Die Los Angeles Dodgers haben in der vergangenen Woche eine E-Mail an ihre Fans verschickt, die immensen Spott hervorgerufen hat. Der Oktober sei jetzt gekommen, hieß es darin – höchste Zeit, sich mit Dodgers-Klamotten für die Baseball-Playoffs einzudecken. Das Problem dabei: Am Tag der E-Mail hätte der Klub bereits rausfliegen können aus diesen Playoffs, ausgerechnet gegen den kalifornischen Rivalen Padres aus San Diego. „Typisch Dodgers“, ätzte LA-Times-Kolumnist Bill Plaschke, weniger Journalist als vielmehr Megafon der allgemeinen Fanmeinung: „Eine Milliarde investiert und schon auf dem Weg in die Winterpause!“ Natürlich vergisst und vergibt keiner so schnell wie der Sportfan, also schrieb Plaschke nach dem Comeback und damit verbundenem Weiterkommen: „Die Playoff-Dämonen sind weg!“
Die Dodgers stehen also im Halbfinale, und das führt zu gleich mehreren interessanten Konstellationen: Das mit der Milliarde war keine Übertreibung. Die Dodgers hatten in der Winterpause Verträge im Wert von insgesamt 1,3 Milliarden Dollar vergeben; den höchstdotierten mit dem japanischen Megaspieler Shohei Ohtani, der über zehn Jahre verteilt insgesamt 700 Millionen Dollar beziehen wird. Dass die Dodgers heuer nicht das teuerste Team der Liga sind, liegt vor allem an der Struktur der Verträge, die Ausnahmekönnern wie Ohtani, Freddie Freeman und Mookie Betts den Löwenanteil ihrer Gehälter am Ende der Laufzeiten garantieren. Offizielle Gehaltskosten 2024 deshalb: 241 Millionen Dollar.
Major League Baseball:121 Niederlagen in einer Saison? Gute Geschichte!
Die Chicago White Sox haben in dieser Spielzeit öfter verloren als jemals ein Baseball-Team in der MLB zuvor. Warum das nicht nur egal ist, sondern zum Geschäftsmodell im US-Sport gehört.
Das bestbezahlte Team der Liga in diesem Jahr sind die New York Mets, weil sie das tun müssen, was den Dodgers noch blüht, nämlich Profis im Winter ihrer Karrieren unfassbar viel Geld zahlen. 318 Millionen Dollar sind das derzeit. Ach ja, diese Mets spielen im Halbfinale gegen die Dodgers, nach den ersten zwei Spielen in Los Angeles steht es in der Best-of-seven-Serie 1:1.
New York gegen Los Angeles, Big Apple gegen Stadt der Engel. Das ist immer prickelnd im US-Sport; im Baseball noch viel mehr, weil die Dodgers von der Gründung 1883 bis 1957 im New Yorker Bezirk Brooklyn beheimatet waren und der Spitzname bedeutet, dass Fans den Straßenbahnen dort ausweichen mussten („dodge“), um ins Stadion zu kommen.
Nun kommt hinzu, dass dieser erlesene Kader der Dodgers die World Series gewinnen muss, die erste seit … nun ja, das kommt auf die Lesart an. Im US-Sport haben sie sich gemeinhin darauf verständigt, allen Triumphen während der Covid-Pandemie ein Fleißsternchen wegen erschwerter Bedingungen zu verleihen, insofern Turnier oder Saison komplett ausgetragen wurde wie die US Open im Tennis. Bei Covid-verkürzten Spielzeiten – in denen etwa die Dodgers 2020 ihre vorerst letzte Meisterschaft gewannen – legen Puristen dagegen ihre Stirn in Falten. Auch Bill Plaschke erwähnte, dass der jüngste Sieg gegen die Padres das erste Playoff-Weiterkommen daheim seit elf Jahren „in Anwesenheit der Fans“ bedeute.
