Mönchengladbach:Die Tiefstapler

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Auftakt eines Münchner Albtraumspiels: Gladbachs Alassane Plea traf auswärts in der Hinrunde zum 1:0 (re. Niklas Süle), die Borussia siegte 3:0. (Foto: Matthias Balk/dpa)

In der Borussia-Philosphie des Mittelstandes ist Angeberei nicht vorgesehen. Auch auf Platz drei möchte man eines nicht: unseriös erscheinen.

Von Philipp Selldorf, Mönchengladbach

Als Jürgen Klinsmann vor 25 Jahren in London bei Tottenham Hotspur spielte, erlangte auch sein Auto Berühmtheit. Der weltbekannte Nationalspieler fuhr einen steinalten Käfer, ein Cabrio-Model zwar, aber ein ziemlich verbeultes. Dies rief außer Sympathien im Publikum auch Zweifel unter Fachleuten hervor; ein Kommentator befand, es sei ja ehrenwert, wenn Klinsmann einen Kleinwagen benutze - doch könne er sich bei 25 000 Pfund Wochengehalt nicht verdammt noch mal ein anständiges Luxusauto anschaffen wie die anderen Spieler?

Insofern besteht beim Blick auf den Spielerparkplatz am Mönchengladbacher Borussia-Park kein Grund zur Beunruhigung. Hier stört kein Twingo das Bild, die Spieler rollen in den branchenüblichen, zu Sonderkonditionen in Stuttgart georderten und zugelassenen Staatskarossen aufs Gelände. Thorgan Hazards schwerstens motorisierter Bentley-SUV macht Geräusche wie ein Leopard 2, als er im Schritt-Tempo die eingezäunten reservierten Stellflächen ansteuert. Freundlich grüßt der 25 Jahre alte Belgier den älteren Parkwächter, der auf dem weitläufigen Terrain ein bisschen verloren in der Landschaft steht. Vor ein paar Wochen hat die Borussia hier ihr neues Domizil namens "8 Grad" eröffnet, einen sechsstöckigen, lang gezogenen Gebäuderiegel, der Platz für ein Hotel, ein medizinisches Zentrum und die erweiterte Geschäftsstelle bietet. Der Verein trat als Bauherr in eigener Regie auf, ein Drittel der investierten 31 Millionen brachte er als Basis ein, der Rest wird finanziert - solide finanziert, wie sich das hier von selbst versteht. Diesen Bau als neuen Stolz der Stadt zu bezeichnen, das will man sich nicht anmaßen bei der Borussia, aber ja: Ein wenig stolz sei der Verein schon auf sein Werk, sagt ein Mitarbeiter.

Was die Borussia an diesem Ort geschaffen hat, der vor weniger als 20 Jahren noch eine brachliegende Hinterlassenschaft der britischen Rheinarmee war, das ist wirklich sehr beachtlich, aber was man bei den Borussen nie hören wird: Dass sie behaupteten, sie hätten das beste Vereinsgelände Europas, Deutschlands oder wenigstens Nordrhein-Westfalens, und dass sie sich das alles auch leisten könnten, weshalb man jetzt als Großgrundbesitzer richtig angreifen werde in der Liga und in der Klasse der Champions. Stattdessen sagt der Gladbacher Borusse vor dem Duell mit dem FC Bayern an diesem Samstag, das Spiel zwischen dem Tabellenzweiten und Tabellendritten sei keineswegs das Treffen der Giganten. Vielmehr sei es so: "Wir treffen auf die Giganten."

Der Mann hat natürlich recht. Der FC Bayern wendet für seine Profiabteilung ein Jahresbudget von mindestens 250 Millionen Euro auf, die Borussia gibt nicht mal ein Drittel dieser Summe für ihre Spitzenfußballer aus. Aber der Mann hat andererseits auch nicht recht, weil sich die Bayern und die Borussia bis vor zwei Wochen noch sehr nahestanden, die acht Punkte, die sie nun in der Tabelle trennen, resultieren aus den beiden 0:3-Heimniederlagen gegen Hertha und Wolfsburg. Das Hinspiel in München aber gewann Gladbach 3:0. Warum nicht auch im Rückspiel das Beste erhoffen gegen den im Akkord beschäftigten FC Bayern, dem womöglich ein halbes Dutzend Spieler fehlen?

Bei solchen Anfragen blickt Dieter Hecking streng im Saal umher (bei anderen Anfragen ist der Blick allerdings kaum weniger streng). Im Hinspiel, weist der Trainer zurecht, "haben wir sie in einer speziellen Phase sehr gut erwischt - jetzt sind die Bayern wieder in der Spur". Und gegen einen FC Bayern, der planmäßig seine Spiele gewinnt, gilt laut Manager Max Eberl wieder die folgende Losung: "Du weißt, du bist der Underdog, der Außenseiter", und daher müsste alles ideal funktionieren - "sonst wirst du gegen sie keine Chance haben". Man könnte glauben, diese Sätze schon einmal gehört zu haben. Aber von einem Tabellendritten? Selbst die Champions-League-Ambitionen pflegen die notorisch bescheidenen Gladbacher Borussen zu bestreiten.

Eberl weiß, dass er seinen konstant nach oben geführten Verein ein wenig unter Wert verkauft, doch lieber stapelt er tief und lässt sich dafür ab und zu als kleinmütig kritisieren, als dass er große Ansagen macht und dann, wenn's schief geht, als Aufschneider in Verruf gerät. Abgesehen davon, dass die Mönchengladbacher Philosophie des Mittelstands Angeberei nicht vorsieht, möchte man vor allem dieses nicht: unseriös erscheinen. Das schätzt man in der kleinen Stadt am Niederrhein nicht. Die Borussia-Mannschaft mit ihrer starken Schweizer Fraktion und all den treuen Seelen wie Jantschke, Herrmann, Wendt, Stindl oder Kramer bildet zu dieser Denkweise keinen Gegensatz. Es ist eine Mannschaft, die viele gute Eigenschaften vereint, aber nicht durch extravagante Charaktere auffällt. Ein einziger Lamborghini auf dem Spieler-Parkplatz, das könnte man fast für bedenklich halten.

Der Westfale und Erz-Realist Dieter Hecking passt ganz gut in diese Umgebung, aber Kenner bestehen darauf, man dürfe seine defensive Rhetorik nicht missverstehen. Hecking sei nicht ehrgeizig - sondern extrem ehrgeizig. In Wahrheit war es also wohl doch eine wilde Kampfansage, als er für das Bayern-Spiel das Versprechen ablegte, "dass wir uns nicht zurückziehen wollen".

© SZ vom 02.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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