Süddeutsche Zeitung

Mönchengladbach:Pferd statt Kuh

Leichtfüßig war einmal: Borussias neuer Stil unter Trainer-Zugang Marco Rose wirkt englisch-kraftmeierisch - der FC Schalke 04 passt sich beim 0:0 an.

Von Philipp Selldorf, Mönchengladbach

Während am Samstag auf der Schalker Ersatzbank mehrere Plätze leer blieben, weil das nötige Personal aus gesundheitlichen Gründen von den Rängen aus zuschaute, versammelten sich auf Gladbacher Seite die Vertreter der alten Borussia auf den Sitzen der Aushilfskräfte. Vorneweg der langjährige Offensivchef Raffael, dazu die altbekannten Flügelstürmer Patrick Herrmann und Ibrahima Traoré sowie der Außenbahnspezialist Fabian Johnson, der in den fünf Jahren am Niederrhein schon bessere Zeiten hatte als zuletzt, aber mit 100 Bundesligaeinsätzen seinen Teil beigetragen hat zum positiven Ansehen des Klubs. Die Langzeit-Verletzten Lars Stindl, Christoph Kramer und Jonas Hofmann komplettierten als Tribünengäste das Aufgebot der Traditionsborussen im aktuellen Kader. Sie sahen auf ihren Vorzugsplätzen ein 0:0, das sie vermutlich im gleichen Zustand zurückließ wie den Verteidiger Matthias Ginter, der am Hauen und Stechen der zwei westdeutschen Größen 90 Minuten mitgewirkt hatte.

Er sei "zwiegespalten", wie er die Partie bewerten sollte, erklärte der Nationalspieler Ginter mehrmals. Im Dilemma befand er sich nicht nur wegen des dürftigen Resultats, sondern auch wegen der Spielweise seines Teams, das nach dem Willen des neuen Trainers Marco Rose eine heftige Umerziehung erfährt. Es sei "schwierig", den Stand des Wandels "in Prozent auszudrücken", meinte Ginter vorsichtig abwägend: "Die hektische Arbeit gegen den Ball - und dann (mit Ball) ruhig zu bleiben und sauber zu spielen, das ist nicht ganz einfach. Das wird noch Zeit brauchen."

Für langjährige Besucher des Borussia-Parks bot vor allem die erste Halbzeit einen ungewohnten Anblick: Sie sahen eine Fohlen-Elf, die sich von den Vorjahresmodellen so grundlegend unterschied wie das Pferd von der Kuh. Die geschätzten Merkmale des Borussia-Stils - zielstrebiges Flügelspiel, leichtfüßige Kombinationen und schnelle Konter - blieben in einer Weise abwesend, als hätte sie jemand aus dem Programm gestrichen. Wo früher Techniker, Kleinkünstler und Steilpass-Spieler wie Thorgan Hazard, Stindl, Raffael, Traoré oder Herrmann die Offensive prägten, bestimmten nun kraftvolle Männer namens Breel Embolo, Marcus Thuram und Alassane Pléa das Geschehen im Angriff.

Auch die großräumigen Grätschen und die vehementen Siebenmeilen-Vorstöße des Rückraum-Strategen Denis Zakaria passten ins Bild des Gladbacher Kraftmeierfußballs. Der einzige Engländer auf dem Platz gehörte zwar der Gegenseite an - der Rechtsverteidiger Jonjoe Kenny, den Schalke vom FC Everton geliehen hat -, aber es herrschte der Eindruck, dass der erste Borussen-Auftritt unter der Aufsicht des neuen Choreografen Rose eine mehr als nur dezente britische Note an sich hatte.

Die Schalker waren dazu die geeigneten Partner: Auch ihr Spiel stand im Zeichen der Lehrmeinung ihres neuen Trainers, auch David Wagner möchte, dass seine Spieler durch intensives Pressing Bälle erobern und danach zügig in den Gegenangriff übergehen. Eine knappe Stunde gelang ihnen das dank disziplinierter Zusammenarbeit und dem Beitrag der Vorarbeiter Omar Mascarell und Weston McKennie ziemlich gut. Dem Führungstreffer kamen sie näher als die Gastgeber, dann traten sie allmählich den Rückzug an, bis sie sich gegen Ende gegen längst überlegene Borussen mit allerlei Befreiungsschlägen ins Ziel retteten. Bei den ständigen Attacken des Gladbacher Aufbauspiels seien "viele Körner draufgegangen", hatte Alexander Nübel erkannt, aber insgesamt sei das doch "ein sehr ordentliches Spiel" gewesen, befand fröhlich der 22 Jahre alte Torwart, den der Trainer Wagner im Sommer zum Kapitän ernannt und den der Klub zur königsblauen Galionsfigur erhoben hat, um ihn auf die emotionale Tour zur Vertragsverlängerung zu bewegen. Nübel gab nicht zu erkennen, dass ihn die exponierte Rolle aus der für ihn typischen Ruhe bringt. Gelegentliche Flüchtigkeitsfehler beruhten eher auf seinen offensiven Interventionen als auf Unsicherheit. Wenn es gefährlich wurde, wusste er damit umzugehen.

Womöglich, so sah es am Samstag aus, wird sich Schalke in der nächsten Zeit mit dem verordneten Wandel etwas leichter tun als die Borussia, deren Reformprojekt an höheren Ansprüchen gemessen wird. In Gelsenkirchen hatte man schon mit einem Fehlstart gerechnet - nächste Woche kommen die Bayern -, und so nahmen die Schalker Anhänger die Gelegenheit wahr, das 0:0 als Erfolgserlebnis zu bejubeln und die Spieler zu feiern, die sie im Absturzjahr noch auf den Mond gewünscht hatten.

Auch das Borussia-Publikum zeigte sich gnädig und applaudierte, Marco Rose interpretierte das als Zustimmung für seinen Auftrag. Er habe "das Gefühl, dass viele Fans verstehen, was hier gerade passiert". Mancher Satz in den Ausführungen des Trainers und des Managers Max Eberl enthielt die Botschaft, der Anhang möge bitte Geduld haben mit der stilistischen Wende. Dass Schalkes Coach Wagner hervorhob, die Partie sei von "extremer Intensität und Leidenschaft" erfüllt gewesen, nahm sein Gladbacher Kollege gern zum Anlass, die Veranstaltung als gelungen zu loben: "Wenn ich die Attribute höre, dann klingt das für mich nach Fußball."

Er habe "schon viel Gutes" gesehen, sagte Manager Max Eberl. Am besten hat es allerdings ausgesehen, als Rose die alten Borussen Raffael, Traoré und Johnson eingewechselt hatte.

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Quelle:
SZ vom 19.08.2019
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