Umstrittener Kampfsport MMAKämpfe bis aufs Blut

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Der Brasilianer Kaik Brito (re.) wird in München von Ion „Dracula“ Surdu aus Rumänen im Weltergewichts-Titelkampf am Hals getroffen und geht K.o.
Der Brasilianer Kaik Brito (re.) wird in München von Ion „Dracula“ Surdu aus Rumänen im Weltergewichts-Titelkampf am Hals getroffen und geht K.o. (Foto: Blackart.cz/oh)

Mixed Martial Arts ist ein ultraharter Kampfsport, der 12 000 Zuschauer in den Münchner Olympiapark lockt. Dabei findet der Hauptact wegen eines Eklats bei der Pressekonferenz überhaupt nicht statt.

Von Sebastian Winter

Den Ton für den Kampfabend am Samstag in München hatten die Protagonisten bereits zuvor gesetzt, am Freitagmorgen beim Wiegen, ein paar Stunden später dann bei der Pressekonferenz. Und es war eher einer der raueren Natur, wie es halt mal vorkommt im Box- und Kampfsport, wenn das Testosteron am Überkochen ist.

Schon beim Wiegen schubste Schwergewichts-Champion Hatef „Boss“ Moeil seinen Herausforderer Lazar Todev Nase an Nase stehend nach hinten, nachdem er provokant an ihm geschnuppert hatte. Bei der Frage-Antwort-Runde flogen die Nettigkeiten dann nur so hin und her – und am Ende musste das Holiday Inn in Unterhaching gar um seine Einrichtung fürchten.

Streithähne, die sich mit Schimpftiraden traktieren: Hatef „Boss“ Moeil (re.), der den Kampf kurzfristig absagte, und sein Herausforderer Lazar Todev.
Streithähne, die sich mit Schimpftiraden traktieren: Hatef „Boss“ Moeil (re.), der den Kampf kurzfristig absagte, und sein Herausforderer Lazar Todev. (Foto: Kikinder/oh)

„Halt die Schnauze“, „Halt die Fresse“, „Du bist dumm“, so lief der Dialog. Bis Moeil endgültig der Kragen platzte. Er stand auf, versuchte, auf Todev loszugehen. Stühle und ein Tisch fielen um, der goldene Gürtel flog durch die Luft, später hieß es, einer der beiden Promoter habe einen kleinen Cut am Kopf erlitten. Und noch später, nämlich kurz vor Beginn des Kampfabends am Samstag, war klar: Moeil kommt nicht, Hauptact abgesagt. Der Boss hatte offenbar eine Kürzung seiner Gage wegen des Vorfalls nicht akzeptiert, was er seine 570 000 Instagram-Follower auch bald darauf ausführlich wissen ließ.

Willkommen bei Oktagon, einer Spielart des ultraharten Kampfsports Mixed Martial Arts (MMA): MMA, das ist mehr oder weniger eine Prügelei im Käfig hinter Maschendrahtzaun, die kaum Tabus kennt. Einen Kopfschutz gibt es nicht, die Handschuhe sind weitaus weniger gepolstert als beim Boxen, die Finger frei, damit man den Gegner greifen kann. Selbst am Boden darf noch geschlagen werden, auch mit dem Ellbogen gegen den Kopf. Tabu sind Kratzen, beißen, spucken, Griffe in den Mund und Gewalt gegen Weichteile, Kehlkopf und Nacken. Aber zur Wahrheit gehört auch: Die Wischer wischen eher keinen Schweiß vom Boden auf, sondern Blut, von dem jede Menge auf den Boden tropft an diesem Abend.