Nun soll also der erste richtige Titel seit 1988 her, und nach dem Comeback gegen die Padres gab es in der Kabine der Dodgers schon mal Champagner und viele erleichterte „Huiuiuiui“-Rufe. Nun geht es gegen die Mets, deren Weg hierhin man als „Huiiiiiii“ beschreiben könnte. Die Mets hatten eine Umbausaison ausgerufen, wollten die alten Verträge abbezahlen, da muss man durch im US-Sport. Im Juli lagen sie als Lachnummer abgeschlagen zurück, es folgten: eine Siegesserie und die Playoff-Qualifikation durch zwei Siege am Tag nach dem letzten Spieltag der Hauptrunde – sie gewannen die Nachholpartien gegen die Atlanta Braves nach Comebacks, jeweils im vorletzten und im letzten Spielabschnitt.
Die Dodgers sind rekordverdächtig defensivstark? Ist doch den Mets egal
Die entscheidende Partie der ersten Playoffrunde gewannen sie dann mit einem auf die Tribüne geprügelten Ball von Pete Alonso im letzten Abschnitt, der einen 2:1-Vorsprung für die Milwaukee Brewers in einen 4:2-Sieg für die Mets verwandelte. Im Viertelfinale: Sieg gegen die haushoch favorisierten Philadelphia Phillies.
Zwei Gedanken begleiten die Mets: „OMG“, was für „Oh my God“ und damit Verblüffung über die eigene Stärke steht – und der Titel des Gute-Laune-Popsongs des kubanischen Mets-Innenverteidigers Jose Iglesias ist. Und daraus resultierend: Wenn wir schon mal hier sind, dann wollen wir auch gewinnen. „Wir scheißen uns um nichts“, sagte ebendieser Iglesias nach dem Weiterkommen gegen die Phillies. Es spielt also ein Team auf Höhenflug gegen das Team mit der besten Bilanz der Hauptrunde, und was das bedeutet, war bereits in diesen ersten zwei Spielen in Los Angeles zu sehen: Die Dodgers hatten in den letzten beiden Spielen gegen die Padres sowie in der ersten Partie gegen die Mets keinen gegnerischen Punkt zugelassen und während des 9:0-Erfolgs zum Auftakt den 58 Jahre alten Rekord für die meisten Playoff-Spielabschnitte ohne gegnerische Runs (33) gebrochen. Sie sind auf jeder Defensivposition herausragend besetzt, das ist nun deutlich zu sehen.
Bloß: Die Mets scheißen sich um nichts. Francisco Lindor war der erste Mets-Schlagmann in Spiel zwei; er beendete den Null-Punkte-Lauf der Dodgers mit einem Homerun. Nur einen Abschnitt später hieß es nach fünf weiteren Runs 6:0. Am Ende überstanden die Mets auch eine knifflige Situation im sechsten Spielabschnitt – ein Homerun der Dodgers hätte bei zwei Spielern auf den Laufmalen den Ausgleich bedeutet – wahrten einen 7:3-Vorsprung defensiv- und nervenstark. Noch einmal das Fan-Megafon des Kolumnisten Bill Plaschke angeknipst: „Das war kein Baseballspiel, das war ein unerwarteter Tiefschlag.“ Nun fliegen alle nach New York zu den Spielen drei und vier am Mittwoch und Donnerstag; nach den bisherigen Ergebnissen ist die Serie völlig offen.
Das zweite Halbfinale bestreiten die Cleveland Guardians gegen die New York Yankees. Sollten die Yankees weiterkommen – das erste Halbfinalspiel gewannen sie 5:2 –, würde es entweder zur sogenannten „Subway Series“ in New York kommen: Die Mets sind in Queens beheimatet, die Yankees in der Bronx. Oder es kommt zum ersten Mal seit 1981 zu einem Final-Rendezvous von Dodgers und Yankees. Es gibt wohl nur zwei Logos auf Baseballcaps, die derart unverkennbar sind und derart untrennbar mit ihren Metropolen verbunden wie das Dodgers-LA und das Yankees-NY.
Die Dodgers haben natürlich längst eine Mail verschickt: Man solle sich doch bitte eindecken mit Klamotten mit diesem LA darauf.