Jahren im Kart anfing, bereitete es ihm sein Vater für das nächste Rennen vor. Die Eltern und sein dreieinhalb Jahre jüngerer Bruder reisten an den Wochenenden mit, jedes zweite waren sie zusammen unterwegs. Über die Formel BMW kam Wittmann zur Formel 3 und schließlich 2012 als Testpilot zu BMW. Seit 2013 ist er Stammfahrer. Auch heute noch wird er oft von seinen Eltern begleitet, das Verhältnis ist sehr eng. "Für uns war mein Einstieg in die DTM der Beweis, dass sich all die harte Arbeit gelohnt hat und die Bestätigung, dass wir den richtigen Weg gegangen sind", sagt Wittmann. Sein Fundus von Erinnerungen an schwierige Situationen ist inzwischen gewachsen, und von dem, was ihm in seinen Erfolgsjahren geholfen hat, wird er auch in dieser Saison zehren. Es ist seine bislang schwierigste.

DTM Norisring

Mit Freude daheim am Norisring: Marco Wittmann.

(Foto: Daniel Karmann/dpa)

Sechs Rennen stehen noch an: Dieses Wochenende startet die DTM am Nürburgring (Samstag und Sonntag jeweils ab 13 Uhr auf Sat1), dann in Spielberg (22./23. September) und zum Finale traditionell am Hockenheimring (13./14. Oktober). Es ist ein ungewöhnliches Jahr, das einen Einschnitt markiert, wie ihn die DTM schon lange nicht mehr erlebt hat: Nach 30 Jahren wird Mercedes ausgerechnet als stärkste Marke aussteigen. Wie sich die Rennserie entwickelt, ist ungewiss. Vergangene Woche bestätigte Audi immerhin, auch 2019 anzutreten. Ein neues Reglement ermöglicht dann den Einsatz der Autos in der DTM und in der japanischen Super-GT-Serie, das soll die Internationalisierung vorantreiben. Ohne dritten Hersteller aber wird es schwierig. Mercedes konzentriert sich künftig neben der Formel 1 auf deren Elektrovariante Formel E - und das nach zehn Fahrer- und 13 Teamtiteln in der DTM. Alles spricht dafür, dass zum Abschied Nummer elf und 14 dazukommen.

Die Dominanz der Schwaben ist fast schon erdrückend. Die Mercedes-Piloten Paul Di Resta (186 Punkte), Gary Paffett (177) und Edoardo Mortara (138) führen die Wertung an. Wittmann, der Fahrer mit der Nummer 11, ist best of the rest mit 112 Punkten. Das entspricht nicht seinen Ansprüchen. "Als Vierter und bester Nicht-Mercedes-Fahrer könnte ich eigentlich schon zufrieden sein", sagt er. "Aber es läuft einfach nicht ganz so, wie ich es mir wünschen würde." Den Mechaniker Wittmann treibt etwas um, das unmittelbare Auswirkungen auf den Rennfahrer Wittmann hat. Bei BMW haben sie diese Saison ein Problem. Es ist das gleiche, das auch Audi bewegt: Sie wissen nicht, was ihren Konkurrenten so verdammt schnell macht. Und sie wissen nicht, wie sie selbst so konstant schnell werden könnten. Neun der bisher 14 Rennen gewannen Mercedes-Fahrer. Die verbleibenden Siege teilten Wittmann (2), Timo Glock (BMW/1), Joel Eriksson (BWM/1) und René Rast (Audi/1) unter sich auf.

Die DTM-Fahrerwertung

1. Paul Di Resta (Mercedes) 186 Punkte, 2. Gary Paffett (Mercedes) 177, 3. Edoardo Mortara (Mercedes) 138, 4. Marco Wittmann (BMW) 112, 5. Lucas Auer (Mercedes) 110, 6. Timo Glock (BMW), 107, 7. René Rast (Audi) 93.

Rein rechnerisch ist noch möglich, was sich aus seiner Sicht schön anhören würde: Marco Wittmann, DTM-Champion 2014, 2016 und 2018. Pro Wochenende kann ein Fahrer maximal 56 Punkte holen. Und so lange es theoretisch machbar sei, sei er der Letzte, der aufgebe: "Einfach ist es in der DTM sowieso nie. Es kann sich alles so schnell verschieben und drehen." Nicht zuletzt, weil in einem ihrer sechs Autos Wittmann sitzt, glauben sie bei BMW daran, dass sich dieses Verschieben und Drehen noch zu ihren Gunsten wenden kann. Mit zwei Titeln gehört der Fürther zu den erfolgreichsten Fahrern der DTM, nur Klaus Ludwig mit drei und Bernd Schneider mit fünf Meisterschaften ist das häufiger gelungen.

"Sein Siegeswille ist immer noch sehr groß, gepaart mit einer in den vergangenen Jahren gewachsenen Ruhe", sagt BMW-Motorsportdirektor Jens Marquardt. "Seine Titel haben weder zu Lethargie, noch zu Überheblichkeit geführt. Wie er das Auto konstant am Limit hält, ist schon außergewöhnlich." Auch Teamchef Stefan Reinhold beschreibt seinen Fahrer als sehr fokussiert. Er arbeitet seit 2014 eng mit Wittmann zusammen, als dieser vom Team MTEK zu Reinhold Motorsport wechselte. Wittmann verstehe, wie die Dinge im Team und im Motorsport ablaufen, er habe ein Gespür für Details. "Er ist einer der besten Fahrer. Um so eine Leistung wie 2016 zu bringen, muss man schon eine erhebliche Nervenstärke haben", sagt Reinhold. "Man kann sich zu hundert Prozent auf ihn verlassen mit seiner absolut geringen Fehlerquote." Wenn Wittmann nach einem Rennen meine, mehr sei nicht drin gewesen, dann sei das auch so.

Natürlich hätte Wittmann sein Können gerne auch in der Formel 1 gezeigt. Der Wunsch war da, Mittel und Möglichkeiten nicht. 2015 durfte er für Toro Rosso testen, das B-Team von Red Bull. Ein Angebot für ein Cockpit blieb jedoch aus. "Wenn du keine Gelder hast, kommst du nicht infrage, das passiert vielen", sagt Wittmann. "Die Situation wird immer schlimmer. Für die Formel 1 ist das sicher nicht förderlich, dadurch entsteht eine Mehrklassengesellschaft. Und das ist ja der Reiz an der DTM, dass du 18 Autos hast, die im Prinzip alle um Siege fahren können." Er hat sich eingerichtet in dieser Serie, die er am liebsten noch ein paar Mal gewinnen würde. Schließlich denkt der Franke noch lange nicht an sein Karriereende: "Ich sehe mich nicht mit 35 Jahren in der Rente, eher mit 40 plus." So lange er noch mithalten kann und Chancen auf den Titel hat, will er fahren. Denn bei aller Bodenständigkeit: Ehrgeizig ist dieser Marco Wittmann schon.

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