Süddeutsche Zeitung

Motorrad:Warten auf das Lächeln von Jerez

Sein ganzes Rennfahrerleben hat Philipp Öttl mit seinem Vater verbracht, zuletzt als Fahrer in dessen Team. Der Wechsel in die Moto2-Klasse ist Rauswurf, Beförderung und Trennung in einem gewesen - und gestaltet sich noch schwierig.

Von Thomas Gröbner

Vor einem Jahr war diese Vater-Sohn-Geschichte unter der Sonne Spaniens auf ihrem sportlichen Höhepunkt angekommen. Und doch bedeutete dieser Moment gleichzeitig ihr Ende. "Philipp muss jetzt lernen, auf eigenen Füßen zu stehen", sagte Peter Öttl nach dem ersten Weltmeisterschaftssieg seines Sohnes in der Moto3-Serie in Jerez. Und weil der Vater auch der Chef des Rennstalls war, den er für den Sohn gegründet hatte, war es ein Rauswurf, eine Beförderung und eine Trennung in einem.

Philipp Öttl, 23, und Peter Öttl, 54, das war lange eine der ungewöhnlichsten Konstellationen im Motorradsport. Eine, die für die Konkurrenz nur schwer zu begreifen war, und für die sich die beiden immer wieder verteidigen mussten. Sein ganzes Rennfahrerleben hatte Philipp Öttl an der Seite seines Vaters verbracht, im Windschatten sozusagen. Von außen betrachtet drängte sich schnell der Verdacht auf: Hier genießt einer die Nestwärme des väterlichen Rennstalls. Und andere waren schnell zur Hand mit dem Urteil: Hier muss ein Sohn das Leben des Vaters nachfahren. "Wieso schläfst du mit deinem Papa in einem Zimmer?", irgendwann stellten die Leute im Fahrerlager Philipp solche Fragen. Und er antwortete: "Warum sollte ich nicht mit meinem Papa in einem Zimmer schlafen? Deshalb fahr ich am nächsten Tag keine Sekunde schneller." Andere Rennfahrerväter sagten: "Lass den Buben in Ruhe. Lass ihn gehen", erzählt Peter Öttl. "Man muss sich schon einiges anhören."

Es gibt unzählige Tüftler und Mechaniker, die um Sekunden auf der Rennstrecke ringen. Aber wie man eine Vater-Sohn-Beziehung - die gleichzeitig ein Teamchef-Fahrer-Beziehung ist - am Laufen hält, das kann einem keiner beibringen. Das steht auch in keinem der Elternratgeber mit Titeln wie "Baby - Betriebsanleitung: Inbetriebnahme, Wartung und Instandhaltung", oder für später: "Chill mal!: Am Ende der Geduld ist noch viel Pubertät übrig". Für Peter Öttl kam irgendwann der Moment, in dem er sich mit seinen Ratschlägen wiederholte. "Da war für mich klar: Ich sag' nur noch etwas, wenn er mich fragt. Auch wenn ich wusste, er macht es gerade falsch, hab' ich es laufen lassen." Ihre Beziehung, ihre Zusammenarbeit, "es hat bis heute funktioniert, weil wir uns verändert haben". Es funktionierte auch deshalb, weil Philipp irgendwann seine Sachen packte. Er trainierte alleine in Italien, stand schon tief in der Nacht dafür auf. Ein Abenteuer, raus aus der gewohnten Routine. "Das müssen wir ihn jetzt machen lassen", sagte die Mutter damals.

Motorradsport ist oft eine Familienangelegenheit. Schon Peter Öttls Eltern waren mit dem Wohnwagen an der Strecke dabei, insgesamt gelangen Peter fünf Grand-Prix-Siege. Er blieb Testfahrer und wurde Teammanager, auch für seinen Sohn. Die Mutter faxte Philipp die Hausaufgaben an die Rennstrecke, den Realschulabschluss machte er nebenher. Es lief gut für die Familie aus dem oberbayerischen Ainring. Doch im sechsten Jahr der Moto3 reifte dann die Erkenntnis bei Peter Öttl: "Ich kann ihn nicht mehr schneller machen." Schnell wurde klar, für einen neuen Rennstall ist in der Moto2 kein Platz, Philipp muss ab hier alleine weitergehen. Im französischen Red Bull Tech3-KTM-Moto2-Team von Hervé Poncharal fand er einen Platz. Öttl fährt dort mit dem Moto3-WM-Dritten Marco Bezzecchi - und auf den schwereren, stärkeren Maschinen noch hinterher. Bisher ist Öttl ohne Punkte. "Ich muss alles neu lernen", sagt er am Montag im elterlichen Haus. Der neue Teamchef Poncharal wird wahrscheinlich weniger die Geduld und dieses Urvertrauen haben, das ein Vater mit seinem Sohn hat. "Wenn du nicht gut genug bist, dann hast du hier keinen Platz. Das würde ich akzeptieren, wenn das bei mir der Fall wäre", sagt Philipp Öttl. "Es ist eines der wichtigsten Jahre. Aber eigentlich geht es eh immer um alles." Seit einem Jahr hängt er der Leichtigkeit dieser Runden in Spanien nach: "Dieses Gefühl, das ich da hatte, das ist besser als alles andere." Wichtiger als die Pokale, die er bisher gewonnen hat. An diese Momente auf dem Asphalt in Jerez kann er sich immer noch gut erinnern. Er tut es mit einem Lächeln. Doch diese Momente, sie kamen nicht wieder seither. Bei seiner Rückkehr an die Strecke vergangenes Wochenende wurde Öttl Drittletzter.

Das Team von Peter Öttl hat den Sohn des Teamchefs durch Aron Canet ersetzt, einen "Siegfahrer" für den Rennstall, den Öttl nun mit dem fünffachen Weltmeister Max Biaggi aus Italien führt. Der 19-jährige Canet gewann gleich und führt die Gesamtwertung der Moto3 an. Das freut Peter Öttl natürlich. Aber in diesen Tagen ist er weniger Rennstallbesitzer und mehr Vater, der seinem Sohn eine erfolgreiche Fortsetzung seiner Karriere wünscht. "Wenn Philipp erfolgreich ist in der Moto2, hat das einen höheren Stellenwert für mich", sagt Peter Öttl, "einige sagen, der Sohn ist nur wegen des Vaters so weit gekommen. Aber eigentlich ist es anders. Ich bin wegen Philipp dort hingekommen. Dank meines Sohns hab ich ein eigenes Team in der Weltmeisterschaft."

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SZ vom 09.05.2019
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