Motorsport:Ampel auf Rot

Dominik Schwager verdient sein Geld seit Jahrzehnten auf Rennstrecken. Ihm geht es nun nicht anders als Schaustellern oder Barkeepern.

Von Benjamin Emonts

Es ist nicht die Art von Dominik Schwager, sich über seine Situation groß zu beklagen: Das Gefühl der Ungewissheit kennt er dafür zu gut. Als Rennfahrer musste Schwager erleben, dass unterschriftsreife Verträge platzten wie Reifen oder wie es sich anfühlt, ein Rennfahrer ohne Auto zu sein. "Ich hatte mental schon schwierigere Zeiten", sagt er. Und dennoch ist die jetzige Lebensphase für ihn sehr belastend. Schwager, das ist ihm neu, muss das Lenkrad auf ungewisse Zeit aus der Hand geben. Wann er das Steuer wieder übernehmen kann, bestimmt einzig der Verlauf der weltweiten Pandemie.

Schwager, 43, kann seinen Beruf als Rennfahrer wegen der Coronavirus-Krise derzeit nicht ausüben - er ist genauso arbeitslos wie Schausteller, Barkeeper oder Friseure. Die Fahrtrainings, die Schwager gibt, kommen nicht mehr zustande, ebenso die Rennen, für die er bezahlt wird. Der gesamte Motorsport in Europa liegt lahm. Die Kart-Paläste sind geschlossen. Die großen Rennserien ruhen. Fast alle Events auf den bedeutenden Rennstrecken sind verschoben oder ganz abgesagt. "Die Ungewissheit belastet mich", sagt Dominik Schwager.

Seine Situation ist eine, die mit jener der schillernden Stars aus der Formel 1 wenig gemein hat - obwohl er selbst einst ein hoffnungsvolles Talent war. Sebastian Vettel, so liest man, soll gerade auf seinem Schweizer Bauernhof ein erstes Vertragsangebot von Ferrari abgelehnt haben, weil er wohl auf einen Teil seines 30 Millionen schweren Jahresgehalts verzichten müsste. Dominik Schwager plagen da andere Sorgen. Er muss an sein Erspartes, um seine Wohnung und sein Leben in München zu finanzieren. Er erzählt am Telefon, wie er sich ohne Rennfahren abzulenken versucht. Seine Sehnsucht nach Geschwindigkeit und Adrenalin bringe ihn dazu, mit dem Mountainbike rasante Trails an der Isar zu fahren. Das Internet durchstöbere er gerade nach einer Motocross-Maschine, die er sich in besseren Zeiten zulegen will. "Ein bisschen Equipment", so erzählt er, "habe ich mir schon bestellt".

Dominik Schwager

Perfekte Kurvenlage: Dominik Schwager im Ferrari 488 GT3 auf der berühmten Rennstrecke in Monza.

(Foto: Gary Parravani / OH)

Dazu muss man wissen: Schwager ist einer, der durchaus erfolgreich ist in seinem Beruf. Er verdient sein Geld seit einem Vierteljahrhundert mit Autorennen. Er hat sich abseits der hochpolierten Formel 1 Jahr für Jahr in einer Branche bewiesen, in der sich viele zwar als Rennfahrer bezeichnen, die wenigsten aber wirklich ihr Geld damit verdienen können. Motorsport ist extrem teuer. Viele seiner Protagonisten verbrennen horrende Summen für Streckenkosten, Autos, Mechaniker, Treibstoff, Reisen und Hotels. Bis jemand in ein Cockpit der Formel 1 steigt, brauche er nicht bloß "so etwas wie einen Sechser im Lotto", sagt Schwager, sondern zusätzlich ein paar Millionen. Gezahlt werden diese Summen häufig von gut situierten Eltern und privaten Gönnern. Doch bis ganz oben in die großen Rennserien, wo die Rennställe mit Millionenverträgen winken, schaffen es die allerwenigsten.

