Mönchengladbach in der Krise:Wie im falschen Film

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Bitteschön, mein Stuhl ist frei: Lucien Favre bei der Gladbacher 0:1-Niederlage am Samstag in Köln - rechts Sportdirektor Max Eberl. (Foto: /Ralf Ibing/firo Sportphoto)
  • Die Gladbacher müssen den Abgang ihres Trainers Lucien Favre verarbeiten und berufen André Schubert als Interimstrainer - aber nur auf Zeit.
  • Der Schweizer wollte schon vorher mehrmals alles hinschmeißen.
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Von Ulrich Hartmann, Mönchengladbach

Der Fußballmanager Max Eberl ist am Montag 42 Jahre alt geworden. Die vielen Glückwünsche, die er bekommen hat, konnten ihn allerdings nicht hinwegtrösten über einen Verlust, den er am Vorabend in seiner Funktion als Sportchef des Bundesligisten Borussia Mönchengladbach erlitten hatte. "Ich bin sautraurig", sagte Eberl im Souterrain des Gladbacher Stadions über den Rücktritt jenes Schweizer Trainers namens Lucien Favre, 57, der die Borussia binnen viereinhalb Jahren von einem Abstiegskandidaten in einen Champions-League-Teilnehmer verwandelt hatte.

Eberl ließ auch keinen Zweifel daran, dass der 44-jährige Amateurtrainer André Schubert, der die Gladbacher mindestens an diesem Mittwoch gegen den FC Augsburg sowie am Samstag beim VfB Stuttgart betreut, nicht dauerhaft Favres Nachfolger werden solle und nur als Übergangslösung vorgesehen sei. "Im Herbst fallen die besten Trainer nicht von den Bäumen", sagte Eberl sarkastisch und ließ offen, bis wann er einen neuen Cheftrainer präsentieren kann.

Eberl bestätigt, das Favre schon mehrmals einen Rücktritt in Erwägung gezogen habe

Tags zuvor, an jenem für die Borussia so schicksalhaften Sonntag, habe er, so Eberl, mehrfach bei sich gedacht: "Was passiert hier gerade?" Favre, unter dem Gladbach zuletzt fünf Bundesliga-Spiele und eine Champions-League-Partie verloren hatte, ließ Eberl am Sonntagmorgen um 7.20 Uhr ("ich war gerade mit dem Hund draußen") über Berater José Noguera per Telefon ausrichten, dass er sein Amt sofort aufzugeben gedenke. Aber selbst in zwei langen Gesprächen im Laufe des Sonntags konnte Favre den Gladbacher Vorstand um Eberl nicht überreden, ihn einfach gehen zu lassen. "Er hat uns gesagt, dass er die Lösung für die sportliche Herausforderung nicht mehr zu finden glaubt", berichtete Eberl, wollte sich weitere Details aus den Gesprächen aber nicht entlocken lassen.

Eberl sagte, für ihn sei weder eine körperliche Erschöpfung bei Favre erkennbar gewesen noch glaube er, dass Unzufriedenheit über die Sommer-Transfers eine Rolle gespielt hätten. Eberl glaubt, dass eher die personelle Situation mit allerhand Verletzten in den vergangenen Wochen ein Grund dafür gewesen sei, "dass wir jetzt einen neuen Trainer brauchen".

Über Favres wahre und akute Motivation, einen Tag nach der 0:1-Niederlage in Köln nach viereinhalb Jahren gegen den ausdrücklichen Willen des Vereins abzutreten, könne er, so Eberl, "auch nur mutmaßen". Er sei da "auch nur im Bereich der Thesen unterwegs", meinte Eberl, "was tatsächlich der auslösende Grund für ihn war, vermag ich nicht zu sagen". Nicht einmal den Zeitpunkt (sonntagabends um 19.30 Uhr vor einer Phase mit vier Spielen binnen zwei Wochen) oder Favres kuriose Vorgehensweise (Rücktritt über die Medien, nachdem der Verein seine Kündigung nicht akzeptieren hatte) wollte Eberl kritisieren.

Der Sportchef, seit 2008 in Mönchengladbach, ist Favre für dessen Wirken seit Februar 2011 viel zu dankbar, als dass er dessen Bild in der Öffentlichkeit nun beschädigen will. Eberl bestätigte aber erstmals, dass Favre in den vergangenen Jahren offenbar mehrmals einen Rücktritt in Erwägung gezogen habe, man ihn aber durch gutes Zureden jedes Mal davon habe abhalten können. Bis Sonntag. "Zu unserem Leidwesen hat er seine Entscheidung diesmal konsequent durchgezogen."

Reaktionen zum Favre-Rücktritt
:"Jürgen wird nicht Trainer von Gladbach"

Die Spieler sind "geschockt", die Diskussion um einen möglichen Nachfolger läuft. Jürgen Klopp sagt für die Nachfolge von Lucien Favre schon mal ab.

Ob Favres Rückzug konkrete Gründe hatte oder eher seinem komplexen Charakter geschuldet war, blieb somit offen. Eberl flüchtete lieber ins Futur und die Warnung, der Verein dürfe "jetzt nicht in Schockstarre verfallen". Am Montagmorgen traf Eberl zu diesem Zwecke einen hilfsbereiten André Schubert an, der mit der Unterstützung sämtlicher schon unter Favre tätiger Assistenztrainer fortan die Gladbacher Bundesligafußballer anleitet statt wie bisher die viertklassigen Regionalliga-Spieler.

Jürgen Klopp lässt vorsorglich absagen - aber Eberl hat ihn gar nicht kontaktiert

Eberl erhofft sich für die Heimpartie am Mittwoch gegen Augsburg "neue Impulse, eine neue Ansprache, ein neues Gefühl für das Spiel". Schubert war zwei Jahre Trainer beim Zweitligisten SC Paderborn und ein Jahr beim FC St. Pauli gewesen, bevor er zum Deutschen Fußball-Bund wechselte, um die U15-Junioren des DFB zu trainieren. Erst im Sommer kam er zur Borussia, um die Amateure zu übernehmen. Nun soll er plötzlich den Niedergang dieses Traditionsvereins aufhalten.

Nach einem trainingsfreien Montag, an dem die Spieler sich vom Schreck des Favre-Rücktritts erholen konnten, holt Schubert die Mannschaft an diesem Dienstagvormittag zu einem Training unter Ausschluss der Öffentlichkeit zusammen. Für die längerfristige Lösung sucht Eberl ab sofort einen Trainer, der die Philosophie der Borussia, eigene Talente auszubilden, gerne mitträgt. Dass Jürgen Klopps Berater Marc Kosicke am Vormittag bereits mitgeteilt hatte, Klopp stehe nicht zur Verfügung, rang Eberl ein Lächeln ab.

Er habe Klopp nicht kontaktiert, sagte Eberl, sagte aber auch, "dass die Fußstapfen von Lucien Favre natürlich groß sind".

Erst kürzlich hatte die Borussia stolz ihren "Nachhaltigkeitsreport 2015" veröffentlicht. Im Vorwort schrieb dazu Präsident Rolf Königs: "Der sportliche und wirtschaftliche Erfolg Borussias fußt auf langfristiger und nachhaltiger unternehmerischer Planung." Am Sonntagabend hat Lucien Favre diesem Plan plötzlich die Grundlage entzogen. Wäre die Borussia an der Börse notiert, dann wäre der Kurs am Montag wohl abgestürzt - ein Szenario, das sich Max Eberl zum 42. Geburtstag gern erspart hätte.

© SZ vom 22.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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