Süddeutsche Zeitung

Motorrad:Einsam am Ende

"Es ist eine harte Zeit für mich": Stefan Bradl fährt als Ersatzmann des MotoGP-Weltmeisters hinterher.

Von Thomas Gröbner

Eigentlich sollte man ja nur mit Helm und voller Montur im Haushalt unterwegs sein, schließlich passieren ja nirgendwo mehr Unfälle. Auch Rennfahrer sind nicht sicher vor Ungemach in den eigenen vier Wänden, nicht einmal Weltmeister.

Das bewies zuletzt Marc Marquez, beim "Öffnen eines Fensters" hatte er sich vergangenen Montag die Titanplatte in seinem frisch operierten Arm beschädigt - als er eine Schiebetür aufdrückte, um mit den Hunden ein wenig an die frische Luft zu gehen, berichtet sein jüngerer Bruder Alex. Die beiden sind Mitbewohner und Teamkollegen im Honda-Team, in dem nach diesem Unglück Testfahrer Stefan Bradl zum Rennfahrer befördert wurde.

Doch in Brünn musste der 30-Jährige aus Zahling im Landkreis Aichach-Friedberg erkennen, dass so ein Weltmeister-Motorrad keine Garantie ist, schnell zu sein. "Das Rennen überstehen", das war die Einstellung von Bradl, "es genießen", das war das Ziel bei seinem ersten Einsatz in diesem Jahr. Dazu blieb ihm mehr Zeit, als ihm lieb sein konnte. Denn Bradl spürte bald die Einsamkeit eines Fahrers, dem das Feld enteilt ist. Mehr als 55 Sekunden fehlten auf die Spitze, nach gutem Beginn verlor er nach einem Ausflug ins Kiesbett den Kontakt zum Feld und kam abgeschlagen ins Ziel.

"Es ist eine harte Zeit für mich. Es hat eine Zeit lang gedauert, das Gefühl zu bekommen", sagte Bradl nach dem Rennen am Sonntag. So richtig wohl fühlte er sich nicht auf seinem Motorrad, das war offensichtlich: "Meine Körpersprache ist zu sanft und zu defensiv. Normalerweise fahre ich aggressiver, doch dafür fehlt mir das Gefühl", gestand der ehemalige Moto2-Weltmeister danach. Sechs Monate saß Bradl nicht auf dem Motorrad, ohne Rhythmus fehlt auch die Kraft, die Strapazen eines Rennens zu verkraften.

Auch für Marcel Schrötter ist es ein enttäuschendes Wochenende

"Es war schwer, nach so langer Zeit auf das Bike zu springen und dann mit so viel Testarbeit in das Rennen gehen", meinte er. Der Deutsche hat ja eine Doppelrolle: Er soll Punkte holen für sein Team, aber auch Erkenntnisse und Daten für die Ingenieure sammeln, um das Motorrad weiterzuentwickeln für die Zeit, wenn dann Marc Marquez irgendwann wieder aufsteigt. Wann das sein könnte? Das kann bei Marquez niemand vorhersagen. Wild entschlossen hatte er auf sein Comeback gedrängt nach seinem Sturz am 19. Juli in Jerez. Sein Versuch, schon vier Tage nach der OP ein Comeback zu wagen, sorgte gleichermaßen für Anerkennung und Kopfschütteln, genauso die Bilder, auf denen er kurz nach der Operation wieder Gewichte stemmte. Zunächst war darüber spekuliert worden, der Weltmeister habe für seine Ungeduld bezahlen müssen. Nun war es also ein Fenster, das die WM-Chancen weiter hat schwinden lassen. "Ein großes Fenster", präzisierte Hondas Teammanager Alberto Puig. Die Abwesenheit des dominierenden Piloten der vergangenen Jahre nutzte Neuling Brad Binder für einen historischen Sieg, denn es war der erste eines Südafrikaners in der Klasse und der Premierenerfolg für den österreichischen Hersteller KTM - und das kurz vor dem Rennen in Spielberg (16. und 23. August).

Dort will Bradl den Rückstand auf die Konkurrenz verkleinern. Und auch Marcel Schrötter könnte die Enttäuschung des Wochenendes vergessen machen. Nach der ersten Runde fand er sich noch auf Platz fünf, doch dann wurde der Moto2-Pilot unerbittlich durchgereicht, dabei wollte er doch mit Podestplätzen auf sich aufmerksam machen, um in die MotoGP aufzusteigen. "Sie haben mich innen überholt, andere sind außen vorbei. Ich hatte keine Chance", sagte der 27-jährige aus Vilgertshofen der Speedweek. "Das müssen wir jetzt erst einmal verarbeiten, und für Österreich brauchen wir dann eine Idee", sagte Schrötter zwei Wochen nach seiner Arm-OP. Eine gute Nachricht für ihn gab es dann doch noch nach diesem enttäuschenden Wochenende: Mit dem Grand Prix von Portugal in Portimão soll ein weiteres Rennen dazukommen, am 22. November sollen 30 000 Fans dabei sein. Es ist eine Gelegenheit mehr für Schrötter, auf sich aufmerksam zu machen.

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SZ vom 11.08.2020
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