Mixed Martial Arts:Umstrittene Tritte im Käfig

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Die MMA-Kämpfer Charles Rosa (li.) und Yair Rodriguez beim Kampf in Mexico City (Foto: AP)

In den USA ist Mixed Martial Arts populärer als Boxen, im deutschen Fernsehen ist der Sport verboten. Er gilt als zu brutal. Doch die Szene hierzulande will endlich Anerkennung.

Von Saskia Aleythe

In Schweden muss es schon ein Fußballstadion sein. Als Nationalheld Alexander Gustafson Mitte Januar in Stockholm zum Duell gegen den US-Amerikaner Anthony Johnson antritt, ziehen Zuschauermassen in die Tele2 Arena. Die Liebe zum Kampfsport hat 30 000 Zuschauer vom Sofa gelockt - nicht zum Boxen, sondern zu Mixed Martial Arts.

Den größten Veranstalter Ultimate Fighting Championship (UFC) aus Amerika freut das, ohnehin gelingt ihm ein prima Start ins Jahr: Wenige Tage später verfolgen 2,75 Millionen Zuschauer einen Kampf auf dem TV-Sender Fox Sports1 - Rekord für den Sender. Und eine Million mehr als beim letzten Klitschko-Kampf in New York.

Mixed Martial Arts ist in den USA längst populärer als Boxen, am Samstag kommt die UFC nach Berlin. 8000 Zuschauer sollen mindestens die Halle füllen. Mit Nick Hein, Peter Sobotta und Dennis Siver bestreiten auch drei Deutsche die Hauptkämpfe. In Deutschland befindet sich MMA allerdings im Zwiespalt: Immer mehr Menschen betreiben den Sport, gehen zu Kämpfen in der Region, schauen sich die Events aus Amerika im Internet an. Doch viele Entscheidungsträger in Sport und Politik betrachten MMA als die teuflischste Erfindung, die je aus Turnhallen entwachsen ist. Wie ist diese Diskrepanz entstanden?

Brutal ist das Wort, das die Szene nicht mag. Mixed Martial Arts ist eine Mischung aus Boxen, Ringen, Jiu Jitsu und weiteren Kampfsportarten und wer sich Best-of-Videos anschaut, wird auch solche Szenen sehen: Gegner, die am Boden liegen und mit Faustschlägen malträtiert werden. Das wirkt: brutal. Ein Achteck-Gitter, das Oktagon, schirmt die Kämpfer vom Publikum ab. Das soll sie vor Stürzen in die Zuschauerränge schützen - sieht aber auch martialisch aus.

Nach 13 Sekunden liegt Alexander Gustafsson, der schwedische Nationalheld, auf dem Boden. Anthony "Rumble" Johnson hat ihn gestoßen, stürzt sich auf ihn. Gustafsson kniet auf allen Vieren, mit dem Gesicht nach unten. An seinem Rücken hängt der Amerikaner, der immer wieder mit den Fäusten das Gesicht des Schweden sucht. Eine halbe Minute kann dieser noch standhalten, dann schleudert sein Kopf durch die wuchtigen Schläge nach hinten in den Nacken. Der Kampfrichter bricht ab.

Bei blutigen Gesichtern ist auch bei der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien eine Grenze erreicht: MMA ist zu gefährlich, heißt es dort. Also gewährte man dem Sport 2010 kleinen Platz mehr im Fernsehprogramm und verbot dem in Ismaning bei München ansässigen Sender Sport1, damals noch DSF, die Ausstrahlung. Hessens damaliger Innenminister Volker Bouffier sagte sogar: "Es ist eine schlimme Fehlentwicklung, wenn sich Menschen vor Publikum in Käfigen blutig schlagen. Wir müssen diesem abscheulichen Treiben schnell ein Ende setzen."

Zeitgleich nährte eine Forderung der Bundesärztekammer die Bedenken der Kritiker: Die Veranstaltungen in Deutschland sowie deren Ausstrahlung müssten verboten werden, der Sport würde "ausschließlich die Verletzung des Gegners an Körper, Gesundheit und Leben" im Sinn haben, der Kampf werde "solange weitergeführt, bis der Kämpfer regungslos liegen bleibt". Wenige Zeit später erschien eine Unterlassungserklärung auf der Internetseite: Die Experten mussten gleich elf "unwahre Tatsachenbehauptungen" widerrufen. Zuffa LLC, die Muttergesellschaft der UFC, hatte die Erklärung erwirkt. Sonderlich mit den Regeln des Sports auseinandergesetzt, hatten sich die Ärzte offenbar nicht.

