Süddeutsche Zeitung

Modeste-Transfer nach Dortmund:Das Bedauern hält sich in Grenzen

Eine Zukunft ohne Modeste: Kölns Trainer Baumgart stört sich eher an den Umständen des Abschieds als am eigentlichen Verlust. Beim Sieg gegen Schalke zeigt sein Team, wie es den Weggang kompensieren will: als Kollektiv.

Von Philipp Selldorf, Köln

Falls Steffen Baumgart in der Pause einen Tee zu trinken pflegt, den sogenannten Pausentee, dann war das Getränk allenfalls noch lauwarm, als er in die Kabine kam. Nachdem Schiedsrichter Robert Schröder die Partie zwischen dem 1. FC Köln und Schalke 04 beim Stand von 0:0 zur Halbzeit unterbrochen hatte, hielt Baumgart an Ort und Stelle eine Sonderkonferenz mit seinem Trainerstab ab.

Live konnten die Fans erleben, wie das Kölner Lehrpersonal in basisdemokratischer Gruppenarbeit einen Plan für die zweite Hälfte diskutierte und verabschiedete. Die befriedigten Mienen in der fünf, sechs Köpfe zählenden Expertenkommission zeigten an, dass es ein produktiver Austausch gewesen sein muss, und tatsächlich sah Baumgart später gute Gründe, den zweiten Teil der Aufführung zu loben: "Wir haben es gut gemacht", sagte er: "Kontrolliert gespielt, die Außen gesucht, die Tiefe gesucht, viele Flanken, viele Abschlüsse." Drei Tore haben sie auch noch geschossen, die für den 3:1-Sieg sorgten.

Die bloßen Zahlen suggerieren, dass das Europacup-Team standesgemäß den Aufsteiger besiegt hat, aber das wäre nicht die volle Wahrheit. Baumgart verwies mit Recht darauf, dass diesem Spiel "mehrere Geschichten" zugrunde lagen. Im Mittelpunkt hatten zwei Personen gestanden, die gar nicht mitgespielt hatten.

Kölns altbekannter Mittelstürmer Anthony Modeste war in Abwesenheit das große Thema

Der eine, Kölns altbekannter Mittelstürmer Anthony Modeste, war in Abwesenheit das große Thema, weil ihn Baumgart wegen des angekündigten und am Montagabend auch bestätigten Wechsels nach Dortmund wenige Stunden vor dem Anpfiff aus dem Kader genommen hatte. Der andere, Schiedsrichter Robert Schröder, geriet zum Hauptdarsteller, weil seine Entscheidungen den FC Schalke zum Verlierer degradierten.

Dass Rodrigo Zalazars 1:0 nach zehn Minuten aberkannt wurde, davon konnten sich die Schalker noch erholen. Den Platzverweis für Dominik Drexler (35.) verkrafteten sie hingegen nicht. Die ohnehin vorhandenen Kölner Kraft- und Tempovorteile wirkten jetzt noch stärker ein, zumal eine klassische Unterzahl-Taktik zwischen Mauern und Kontern kaum Aussichten auf Erfolg bot, solange Sebastian Polter die einsame Sturmspitze bildete. Der aus Bochum erworbene Angreifer stammt nicht aus dem Sprinter-, sondern eher aus dem Eisenbieger-Fach.

Er konnte seinem Team bei den ohnehin seltenen Balleroberungen keine Entlastung bieten. Simon Terodde, zuletzt lädiert, kam erst zwei Minuten vor dem Abpfiff beim Stand von 1:3. Warum nicht schon nach Bülters Tor zum 1:2, als die Kölner vorübergehend irritiert waren? Man habe "alles durchgecheckt und in Erwägung gezogen", aber "bis alles organisiert war, war das Ding durch", lautete die gewundene Antwort von Schalkes Coach Frank Kramer. Ein Eigentor von Torwart Alexander Schwolow hatte die kurze Spannungsphase abrupt beendet.

Während die Schalker erfahren mussten, dass sie noch einige Zeit benötigen werden, um ihren selbst intern noch unerforschten Kader abzustimmen, durften die Kölner bereits den ersten Schritt ins neue Zeitalter machen - in eine Zukunft ohne den Mittelstürmer Modeste, der bisher das Angriffssystem diktiert, die taktische Selbstlimitierung aber auch mit Toren kompensiert hatte.

Baumgart störte sich mehr an den Umständen von Modestes Weggang, an der Indiskretion am Spieltag, als am eigentlichen Verlust. "Wenn einer den Weg nicht mitgeht, muss man eine Entscheidung treffen", sagte der Trainer und drückte damit allenfalls geringes Bedauern aus. Zwischen acht und neun Millionen Euro bringt der Transfer durch Ablöse und Gehaltsersparnis ein und dient damit einem zentralen Saisonziel: der Schwarzen Null in der Jahresbilanz.

Modestes Tore und den manchmal sehr lustigen Toni werde er vermissen, sagte Baumgart, aber wichtiger sei doch Folgendes: "Wir sind im letzten Jahr übers Kollektiv gekommen, und wir werden auch dieses Jahr übers Kollektiv kommen." Die Schalker haben es schon mal zu spüren bekommen.

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