Die MMA-Nacht steht unter der Prämisse FSK 18, Jugendlichen ist der Zutritt verboten

Für Oktagon MMA, den Veranstalter aus Osteuropa, der am Samstag immerhin 12 000 Zuschauer zu den Kämpfen im SAP Garden lockte, gehören Scharmützel wie jenes zwischen Moeil und Todev zum Spiel dazu. Die Nacht und ihr Drumherum, getragen im Käfig von unzweifelhaft hoch ambitionierten und maximal durchtrainierten Duellanten im Käfig, erinnert dabei eher an Gladiatorenkämpfe im alten Rom als an Boxen. Die Oktagon-Gründer Pavol Neruda und Ondrej Novotny lassen ihre Kämpfer dabei auch in Reality-Shows antreten: eine Art Fight Club im Dschungelcamp. Nur dass der blutig-brillante Prügelfilm mit Brad Pitt und Edward Norton in den Hauptrollen noch eine gewisse gesellschaftskritische Note hatte. In Frankfurt strömten Ende Oktober knapp 60 000 Fans ins Fußballstadion, um sich Oktagon anzuschauen. Die Veranstalter sprachen von einem neuen Weltrekord.

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Dass nun in München allerdings der Hauptact wegfiel, davon wurden auch die Organisatoren überrascht. Wobei, muss ja alles auch nicht schlecht sein fürs Storytelling: „Die Kämpfer sind Tiere, aber Moeil hat die Veranstaltung verletzt und Todev verletzt, darüber müssen wir sprechen“ sagte Novotny später, als der Abend vorbei war. Die Zuschauer aber, die teils dreistellige Ticketbeträge bezahlt haben, quittierten die Nachricht von der Kampfabsage in der Halle mit gellenden Pfiffen.

Andere Kämpfer gerieten dafür umso mehr ins Rampenlicht, wie Sebastian „Mettbrötchen“ Herzberg, der laut der Veranstalter sechs Jahre lang ungeschlagen war, aber von Patrick „Il Gladiatore“ Vespaziani im Schwergewicht zügig zu Mett verarbeitet wurde. Nur so viel: Die Wischer hatten hier besonders viel zu tun. Oder Nachwuchsmann Max „Stifler“ Holzer, der Eugen Black-Dell besiegte, nach dem Kampf aber mit seinem zugeschwollenen Auge und anderen Blessuren so übel zugerichtet aussah wie kein anderer.

Spätestens da verstand man, dass diese MMA-Nacht unter der Prämisse FSK 18 stand. Jugendlichen war der Zutritt verboten. Den Fans, die Einlass bekommen hatten, schien es aber zu gefallen, was sie zu sehen bekamen. „Das Blut, das Testo, das gehört dazu“, sagte jedenfalls Luis, 19, aus Stuttgart, der seinen Nachnamen lieber nicht nennen wollte. Für Alina Walter – eine der wenigen Frauen im Publikum – war es der bereits dritte Oktagon-Abend. Auch die 21-Jährige ließ sich gerne auf diesen etwas anderen Vorweihnachtszauber ein: „Wir haben super Plätze, die Show-Acts zwischen den Kämpfen sind toll. Und die Kämpfe selbst sind auch cool. Es ist doch okay, wenn die Männer aufeinander einprügeln, Frauenkämpfe finde ich da schlimmer. Nur bewusstlos schlagen muss nicht sein.“ Der Vollständigkeit halber: Es gibt auch Frauenkämpfe im Mixed Martial Arts, in München standen aber keine auf dem Programm.

Nahe an der Bewusstlosigkeit war allerdings der Brasilianer Kaik Brito, den Ion „Dracula“ Surdu aus Rumänen im Weltergewichts-Titelkampf per Ellbogen-Check und Highkick an den Hals übel traf. Brito ging daraufhin am Maschendrahtzaun K.o. – in Abwesenheit von Moeil und Todev war dadurch der neue Hauptkampf des Abends binnen kürzester Zeit vorbei. Typisches Kämpfer-Selbstverständnis dann beim Kurz-Interview noch im Käfig: „Ich bin nicht überrascht, in meinem Kopf war ich schon immer ein Champion“, sagte Surdu. Später bei der mangels Streithähnen überaus zahmen Pressekonferenz ergänzte Surdu, der inzwischen Anzug und einen Gunther-von-Hagens-Hut trug: „Ich fühle mich, als hätte ich eine Million Dollar gewonnen. Ich liebe diesen Sport.“

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