"Die Verletzungsgefahr ist relativ hoch", sagt Ingo Froböse, er ist Professor an der Deutschen Sporthochschule Köln. Aber er schränkt auch ein: "Sie ist nicht höher als bei anderen Kampfsportarten, wenn die Sportler respektvoll miteinander umgehen." Häufigste Verletzungen sind Prellungen durch Stöße, leichte Wunden. Froböse nennt sie Bagatellverletzungen. Brutaler sei ein Sport, über dessen Relevanz keiner mehr streitet: "Beim Schwergewichtsboxen treten gravierende Verletzungen auf, da treffen harte Schläge allein auf den Kopf." Beim MMA werden dünnere Handschuhe getragen, die an den Fingern offen sind, die Wucht ist damit geringer als beim Boxen. Ohnehin landen viel weniger Fäuste am Kopf.

Dass auch am Boden weitergekämpft wird, daran stören sich viele - "doch beim Ringen ist das nicht anders", sagt Saba Bolaghi aus Frankfurt am Main. Der 26-Jährige war EM-Dritter im Ringen 2011, seit Herbst 2013 ist er MMA-Kämpfer. "Es kommt immer darauf an, welche Stärken der Gegner hat. Manche will man gar nicht auf den Boden bringen, weil die da unheimlich stark sind."

Bolaghi hat mit dem Traditionssport Ringen gebrochen, auch weil für ihn das Dasein als Nationalringer nicht mehr mit seinem Studium der Erziehungswissenschaften zu vereinbaren war. Die finanzielle Perspektive fehlte ihm, auch die Aufmerksamkeit. Fünf Kämpfe hat er bisher beim MMA absolviert, vier davon gewonnen, ein Unentschieden gab es. "Ich kriege in Frankfurt auf jeden Fall meine Anerkennung, die Leute erkennen einen", sagt Bolaghi, der hauptsächlich in der Region kämpft und nicht mehr wie in seinen Zeiten als Ringer durch die Welt reist. "Ich habe acht Jahre lang gerungen, da kannte mich kein Mensch in meiner Stadt."

Die Vorurteile über seinen Sport kennt er natürlich, ein beliebtes lautet: Es gibt fast keine Regeln. Dabei wird seit dem Jahr 2000 bei der UFC ein einheitlicher Regelkatalog angewandt, bei deutschen Veranstaltern eine adaptierte Variante. 31 Fouls sind darin festgehalten: Kopfstöße, Tritte auf den Kopf eines am Boden liegenden Gegners, Tiefschläge aller Art, Fersentritte in die Nieren, Angriffe auf die Wirbelsäule oder den Hinterkopf. Kann sich einer der Kämpfer nicht mehr sinnvoll verteidigen, wird abgebrochen.

In deutschen Großstädten finden sich immer mehr Kampfschulen, die MMA anbieten oder ganz darauf ausgerichtet sind. Sheila Gaff trat selbst für die UFC an, ihr Kampfname lautete "The German Tank", der deutsche Panzer, sie hat ihn sich nicht selbst ausgesucht. Nach zwei verlorenen Kämpfen war der Ausflug in die Elite wieder beendet, die UFC kennt keine Verlierer. In Offenbach eröffnete die 25-Jährige ihre eigene Schule. Mittlerweile trainiert sie auch 50 Kinder - Vorbehalte gegen den Sport hatten die Eltern nicht. "Sie wollen, dass sich ihre Kinder selbst verteidigen können", sagt Gaff, "und dafür ist MMA der ideale Sport." Dass man sowohl im Stehen als auch im Liegen Abwehrtechniken erlernt, macht MMA besonders vielseitig.

Wenn die UFC am Samstag in Berlin Station macht, könnte es das letzte Mal sein, dass der Kampfabend nicht im deutschen Fernsehen zu sehen sein wird: Das Sendeverbot der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM) steht gerade auf dem Prüfstand. Bereits im Oktober 2014 entschied das Verwaltungsgericht München innerhalb einer Klage der UFC, dass die BLM-Entscheidung rechtswidrig ist, es konnte keinen Verstoß gegen den Jugendschutz erkennen. Die BLM legte Berufung ein, scheiterte aber auch vor dem Oberverwaltungsgericht Leipzig. Mittlerweile beschäftigt sich der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mit dem Fall.

Sollte das Sendeverbot aufgehoben werden, dürfte die UFC kein Problem haben, einen übertragenden Kanal zu finden. Ein Interesse besteht bei Sport1 noch immer, Verhandlungen oder konkrete Planungen mit dem Lizenzgeber der UFC gibt es derzeit aber keine, sagt Firmen-Sprecher Michael Röhrig.

550 Millionen Dollar Umsatz machte die UFC 2013 insgesamt, für 2015 hat Boss Lorenzo Fertitta zwei Strategien ausgerufen: Den Sport im Staat New York legalisieren zu lassen, auch dort hält man ihn für zu gefährlich - der Madison Square Garden gehört noch den Boxern. Und: In Europa zu expandieren. In Schweden ist der Plan schon mal aufgegangen.

Lesen Sie mit SZ Plus das Porträt über den deutschen Martial-Arts-Kämpfer Alan Omer:

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