Moderner Fünfkampf:Ein Jahrzehnt Botschafterin

Selten hat jemand für seinen Sport so viel geleistet wie Lena Schöneborn für den Modernen Fünfkampf. Mit dem Olympiasieg und ihren WM-Erfolgen hat sie ihn bekannt gemacht - in all seiner Vielfalt und seinen Tücken.

Von Volker Kreisl

Lena Schöneborn sagt, das wäre eigentlich keine schlechte Idee: ein Wiedersehen. Gerne würde sie Legende noch einmal gegenüberstehen, ihr in die Augen blicken, sich vielleicht noch einmal auf sie setzen und ein bisschen im Geviert reiten. Einfach nur, um zu verstehen. Und um für die Zukunft zu lernen.

Wo Legende wohl gerade steckt, die Stute, auf der sie bei Olympia 2016 in Rio geritten ist? "Das ließe sich herauskriegen", sagt Schöneborn.

Die Zeit für so eine Suche hat Schöneborn jetzt, nachdem sie vom Leistungssport zurückgetreten ist. Sie ist nicht länger aktive Moderne Fünfkämpferin. 13 Jahre lang war sie in der Weltspitze, wurde Olympiasiegerin, sechsmal Weltmeisterin und hat immer wieder die Weltrangliste angeführt. Sie hat einen einst versteckten Sport in die deutsche Öffentlichkeit eingeführt, worauf sie ein bisschen stolz ist. Heutzutage sagt ja kaum noch jemand: "Klar, Moderner Fünfkampf, das ist Laufen, Schwimmen, und ... äh ... Radfahren?"

Schöneborn hat alles erlebt, und sie sagt, "ich habe mich lange über diesen Sport definiert". Sie liebt immer noch das Fechten und das Laufen, sie reitet und schwimmt gerne. Andererseits bekam sie in diesem Winter auch gute Gründe dafür aufzuhören. Sie hatte Rückenschmerzen und musste wieder mal alleine trainieren, sie wurde 31 und sie kann nun in ihrem Beruf, im Sport-Marketing, loslegen. Es ist also alles im Reinen, und doch bleibt der Moderne Fünfkampf ein komplizierter Sport, in dem es manchmal auch nach dem Karriereende noch Dinge aufzuarbeiten gibt.

13 Jahre alt war die Fuchsstute Legende bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro, sie war Lena Schöneborn zugelost worden und hat ihr die schlimmste Niederlage ihrer Karriere beigebracht. Aussichtsreich lag sie nach Schwimmen und Fechten noch im Rennen um den Sieg, dann steuerte sie auf Hindernis Nummer vier zu und setzte schon zum Sprung an, da bremste die Stute derart radikal ab, dass es fast wie Absicht wirkte: Wie schaffe ich es, meine Reiterin vornüber abzuwerfen? Obwohl sich das Hindernis leicht verschob, blieb Schöneborn aber oben, sie nahm noch mal Anlauf, überwand die Nummer vier und auch Hindernis fünf und erlebte ein Debakel an Nummer sechs.

Drei weitere spontane Vollbremsungen von Legende - dann bimmelte der Kampfrichter mit der Glocke, als Zeichen dafür, dass Schluss war.

Schöneborn, die aktuelle Weltmeisterin, musste aus dem Stadion reiten, mit einem Gesicht, das Entsetzen und Ohnmacht ausdrückte. Auf die Frage in der Mixed-Zone, was man in so einer Situation spontan aus einem Pferd machen möchte ("Salami?"), antwortete Schöneborn, dass sie jetzt lieber nichts antworte. Sie hasste diese Stute - und wusste doch, dass diese natürlich nichts aus böser Absicht tat, und dass sie den wahren Grund nie erfahren würde.

Sportler streben oft danach, anfängliche Erfolge zu wiederholen und so der Karriere einen Rahmen zu geben. So unvermittelt, wie Schöneborn in Rio aus dem Rennen katapultiert wurde, so plötzlich waren sie und ihr Sport ja acht Jahre zuvor den deutschen Olympia-Zuschauern erschienen. Am Schlusswochenende der Spiele von 2008 startete da plötzlich eine 22 Jahre alte, groß gewachsene deutsche Läuferin im Olympiastadion von Peking in einen Finallauf, während alle anderen seltsamerweise hinter ihr warten mussten. Die durften erst losrennen, als diese Erste schon nicht mehr einzuholen war - es musste sich also ums Finale eines Mehrkampfes handeln. Moderner Fünfkampf, wie sich herausstellte, und die Siegerin kam aus Berlin.

Bestzeit war sie geschwommen, den Grundstein für diesen Riesenvorsprung hatte sie aber im Fechten gelegt. Man erfuhr ferner, dass Schöneborn schon im Jahr zuvor Zweite bei der Weltmeisterschaft war, und dass sie als 14-Jährige eher spät, aber eben auch durch Zufall zu diesem herausfordernden Sport gekommen war. Das Hallenbad in ihrer Heimatstadt Niederkassel war damals renoviert worden, sie trainierte also mal zur Probe bei den Fünfkämpfern nebenan in Bonn, und blieb schließlich bei ihnen.

Es interessiert sie immer noch, "was ich anders hätte machen können", damals in Rio

Nach dem Olympiasieg begann Schöneborns Karriere erst so richtig. Sie startete eine Serie von WM-Medaillengewinnen, die 2015 zunächst mit der Einzel-Goldmedaille endete - an ihrem Wohnort Berlin, wo sie mittlerweile ein Publikum anzog, das eine WM tatsächlich wie eine WM aussehen ließ. Gleichzeitig entwickelte sich der Fünfkampf rasant. Um das eher intransparente Schießen spannender zu gestalten und gleichzeitig Riesenvorsprünge im Laufen wie 2008 zu verhindern, erfand man 2009 das Combined - Laufen und Schießen in einem, wie beim Biathlon. Später kam noch die Bonusrunde im Fechten hinzu, eine Art Trostrunde, in der sich komplette Fecht-Aussetzer abfedern lassen.

Es geht eben nicht nur um das theoretische Ideal, das der Olympia-Gründer Pierre de Coubertin vor mehr als 100 Jahren vom Athleten hatte: konditionsstark sein, Technik und Kampfsport beherrschen, Ruhe und Konzentration bewahren und mit einem Tier umgehen können - sondern auch um Spannung und Zuschauermengen, die weiter wachsen sollen. Dabei gäbe es noch viel zu tun. Das Combined-Rennen mit seinen verschlungenen Strecken im Stadion ist oft unübersichtlich. Und im Springreiten nutzt einem alle Einfühlung nichts, wenn das Pferd eine Blockade hat, wenn kein Reittrainer die Akteure warnt oder das Pferd vorab an die besondere Kulisse gewöhnt.

Falls Schöneborn Legende also noch einmal träfe, könnte sie vielleicht mit deren Trainern und Besitzern sprechen, die am ehesten wissen, was in diesem Pferd vorging, als es sich so widersprüchlich verhielt. Und obwohl Schöneborn im Jahr darauf noch einmal Weltmeisterin im Team wurde, obwohl sie ihrer Karriere doch noch den gebührenden Rahmen verpasste, so interessiert es sie immer noch, "was ich anders hätte machen können". Anzusehen war es Legende in Rio tatsächlich nicht. Sie wirkte eher ruhig, sie war eine gut aussehende Stute mit westfälischem Stammbaum, mit langer Mähne und durchaus wachsamen Augen.

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