Süddeutsche Zeitung

·:Mit offenen Händen in den Teufelskreis

Das IOC will seine Fernsehrechte teurer verkaufen - die meisten Olympia-Verbände fürchten deswegen um ihre Medienpräsenz

Jens Weinreich

Erstmals seit einem halben Jahrhundert werden die europäischen olympischen Fernsehrechte nicht im Paket an die Europäische Rundfunk-Union (EBU) vergeben. Das Angebot der Vereinigung der öffentlich-rechtlichen Anstalten für die Winterspiele 2014 in Sotschi und die Sommerspiele 2016, die im Oktober 2009 vergeben werden, war zu niedrig. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) erwartet für diese Spiele einen Milliardenerlös, die Rechte werden nicht mehr kollektiv, sondern nach Ländern verkauft. Insofern könnten ARD und ZDF doch noch an die Bilder kommen. Aber nur, wenn sie den Zwischenhändlern, im Gespräch sind die Agenturen Infront und Sportfive, einen deutlich höheren Preis zahlen, als sie bisher zu zahlen bereit sind. Im olympischen Sport wird die Abkehr vom alten Partner EBU mit Skepsis aufgenommen.

Zeit im Fernsehen ist Geld

Das IOC gibt sich in der weltweiten Finanzkrise nicht mit der bisher üblichen, rund 30-prozentigen Steigerungsrate zufrieden, sondern strebt 50 Prozent an. Nicht jeder ist darüber glücklich. So sagt das IOC-Mitglied Walther Tröger: "Wer die Fernsehrechte vergibt, muss in erster Linie dafür sorgen, dass jeder Zugang hat, und erst in zweiter Linie dafür, dass er Geld bekommt." Allein in Deutschland wird der Spitzensport 2009 mit 250 Millionen Euro Steuermitteln gefördert. Tröger glaubt, daraus leite sich eine gewisse Berechtigung ab, dass die Fernsehrechte für moderate Summen an die öffentlich-rechtlichen Sender gehen: "Das ist eine politische Frage." Das IOC wolle mit höheren Fernseheinnahmen die sich abzeichnenden Mindereinnahmen im Sponsorenprogramm ausgleichen, glaubt Tröger. Zuletzt hatten die Firmen Lenovo, Kodak sowie Johnson & Johnson ihren Rückzug aus dem TOP-Sponsorenprogramm verkündet, das für 2009 bis 2012 nur noch neun Partner umfasst.

IOC-Vize Thomas Bach ist nicht beunruhigt. "Wenn die EBU jetzt nicht mehr dabei ist, heißt das doch nicht, dass öffentlich-rechtliche Sender nicht dabei sind", sagt Bach, der an den Verhandlungen beteiligt ist: "Es gilt ja auch der Ausschreibungsteil, der frei empfangbares Fernsehen zur Auflage macht. In Deutschland müssen mindestens 200 Stunden im freien Fernsehen übertragen werden." Die TV-Ausschreibung entspräche europäischen Richtlinien. Wäre das EBU-Angebot, das geringer als das der verbliebenen Interessenten war, berücksichtigt worden, wäre das IOC in Brüssel wegen Begünstigung zerpflückt worden.

Die meisten der 35 olympischen Weltverbände könnten ohne ihren Anteil an den IOC-Fernsehverträgen nicht existieren. Ulrich Feldhoff, kürzlich als Präsident des Kanu-Weltverbandes (ICF) zurückgetreten, beziffert den Olympia-Anteil an den ICF-Einnahmen auf 75 Prozent. Josef Fendt, Präsident des Rodel-Weltverbandes (FIL), überschlägt rund 80 Prozent. Und Fünfkampf-Weltpräsident Klaus Schormann spricht "auf Cash-Basis" von zwei Dritteln.

Wer glaubt, mit höheren Olympiaeinnahmen für die Zukunft gewappnet zu sein, könnte ein Waterloo erleben, sagt Feldhoff: "Denn wenn die öffentlich-rechtlichen nicht mehr die Olympiarechte haben, werden sie vielleicht kaum noch an Weltmeisterschaften interessiert sein. Wenn ich aber in den vier Jahren zwischen den Olympischen Spielen gar keine TV-Präsenz habe, kann ich keine nennenswerten Drittmittel akquirieren. Kein Sponsor interessiert sich für eine Sportart ohne TV-Präsenz. Das ist ein Teufelskreis." Fendt sieht das ähnlich. "Das Geld allein ist es nicht", sagt er, "wir haben bei unseren eigenen TV-Verträgen langfristig den Öffentlich-Rechtlichen den Vorzug gegeben, obwohl die Summe etwas weniger war, als uns von anderer Seite angeboten wurde."

Der Kanuverband hat seine Fernsehrechte am Weltcup und an Weltmeisterschaften bis 2012 für moderate Summen an die EBU verkauft, und zwar nicht weil Feldhoff seit Jahrzehnten mit EBU-Chef Fritz Pleitgen befreundet ist. Partner des Rodel-Weltverbandes ist die Sporta, Rechteagentur von ARD und ZDF. Auf diese Sender ist Fünfkampf-Boss Schormann nicht gut zu sprechen, weil sich für die WM 2007 in Berlin zunächst nur Regionalprogramme interessierten. "Erst nach den ersten Titeln für deutsche Athleten kamen auch ARD und ZDF", sagt Schormann. Er argumentiert deshalb reservierter als die Kollegen, steht aber vor demselben Dilemma: "Wenn wir zwischen den Olympischen Spielen im Medienbereich präsenter wären, könnten wir neue Sponsorenverträge bekommen und uns weniger abhängig von den IOC-Einnahmen machen."

Geld ist nicht Zeit im Fernsehen

Nach einer Erhebung der IOC-Programmkommission zu den 28 Sommersportarten haben drei Verbände (Segeln, Bogenschießen, Taekwondo) keine eigenen TV-Einnahmen, drei weitere (Schießen, Triathlon, Softball) nur minimale und zehn Verbände gerade Einkünfte in niedriger sechsstelliger Höhe. In der Hälfte aller Weltverbände werden Weltmeisterschaften nur in einem Dutzend Ländern übertragen, wenn überhaupt.

Für Feldhoff wäre es optimal, die Olympiarechte in irgendeiner Weise an den Verkauf der WM-Rechte zu koppeln. Das aber erscheint utopisch. Fendt erklärt, ihm wäre ein Olympia-Vertrag mit der EBU am liebsten und sichersten. Tröger sagt: "Man muss auch mal Nein sagen können." Sie alle erkennen die Gefahr: Kurzfristig profitieren die kleinen Verbände von höheren olympischen TV-Einnahmen. Langfristig aber droht vielen Föderationen das Aus. Feldhoff: "Viele haben noch gar nicht kapiert, was da auf uns zu kommt."

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SZ vom 09.12.2008/agfa
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