Motorrad-Weltmeister Marco Simoncelli:Tod in der zweiten Runde

Zu schnell im Wettkampf der Superschnellen: Der Motorrad-Weltmeister Marco Simoncelli stirbt beim Rennen in Malaysia, ausgerechnet mit Beteiligung seines Idols Valentino Rossi. Italien ist schockiert. Und Kritiker monieren, dass der Motorsport zuletzt immer gefährlicher wurde.

Birgit Schönau, Rom

Supersic ist nicht mehr, sein Leben wurde ausgelöscht ausgerechnet auf jener Rennpiste in Sepang, wo er vor drei Jahren seinen größten Erfolg gefeiert hatte - den Weltmeistertitel in der 250-Kubikzentimeter-Klasse.

(FILE PHOTO) Italian MotoGP Rider Marco Simoncelli Dies After Crash At Malaysian MotoGP in Sepang

Beliebt für sein Draufgängertum: Marco Simoncelli galt als Nachfolger für Motorrad-Ass Valentino Rossi.

(Foto: Getty Images)

Rasertriumph und Rasertod, sie liegen so eng beieinander, 300 Stundenkilometer lassen keinen Platz für Zwischentöne und manchmal auch nicht für ein kleines bisschen Hoffnung. Als Marco Simoncelli in Runde zwei ins Schleudern kam, als er die Kontrolle über sein Motorrad verlor und ungebremst in die Rechtskurve rutschte, als Colin Edwards ihm nicht mehr ausweichen konnte, als Simoncellis Helm, der wegen Supersics Big Hair eine Nummer zu groß sein musste, wegrollte, als der Fahrer bewegungslos liegen blieb - da war die Hoffnung schon reduziert auf einen winzigen Funken.

Einen Fingerbreit hinter Edwards kam Valentino Rossi, er streifte Simoncelli und den Amerikaner, er strauchelte und konnte noch rechts herausfahren. Ausgerechnet Valentino Rossi, der Freund, das Idol. Er weinte wie ein Kind dicke Tränen des Entsetzens, der Verzweiflung.

Noch am Tag zuvor hatte Rossi getönt: "Auch wenn ich nicht mehr gewinne, bleibe ich der Beste." Er war gestürzt beim Qualifying in Sepang, die Stürze hatten sich gehäuft in letzter Zeit. "Ich habe immer große Angst gehabt zu fallen", vertraute Rossi dem Corriere dello Sport an, versprach aber, weiter zu fahren: "Wenn der Preis für die eigene Legende ist, zu Hause zu bleiben, dann ist dieser Preis für mich zu hoch."

Jetzt hat Rossi den höchsten Preis bezahlt, den der Motorsport einfordern kann. Dein Freund liegt am Boden, du kannst dich gerade noch selber retten. Eine Weltkarriere und ein Ausnahmetalent mit großer Zukunft enden in Tragödie.

Sie mochten sich sehr, er und Simoncelli. Zwei Italiener von der Adria, zwei echte Gockel-Typen in der Hähnchen-Batterie des Motorsports. "Bastardo", nannte Rossi zärtlich den jüngeren Rivalen, in dem viele seinen Nachfolger sahen, nicht nur in Italien. Denn Simoncelli hatte mit gerade 24 Jahren bereits 14 Siege auf dem Konto, er war immer ein bisschen waghalsiger und aggressiver als die Konkurrenz, "ein Verrückter", schwärmte der nicht minder verrückte Rossi.

Seine Riesenhaare und eine körperliche Überlänge hätten ihn bremsen müssen, aber Simoncelli ließ sich von nichts aufhalten. Wenn er die Kurven nahm, sah es aus, als umarme er seine Honda. In Barcelona brauchte er eine Leibwache - die katalanischen Fans von Jorge Lorenzo hatten ihn massiv bedroht. Simoncelli verstand gar nicht, warum diese Aufregung um das bisschen Rennen.

Jimi Hendrix und Tresette

Außerhalb der Piste interessierten ihn Jimi Hendrix und Tresette, ein simples italienisches Kartenspiel, das eigentlich nur von Opas in der Kaffeebar gespielt wird. In Tresette war Supersic ein Meister.

Mit sieben Jahren, hatte er angefangen, auf dem Mini-Moto. Natürlich angetrieben von einem ehrgeizigen Vater. Paolo Simoncelli war in Sepang dabei, als sein Sohn starb. Eine unendlich lange Stunde wartete er am Rand der Piste auf die schlimmste Nachricht.

Wie immer nach einem tödlichen Unfall im Motorsport - Simoncelli ist das dritte Opfer nach der GP-Neuregelung, vor ihm starben Daijiro Kato 2003 in Suzuka und Shoya Tomizawa 2010 in Riccione/Italien - sind kritische Stimmen zu vernehmen. Am lautesten die von Giacomo Agostini, dem mit 15 Titeln erfolgreichsten Fahrer. "Wir wissen, dass dieser Sport gefährlich sein kann", sagte Agostini, heute 69, "aber in den letzten Jahren wurde er immer gefährlicher. Die Piloten verlangen heute Reifen, die bis zum Ende die Geschwindigkeit halten. Wir wurden zum Ziel hin immer langsamer, kamen aber alle an." Da mag Wahres dran sein, auch wenn die Erinnerung immer noch die effektivste Zeitlupe ist.

"Man kann nicht mit 24 Jahren bei einem Rennen sterben, das ist unerträglich", sagte der italienische NOK-Chef Gianni Petrucci und provozierte damit unweigerlich die Frage, ob er selbst überhaupt einmal irgendein Motor-Rennen gesehen hatte. Petrucci ordnete für alle Wettkämpfe eine Schweigeminute an, die Fußballprofis der Serie A spielten am Sonntag mit Trauerband am Arm.

Von dem Unfall in Sepang wird sich der italienische Motorsport lange nicht erholen. Es ist, als sei Italien nach dem jahrelangen Höhenflug mit dem Beatnik Valentino Rossi und seinem kongenialen Kollegen aus dem Traum erwacht, dass Motorradrennen nichts weiter seien als eine besonders mitreißende Show. Über Rossis witzigen Selbstinszenierungen und Simoncellis kindlichen Extravaganzen hatte man vergessen, dass der Tod bei dieser Show hinter jeder Kurve lauert.

Unvermeidlich sei der Unfall gewesen, sagte Marco Russo, der Notarzt, der Simoncelli in Sepang vergeblich zu retten suchte. "Marco ist weggerutscht, dafür kann man weder mangelnde Sicherheitsvorkehrungen noch sonstige äußere Gründe verantwortlich machen." Supersic war einfach zu schnell im Wettkampf der Superschnellen.

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