Süddeutsche Zeitung

Mönchengladbach:Steine für Beine

Hotel, Fanshop, Museum, Arztpraxen: Gladbach eröffnet ein mondänes Klubgebäude vor dem Schlüsselspiel in Frankfurt.

Von Ulrich Hartmann, Mönchengladbach

Gladbach-Fans mit chronischer Wehmut mieten sich am besten in Zimmer 426 des neuen Borussia-Hotels ein. Dort kleben großformatige Heldenfotos an der Wand: Berti Vogts, Hacki Wimmer, Udo Lattek, Hans-Jürgen Wittkamp, Horst Wohlers. Daneben stehen Fakten zum 21. Mai 1977, jenem Samstag, als Borussia Mönchengladbach mit einem 2:2 beim FC Bayern zum bislang letzten Mal deutscher Meister geworden ist.

In dieser Art erinnert jedes der 131 neuen Hotelzimmer an ein großes Spiel aus der Geschichte des 119 Jahre alten Vereins: Fußballer an der Wand, historische Spieldaten, das Rautenwappen auf den Kopfkissen und eine Holzbank mit Kleiderhaken - das sind die Gimmicks im neuen Gladbacher Fußballhotel (mit direktem Durchgang zum Stadion).

Untendrunter, im Erdgeschoss, ist ein großer Fanshop, daneben wird bald das Vereinsmuseum eröffnet. Obendrüber unterhalten die Mannschaftsärzte eine Gemeinschaftspraxis, und im sechsten Stock befindet sich das Zentrum für Fitness und Physiotherapie. Dem Borussia-Park fehlen theoretisch jetzt nur noch eine Achterbahn und eine Tropenbadewelt, dann könnte man jedem großen Freizeitpark Konkurrenz machen.

Als die Planungen für den mondänen Borussia-Kosmos vor ein paar Jahren in einer Präsidiumssitzung konkretisiert wurden, soll Sportdirektor Max Eberl recht nervös geworden sein und vorsichtig angefragt haben, ob man ihm angesichts des 33-Millionen-Euro-Projekts den sportlichen Etat zu kürzen beabsichtige. Diese kleine Indiskretion aus der Sitzung stammt aber von keinem anonymen Maulwurf, sondern von Präsident Rolf Königs höchstpersönlich. Er hat das in dieser Woche bei der feierlichen Eröffnung des neuen Komplexes erzählt. Mittlerweile kann Eberl über seine damaligen Bedenken lachen: "Der Klub hat sich entschieden, in Nachhaltigkeit zu investieren", sagt er auch deshalb inzwischen so fröhlich, weil er hofft, dass sein Sportetat in Zukunft von den Mehreinnahmen profitiert.

Die Erschließung des gewaltigen Areals im Südwesten der Stadt wurde auch durch die Verkäufe von Spielern wie Marc-André ter Stegen oder Marco Reus finanziert. Eberl sagt: "Das neue Gebäude ist eine Investition in die Stabilität des Klubs, damit hier auch in 20 Jahren noch Bundesligafußball gespielt wird."

Bei der feierlichen Eröffnung, zu der 700 elegant gekleidete Gäste kamen, standen die Fußballer ganz hinten im Saal in ihren dunklen Ausgehanzügen. Sie standen mal nicht im Mittelpunkt und konnten fast selbst den Eindruck bekommen, beim Unterhaltungsbetrieb Borussia seien künftig andere Faktoren relevanter als die wöchentlichen Bundesliga-Ergebnisse. Aber das ist natürlich nicht so. Gladbach will weiterhin lieber Bayern München und Borussia Dortmund Konkurrenz machen als dem Phantasialand und Europapark. Man fühlt sich mit Erlebnisfanshop und Fitnessetage aber besser gewappnet für dieses Vorhaben. "Wir wollen Anschluss finden an die großen Vereine", sagte Eberl bei der Eröffnungszeremonie.

9 Punkte

So groß ist vor dem Sonntagsspiel der Vorsprung des Tabellendritten Borussia Mönchengladbach auf den Fünften Frankfurt. Ein Sieg bei der Eintracht wäre daher ein mächtiger Schritt in Richtung Champions League. Nicht mithelfen können drei verletzte Gladbacher: Jonas Hofmann, Ibrahima Traoré und Raffael fallen aus.

Nicht bekannt ist, ob der Sportdirektor bereits mal selbst in Zimmer 426 genächtigt hat, um in dieser inspirierenden Umgebung geheime Titelträume zu schmieden. Das jüngste 0:3 gegen Hertha BSC hat die aufstrebenden Borussen allerdings ein wenig auf den Boden zurückgeholt, und an diesem Sonntag wird sich auswärts beim hartnäckigen Verfolger Eintracht Frankfurt durchaus richtungsweisend zeigen, was aus den realistischen Gladbacher Champions-League-Hoffnungen wird. Bis jetzt ist der Vorsprung auf Platz fünf noch respektabel, dabei werden im Klub ja eigentlich gar keine Saisonziele formuliert. "Wir geben Gas, um etwas Großes zu erreichen", sagte Eberl - und fügte schelmisch hinzu: "Was groß ist, das kann jeder für sich selbst definieren." Die Anschlussfrage lautete natürlich, was für ihn persönlich "groß" wäre. Eberls Antwort: "ein gutes Ergebnis in Frankfurt".

Die Zurückhaltung im Verein wirkt in einer oft lauten Branche ohnehin kurios. In einem Interview mit der Rheinischen Post hat Eberl soeben sportliche Ambition und wirtschaftliche Seriosität in ein demütiges Verhältnis gerückt. Er behauptete: "Wenn mir der Klub sagen würde: Hier hast du 50 Millionen Euro, aber komm damit bitte nach Europa, sonst geht der Verein kaputt! - dann würde ich auf das Geld verzichten. Ich will nur das Geld haben, das wir guten Gewissens ausgeben können, denn ich kann sportlich für nichts garantieren."

Im vergangenen Sommer haben die Gladbacher für 23 Millionen Euro den Stürmer Alassane Pléa aus Nizza geholt. Der Franzose ist nach dem Stadion (87 Millionen Euro, Eröffnung 2004) und dem neuen Funktionsgebäude die teuerste Investition, die der Verein je getätigt hat. Plea (zehn Tore, drei Vorlagen) hat aber seit fünf Stunden kein Tor mehr geschossen. Angeblich gibt es ein 40-Millionen-Euro-Angebot aus China. Eberl sagt, man gebe Pléa (Vertrag bis 2023) nicht ab, man benötige seine Tore, denn - und dann ist es ihm nämlich doch herausgerutscht: "Ich möchte in die Champions League." Kein Wunder: An die schönsten Spiele im Europapokal erinnern alle Hotelzimmer in der zweiten Etage.

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Quelle:
SZ vom 16.02.2019
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