Marco Reus ist angekommen in Los Angeles, und damit das niemand verpasst, gab es am vergangenen Wochenende eine ganzseitige Anzeige in der Los Angeles Times. Die ist mittlerweile Tradition bei der Ankunft prominenter Fußballer, und es ist durchaus spannend, wer diese Anzeige geschaltet hat und was genau geschrieben stand. 2007 begrüßte der Fußballverein LA Galaxy seinen neuen Star David Beckham mit den Worten: „He is here“ – er ist da. Elf Jahre später brachte Zlatan Ibrahimovic eine Anzeige mit seiner Unterschrift neben dem Galaxy-Wappen und mit dieser Botschaft: „Dear Los Angeles, you’re welcome“. Liebes Los Angeles, gern geschehen.
Nun also die Anzeige für Marco Reus, 35 – geschaltet von Borussia Dortmund, jenem deutschen Verein, für den er vor seinem Wechsel in die US-Profiliga MLS zwölf Spielzeiten lang aktiv war. Es ist eine leere weiße Seite, oben mittig steht: „Reus. Beckham. Ibrahimovic. In dieser Reihenfolge.“ Weiter unten: „Behandle ihn gut, Los Angeles!“

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Der Ton ist gesetzt: Marco Reus soll für diese Liga kein Heilsbringer sein, als der Beckham gehandelt worden ist. Er soll auch kein spektakulärer Selbstdarsteller sein – eine Rolle, die Ibrahomivic gern eingenommen hat. Reus wird vielmehr vorgestellt als fantastischer Fußballer, auf einer Stufe mit, oder – siehe Anzeige – sogar ein wenig über den anderen beiden. Als sportlich womöglich wertvollerer Zugang und vor allem als einer, der durchs Überqueren des Atlantik nicht nur sein persönliches Promi-Profil schärfen will, sondern dem selbst sein bisheriger Verein nur das Allerbeste wünscht beim neuen Abenteuer.
Es geht bei diesem Transfer nicht darum, dass Deutsche plötzlich Fans der US-Liga werden
Marco Reus soll anders sein, als es Beckham und Ibrahimovic gewesen sind. Er sieht das ganz ähnlich. „Als der Entschluss feststand, dass ich nicht mehr für Dortmund spielen würde, dachte ich: Okay, was kann ich tun?“, sagte der 35-Jährige bei seiner Vorstellung auf dem Galaxy-Gelände: „Ich habe mit meiner Familie gesprochen und dabei den Entschluss gefasst, dass ich weiter Fußball spielen will, aber nicht in der Bundesliga oder in Europa.“ Der saudi-arabische Verein Al-Nassr, bei dem Cristiano Ronaldo spielt, lockte ihn offenbar mit einem Gehalt von zehn Millionen Euro pro Saison. Doch Reus wollte in die USA: „Um ehrlich zu sein: Die Liga ist in Deutschland nicht populär. Aber wenn Akteure wie Lionel Messi hierherkommen, dann interessieren sich die Leute dafür.“
Reus wollte nicht nur nach Amerika, er wollte explizit nach Los Angeles; aber das war aufgrund des komplizierten MLS-Reglements gar nicht mal so einfach. Die Rechte an Reus lagen bei Charlotte FC. „Man kann nicht sagen: Okay, wir würden dich gern verpflichten“, sagt Galaxy-Manager Will Kuntz. Denn es ging um die sogannten Discovery Rights: Charlotte hatte, wenn man so will, Reus „entdeckt“, und genau deshalb ging es auch ums Gehalt, weil Galaxy nicht bieten durfte, was es wollte: „Es gibt zahlreiche Hürden in dieser Liga, aber wir haben sie alle überquert“, sagt Kuntz.
Das Ergebnis am Ende: Charlotte bekommt 400 000 Dollar, Reus für seinen Vertrag bis Ende 2026 rund 1,6 Millionen Euro pro Saison. Doch es gibt Möglichkeiten zur Erhöhung des Salärs. Wie bei Messi, dessen Grundgehalt in Miami von 19,3 Millionen Euro über Boni, zum Beispiel vom MLS-TV-Partner Apple für verkaufte Streaming-Abos, auf bis zu 57 Millionen Euro wachsen kann.

Und sportlich? „Ich weiß schon, dass ich nicht mehr der Jüngste bin“, sagt Reus: „Ich will den jüngsten Spielern helfen, zu reifen und jeden Tag besser zu werden.“ Es geht bei diesem Transfer nicht darum, dass Deutsche plötzlich zu MLS-Fans werden, sondern darum, dass die Liga weiter zu dem wird, was sie sein soll: Die MLS sieht sich nach Jahren der Überambition mittlerweile als eine Liga wie jene hinter den ganz großen in Europa: als ein Sprungbrett für heimische Talente auf dem Weg zu den prominenteren Bühnen. Doch dafür braucht es Fußballer, von denen die Jungen lernen können.
Das bedeutet: Natürlich sollen Profis wie Messi oder Reus das Publikum verzücken und die sportliche Qualität erhöhen; sie sollen jungen Talenten aber auch Vorbild sein: Wie ist das, jeden Tag mit Reus zu trainieren? Ihn als Kollegen in der Kabine zu erleben? Zu beobachten, wie er sich abseits benimmt, was er für die Karriere tut? Plötzlich erkennt man diesen Unterschied zwischen Beckham, Ibrahimovic und Reus.
Das bedeutet freilich nicht, dass kurzfristiger Erfolg egal wäre: Galaxy hat acht Spieltage vor Ende der regulären Saison die zweitbeste Punktzahl der Liga (49) hinter Messis Miami (53). Ein Treffen der beiden Klubs in den Playoffs wäre aufgrund der Unterteilung in Eastern und Western Conference erst zum Finale am 7. Dezember möglich, Gastgeber wird der Endspiel-Teilnehmer mit den meisten Punkten sein. Gemeinsam mit dem 25 Jahre alten Spanier Riqui Puig, 2022 vom FC Barcelona gekommen, soll Reus künftig das Galaxy-Mittelfeld lenken. „Ich glaube, dass wir gut zusammenpassen. Aber es geht nicht nur um uns zwei“, sagt Reus: „Ich habe im Urlaub ein paar Spiele geguckt: Wir haben sehr, sehr gute junge Spieler. Der letzte Titel ist zehn Jahre her, ich würde sagen: Das Team ist bereit. Wir sind bereit.“
So was hören sie natürlich gern in Los Angeles. Bleibt die Frage, wann Reus zum ersten Mal spielen wird. Er wartet auf das Visum; sollte es rechtzeitig ausgestellt werden, dürfte er bereits an diesem Wochenende gegen Atlanta United auflaufen. Falls nicht, wäre das erste Heimspiel von Reus am 14. September gegen Ortsrivale und Titelverteidiger LAFC. Spitzname dieses Derbys: El Trafico, wegen des Verkehrs. Und erst, wenn der Deutsche sich an die ganzen Staus gewöhnt hat, wird Marco Reus wirklich angekommen sein in Los Angeles.