Schwager, der aus Eisenhofen im Landkreis Dachau stammt, war jedoch gar nicht so weit entfernt. Sein motorsportbegeisterter Vater setzte ihn, als er neun war, das erste Mal auf ein Go-Kart. Der Junge machte sich gut. Bei einer Fahrersichtung stach Schwagers Talent wenige Jahre später heraus. Damals noch Schüler am Gymnasium, erhielt er diverse Förderungen vom ADAC. Schwagers Vater, der als Ingenieur arbeitete, organisierte zusätzliche private Sponsoren. Schwager konnte so mit relativ wenig eigenem Geld in der Deutschen Formel BMW starten, die als eine der Nachwuchsschmieden in Europa galt. 1995 gewann er als 19-Jähriger die Meisterschaft in der Serie, was ihm später Hochkaräter wie Sebastian Vettel oder Nico Rosberg nachmachten. Es folgte der Wechsel in die Deutsche Formel 3 und nach zwei Saisons in die internationale Formel 3000. Er lieferte sich Duelle mit Fahrern wie Juan Pablo Montoya oder Nick Heidfeld, die später in der Formel 1 Karriere machten. Sein bestes Rennergebnis in der Formel 3000 war ein vierter Platz.

Schwager wollte in dieser Zeit auch unbedingt in die Formel 1. Sein großes Vorbild war Ayrton Senna, der Bolide seiner Träume ein Williams Renault. Eines Tages wollte er darin mit Top-Speed durch den Wald am Hockenheimring rasen oder durch die engen Kurven von Monaco manövrieren. Viele der Strecken war er bereits gefahren. Was fehlte, war ein Probetraining in der Formel 1.

Ans Ziel sollte ihn schließlich ein Umweg über die Formel Nippon in Japan bringen - eine Extrakurve, die auch schon der spätere Ferrari-Pilot Eddie Irvine genommen hatte. Schwagers Team jedoch ging in der ersten Saison pleite. Er bekam Angebote aus der weniger beachteten GT Serie in Japan. Er sollte jetzt in Autos mit Dach steigen, die er damals, so erzählt er schmunzelnd, der Bezeichnung Rennwagen nicht für würdig hielt.

Dominik Schwager

Dominik Schwager, 43, ist aufgewachsen in Eisenhofen im Landkreis Dachau. Als Rennfahrer zog es ihn elf Jahre nach Japan. Heute gibt er Renntrainings und fährt auf Show-Events.

(Foto: OH)

Schwager musste sich entscheiden zwischen der Gewissheit, mit Autorennen weiter verdienen zu können, und dem Risiko, in der aussichtsreicheren Formel Nippon womöglich kein Auto zu bekommen. Er entschied sich für die Gewissheit. Als Werksfahrer für Honda und Toyota kam er auf ein solides Gehalt, wie es etwa ein durchschnittlicher Ingenieur in Deutschland verdient. Die Metropolen Yokohama und Tokio wurden für Jahre zu seinem Lebensmittelpunkt. Schwager erzählt gern über diese Zeit. Er erinnert sich dann, wie er vor 50 000 Zuschauern über die Ziellinie fuhr oder wie Fans ein Banner mit seinem Namen auf der Tribüne ausbreiteten. "Die Menschen in Japan sind so motorsportbegeistert wie in Spanien oder Italien", sagt Schwager. "Das war schon eine coole Zeit."

Nach elf Jahren kam Schwager 2009 zurück nach Deutschland. Er fuhr regelmäßig das 24-Stunden-Rennen vom Nürburgring und mischte bis vor zwei Jahren in der ADAC GT Masters Serie und bei diversen Langstreckenrennen mit. Sein Brot verdient er heute aber hauptsächlich auf Wegen abseits der klassischen Profi-Serien. Wohlhabende, ehrgeizige Amateure zahlen ihn dafür, dass er bei Rennen ein Team mit ihnen bildet. In den Serien der sogenannten Pro-Am-Klasse teilen sich ein Profi und ein Amateur ein Cockpit. Die Rennen finden auf berühmten Strecken wie in Barcelona oder Monza statt. Anderen Amateuren wiederum gibt er Trainings. Er bringt ihnen bei, wie man die Ideallinie am besten trifft und wie man zu bremsen hat in einer Haarnadelkurve. Auf großen Show-Events von Autoherstellern wie McLaren präsentiert er als "professional driver" neue Modelle und bringt ihre Fahreigenschaften den Kunden nahe. Schwager reist immer noch durch ganz Europa, um seine jahrzehntelange Erfahrung zu teilen.

Jetzt, da die Strecken geschlossen sind, ist das alles nicht mehr möglich, vermutlich für Monate: Die Startampeln bleiben einfach auf rot stehen. Schwager sagt, er fühle sich damit unwohl. Er vermisse die Geschwindigkeit und das besondere Gefühl am Start, wenn die Ampel umschlägt und "jeder Fehler bestraft wird". Er will das Steuer wieder fest in Händen halten. Als "Realist", als den er sich bezeichnet, weiß Schwager zum Glück aber auch: Das nächste Rennen wird kommen.

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