Mobbing im American Football:Todesdrohung als teambildende Maßnahme

Mobbing im American Football: Jonathan Martin (li.): Geschasst von den Kollegen

Jonathan Martin (li.): Geschasst von den Kollegen

(Foto: imago sportfotodienst)

American Football ist ein Testosteron-geprägter Sport, in dem raue Sitten herrschen. Jonathan Martin von den Miami Dolphins wird so lange gemobbt, bis er freiwillig das Team verlässt. Doch seine Kollegen machen das Opfer zum Täter. Nun diskutieren die USA darüber, wann aus harmlosen Scherzen rassistische Beleidigungen werden.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Die Umkleidekabine eines Sportteams ist ein spezieller Ort. Es riecht nach nassem Hund, die Sprache ist meist deftiger als draußen, hin und wieder gibt es Rangeleien. Der FC-Bayern-Fußballer Franck Ribéry etwa soll im vorigen Jahr den Kollegen Arjen Robben mit einer präzisen Links-Rechts-Kombination niedergestreckt haben. Details wurden nicht bekannt, denn die wichtigste Regel besagt, dass so eine Kabine wie Las Vegas sein muss: Was dort passiert, das bleibt dort.

Um die Miami Dolphins, Klub der amerikanischen Football-Profiliga NFL, gibt es derzeit einen Skandal, weil diese Regel nicht eingehalten wurde. Im Grunde wurden ganz viele Regeln nicht eingehalten: Der Offensive Lineman Jonathan Martin, 24, wurde von seinen Teamkollegen offenbar systematisch gemobbt. Er wurde wegen seiner Schüchternheit in der Kabine als Sonderling verkohlt, zu gemeinsamen Abendessen nicht eingeladen und musste 15 000 Dollar für einen Vergnügungstrip der Offensive Linemen nach Las Vegas bezahlen, an dem er gar nicht teilnahm. Wenn er sich in der Kantine an einen Tisch setzte, standen alle anderen auf.

Anführer dieser Aktionen war Richie Incognito, 30, der sogar noch weiter ging und Martin rassistisch beleidigte, beschimpfte und bedrohte. Er schickte seinem Kollegen Textnachrichten und hinterließ eine Nachricht auf dessen Anrufbeantworter, er bezeichnete Martin darin als "Halb-Nigger" und kündigte an, erst dessen Mutter ins Gesicht zu schlagen und Martin dann zu töten. Am Ende der Nachricht sagte Incognito: "Okay, ruf' zurück!"

Nach einem eher harmlosen Vorfall, wieder standen alle bei seinem Anblick auf, verließ Martin das Vereinsgelände und kam nicht mehr zurück. Er begab sich kurz in psychiatrische Behandlung und flüchtete dann nach Kalifornien zu seinen Eltern. Zunächst erklärte der Verein, Martin sei verletzt - doch der machte die Vorfälle über seinen Berater publik.

Incognito, ohnehin bekannt als einer der schmutzigsten Akteure der NFL und bereits wegen sexueller Belästigung angezeigt, wurde vom Klub suspendiert. "Wenn in meiner Umkleidekabine so etwas passiert, fällt das immer auf mich zurück", sagt Chefcoach Joe Philbin, dem vorgeworfen wird, Incognito angestiftet zu haben, aus dem scheuen Martin einen anständigen Kerl zu machen. Philbin weist das zurück; er habe die Profis vielmehr aufgefordert, mit den Hänseleien aufzuhören.

Grenzüberschreitung als Routine

Ende der Geschichte, mag man glauben. Der Bösewicht ist suspendiert, das Opfer wird hoffentlich bald aufs Spielfeld zurückkehren. Mitnichten: Geht es nach den Spielern der Miami Dolphins, dann ist Incognito das Opfer und Martin der Täter. "Er hat das sicher nicht so gemeint. Es war nur ein Spaß, über den Martin erst einmal auch gelacht hat", sagt John Jerry. Tyson Clabo ergänzt: "Richie ist ein toller Teamkamerad. Ich weiß nicht, warum Martin so was abzieht. Er wollte nie einer von uns sein und ist jetzt der einzige, der sich erklären muss. So was kann man in der Kabine klären." Incognito sagt lapidar: "Ich navigiere durch den Sturm. Das geht schon vorbei."

Genau darüber wird in den USA nun diskutiert: rassistische Beleidigungen als harmlose Scherze, Hänseleien als Streiche, Beschimpfungen als Methode, aus einem Burschen einen ganzen Kerl zu machen - der Fall zeichnet ein deutliches Bild, wie es bisweilen zugeht im American Football, wo die Spieler nicht nur reichlich Testosteron ausschütten, sondern es sich bisweilen intravenös verabreichen. In der mehr als ein Drittel der Profis schon Probleme mit dem Gesetz hatte. In der Verletzlichkeit und Schüchternheit als unmännlich gelten.

Aufnahmerituale sind im amerikanischen Sport Tradition, meist sind sie harmlos (der deutsche Akteur Björn Werner musste singen und Mittagessen holen), bisweilen ekelhaft (ein Bier mit lebenden Goldfischen trinken) oder demütigend (Rasieren der Schamhaare vor versammelter Mannschaft). Die Rituale gelten als teambildende Maßnahme und sollen die heranwachsenden Millionäre Demut lehren.

Incognito ging bei seinen Aktionen gegen Martin zu weit, viel zu weit. Die Reaktionen der aktiven Spieler zeigen indes, dass diese Grenzüberschreitungen nicht die Ausnahme, sondern vielmehr die Regel sind in der NFL - und dass sie geduldet, bisweilen gar gefördert werden. Die NFL hat den berühmten Strafverteidiger Ted Wells mit einer Untersuchung beauftragt. "Er hat völlig freie Hand", sagt NFL-Chef Roger Goodell. Was in der Kabine passiert, soll weiter in der Kabine bleiben, nur muss dafür gesorgt werden, dass Grenzen eingehalten werden - juristische wie moralische. Ein Signal dafür wäre, Richie Incognito für lange Zeit den Zutritt zu so einer Kabine zu verwehren.

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