Moral-Debatte in der Bundesliga:Mit Sicherheit ins Risiko

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Die Debatte um Moral im Fußball und den Trend zur Untreue kontert die Liga mit einem Trend zum Funkel: Die Klubs greifen phantasielos zu Bewährtem. Ein paar frische Einflüsse hätten gut getan.

Christof Kneer

Wer bei Google die Begriffe "Fußball" und "Moral" bestellt, bekommt 625.000 Einträge geliefert, und wer die Bestellung auf die Schreibweise "Fussball" erweitert, darf sich über 986.000 Treffer freuen. Zum Beispiel gibt es da einen 27-jährigen Außenbahnspieler von Racing Santander namens Toni Moral, und zum Pflichtwissen des modernen Menschen zählt bestimmt auch Manu del Moral, ein 25-jähriger Stürmer aus Getafe.

Traditionalisten unter sich: Leverkusens neuer Trainer Jupp Heynckes und Leverkusens Sportdirektor Rudi Völler. (Foto: Foto: dpa)

Wer weiterforscht, findet noch ein paar weitere Kostbarkeiten, etwa die TSG Esslingen II, die in der Fußball-Kreisliga B, Staffel 2, "Moral" gezeigt hat. Überhaupt scheint dies die Art zu sein, wie der Fußball (Fussball) seine Moral gern hat: Sie wird gezeigt, demonstriert oder wahlweise getankt, und oft liest man auch, dass ein Spiel "gut für die Moral" sei. Nur ein Eintrag, leider ein aktueller, stört. Er heißt: "Moral im Fußball? Haha!" Das sagt der Trainer Michael Frontzeck in einem Interview, das nicht so gut für die Moral ist.

Angesichts des rasenden Trainer-wechsel-dich-Spielchens debattiert die Branche gerade mit (schein-)heiligem Ernst über Sitte und Anstand, und die betroffensten Zeigefinger werden dabei in Leverkusen gereckt (wo die Zeigefinger vor einem Jahr nicht zu sehen waren, als sie den Trainer Labbadia aus einem Vertrag in Fürth herausholten).

Das Thema Moral ist durch Frontzeck erschöpfend beantwortet; viel bemerkenswerter als der Gutmensch-Ansatz ist, wie die Branche inhaltlich auf das wild gewordene Trainerkarussell reagiert hat. Eines muss man den Klubs lassen: Wer wochenlange Vakanzen in Tateinheit mit dramatischer Planungs-Unsicherheit befürchtet hat, steht nun staunend vor fast vollzählig besetzten Trainerbänken. Nur die Kölner suchen noch, was womöglich daran liegt, dass sie rechtzeitig herausgefunden haben, dass sie Friedhelm Funkel nicht verpflichten können. Der war ja schon mal da.

Den Trend zur Untreue kontert die Liga mit einem Trend zum Funkel. Alle Klubs, denen die Sportlehrer kündigten, haben in ihrer Not zügig und phantasielos zu Bewährtem gegriffen: Gladbach behilft sich mit dem gebürtigen Gladbacher Frontzeck, der HSV mit seinem früheren Spieler Labbadia. Frankfurt doubelt Funkel mit einem gleichrangigen Charismatiker (Skibbe), und der bekennende Traditionalist Völler verbündet sich mit dem bekennenden Traditionalisten Heynckes.

Nach dem missratenen Klinsmann-Experiment hat die Liga beschlossen, dass Risiko nicht gut für die Moral ist. Sie geht auf Nummer Sicher - und damit erst recht ins Risiko. Wenn die Moraldebatte vergessen ist, wird sie vielleicht merken, dass ein paar frische Einflüsse für die Moral auch nicht so schlecht gewesen wären.

Denn im Herbst, auch das gehört ja zum Pflichtwissen des modernen Menschen, gibt es ohnehin keine Chance für Neueinsteiger. Dass Hans Meyer wieder für den ersten freien Job bereitsteht, hat er quasi offiziell erklärt - indem er zum vierten Mal endgültig zurückgetreten ist.

© SZ vom 08.06.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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