Süddeutsche Zeitung

Mönchengladbach:"Normalerweise verlierst du so ein Spiel"

1:14 Torschüsse zur Pause: Lange waren die Borussen den Bayern klar unterlegen. Was dann passierte, erklärt nicht nur für Trainer Marco Rose, "warum wir stehen, wo wir stehen".

Von Philipp Selldorf, Mönchengladbach

Die Bayern hätten jetzt gerne weiter Fußball gespielt, aber da war noch dieser Gladbacher Spieler, der auf den Knien lag und ihren Strafraum küsste. Man konnte es für einen religiösen Akt halten, als Ramy Bensebaini sein Gesicht in den Rasen drückte, aber wahrscheinlich war es doch nur der Versuch, einen Moment lang allein zu genießen, was ihm dieses Spiel beschert hatte. Bensebaini war der Mann, der am Samstag die Bayern besiegte, nicht allein, aber insoweit, dass er die entscheidenden Zutaten beisteuerte.

Der 24 Jahre alte algerische Nationalspieler, im Sommer aus Frankreich an den Niederrhein gekommen, hatte nach einer Stunde bereits den Ausgleich erzielt, in der Nachspielzeit fügte er dann den zweiten Streich hinzu: mit einem Elfmeter, den Manuel Neuer zwar im richtigen Eck lokalisiert hatte - aber trotzdem nicht halten konnte. Als der Schiedsrichter wenig später die Partie beendete, sank der Borusse dann wieder auf die Knie, diesmal richtete er das Gesicht und die Hände zum Dankesgebet Richtung Himmel.

Das Gefühl, dass sie sich irgendwo zu bedanken hätten, hatten auch Bensebainis Mitspieler nach dem 2:1 gegen den FC Bayern. Es war ja alles andere als ein Start-Ziel-Sieg des Tabellenführers gegen ein Münchner Team, das nun sieben Punkte entfernt auf einem Rang jenseits der Europacup-Plätze rangiert. Man habe "viel, viel Glück gehabt", mit 0:0 in die Pause gehen zu dürfen, sagte Torwart Yann Sommer später, "normalerweise verlierst du so ein Spiel".

Zur Pause stand die Torschussbilanz aus Münchner Sicht bei 14:1, und von diesen Versuchen verfehlten etliche nur knapp das Ziel. Für die Fußballer-These, wonach Spiele vor allem im Kopf entschieden werden, ist diese Partie ein anschauliches Beweismittel: Die Halbzeitpause sei wichtig gewesen, um dem Andrang der Bayern zu entkommen, sagte der Trainer Marco Rose später. "Aber wichtiger war" - und das mag paradox klingen - "das Gegentor", ein Drehschuss von Ivan Perisic (49.). Denn statt geschockt reagierten die Gladbacher nun mit jenem Vorwärtsdrang, den sie bis dahin hatten vermissen lassen.

Zwischen Euphorie und Aussagekraft

Psychologischer Reflex: Jetzt haben wir nichts mehr zu verlieren. Das 1:1 durch Bensebainis Kopfball (60.) war zwar nicht die Konsequenz einer Drangphase, aber die Folge eines nun viel aktiveren Spiels.

Zwei Einwechslungen unterstützten den Trend: Patrick Herrmann und Breel Embolo (für Allassane Pléa und Laszlo Benes) brachten Tempo und Physis ins Spiel, zwei Komponenten, die gefehlt hatten. Rose sah sich später genötigt, seine umstrittene Startaufstellung (ohne Herrmann, Embolo und Christoph Kramer) zu verteidigen: Der Trainerstab habe darüber "nicht drei Minuten im Büro geredet, sondern zwei, drei Nächte geschlafen". Jedenfalls war es nach dem Ausgleich eine andere Borussia als jene, die während der ersten Hälfte den Bayern hinterherlief. Dass es nach dem 1:1 eine offene Partie wurde, hatte nichts mit brillanter Strategie zu tun, wie der Trainer bekannte, sondern mit dem Angriffsgeist, den seine Elf auf einmal selbst aufbrachte. Man habe nun "auf Sieg gespielt", sagte Rose beeindruckt.

Tabellenführer zu sein und den Meister besiegt zu haben, das genossen Publikum und Mannschaft in einer langen Freudenfeier. Doch bald wurden alle wieder ernst und professionell. Man müsse jetzt "vorsichtig" mit der Euphorie umgehen, mahnte Torwart Sommer. Trainer Rose befand indes, der Sieg habe schon auch "eine hohe Aussagekraft". Nicht, weil die Mannschaft meisterlich gespielt habe - sondern weil sie bewiesen habe, "warum wir stehen, wo wir stehen".

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4714536
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 09.12.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.